Bewaffnet mit Sonnenschirmen, Picknickkörben und Surfbrettern, kannten sie am Samstag alle nur ein Ziel: das Meer. Denn es war das erste Wochenende, seit der dritte Lockdown in Frankreich Anfang April in Kraft getreten ist, an dem sie sich ohne Ausnahmebescheinigung wieder weiter als zehn Kilometer von ihrer Wohnung entfernen durften. Und es war einer der bisher wenigen Tage in diesem Jahr, an dem die Temperaturen mit bis zu 30 Grand an den Sommer erinnerten. An den Stränden des Atlantiks im Südwesten des Landes war es oft voller als in den Sommerferien. „Wie Ausgehungerte“, titelte die Regionalzeitung „Sud Ouest“ über den Ansturm.

Wie Ausgehungerte stürzen sich die Franzosen auch auf das Angebot von Restaurants und Cafés, die am 19. Mai nach mehr als sechs Monaten erstmals wieder ihren Außenbetrieb öffnen dürfen. Gleichzeitig wird dann der Beginn der nächtlichen Ausgangssperre von 19 auf 21 Uhr verschoben. Für den 19. Mai seien bereits fast alle der wegen der Abstandsregeln reduzierten Sitzplätze auf den Terrassen reserviert, heißt es in vielen Großstädten. Seit Präsident Emmanuel Macron die Wiedereröffnung angekündigt hat, explodieren die Besucherzahlen des Buchungsportals „The Fork“. Zwei Wochen vor dem großen Tag hat es bereits mehr Reservierungen registriert als bei der Wiedereröffnung der Gastronomie nach der dreimonatigen Zwangspause im Frühjahr 2020.

Die Terrassen von Cafés und Restaurants könnten auch im Präsidentschaftswahlkampf eine Rolle spielen. So hat sich die mit einer Kandidatur liebäugelnde Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo dafür ausgesprochen, die nach der ersten Ausgangssperre im letzten Jahr genehmigte Ausweitung der Terrassen zu einer dauerhaften Einrichtung zu machen. Viele Gastwirte haben damals den Antrag gestellt, Sitzbereiche auf dem Parkstreifen vor ihrem Lokal in Paris einrichten zu dürfen. Diese oft mit Hilfe von Paletten und einfachen Brettern errichteten provisorischen Terrassen sind jedoch einigen ein Dorn im Auge. „Paris wird von Jahr zu Jahr hässlicher“, kritisiert etwa Stadträtin Nelly Garnier von den konservativen Republikanern.

Der Nachholbedarf der in den letzten Wochen in ihrem Bewegungsradius eingeschränkten Franzosen spiegelt sich auch in den Buchungszahlen der Bahn SNCF wider. Viele Zugverbindungen von Paris in die Normandie, die Bretagne, an den Atlantik oder ans Mittelmeer am Tag vor Himmelfahrt oder dem Pfingstwochenende sind bereits ausgebucht. Obwohl die Einnahmen der TGV-Züge, der Milchkuh der SNCF, letztes Jahr um 54% eingebrochen sind, ist es der SNCF gelungen, den Verlust 2020 auf 3 Mrd. Euro zu begrenzen. Er fiel damit weniger schlimm als befürchtet aus. Dagegen ist die finanzielle Situation der SNCF-Tochter Eurostar, des Betreibers von Hochgeschwindigkeitszügen zwischen Paris, Brüssel und London, äußerst besorgniserregend. Eurostar dürfte schon bald refinanziert und dann mit Thalys fusioniert werden, heißt es in Paris. Die SNCF ist mit 55% an Eurostar beteiligt und mit 60% an Thalys.

Die Eurostar-Sorgen hindern die französische Bahn jedoch nicht daran, jetzt im europäischen Ausland in die Offensive zu gehen. Damit will sie sich für die Liberalisierung des französischen Schienenverkehrs wappnen. Theoretisch sind die TGV-Verbindungen in Frankreich am 1. Januar für ausländische Konkurrenten geöffnet worden, doch ein bereits für Januar erwartetes Angebot von Trenitalia für die Strecke Lyon–Marseille ist wegen Covid mehrmals verschoben worden, und der spanische Betreiber Renfe dürfte nicht vor 2022 an den Start gehen. Dennoch hat die SNCF gerade ihren Low-Cost-Geschwindigkeitszeug Ouigo in Spanien lanciert und dafür 600 Mill. Euro investiert. Ouigo ist mit zunächst täglich fünf Verbindungen auf der Strecke Barcelona–Madrid und Lockpreisen von 9 Euro pro Fahrt an den Start gegangen. Um rentabel zu sein, müssen die doppelstöckigen Ouigo-Züge auf eine Auslastung von mehr als 80% kommen.