Zankapfel Bürokratieabbau
Zankapfel Bürokratieabbau
Die EU-Kommission hat am 26. Februar den Startschuss für eine „beispiellose Vereinfachung“ der EU-Vorgaben angekündigt. In Brüssel ist der Streit im vollen Gange, wie das denn ganz konkret aussehen sollte.
Von Detlef Fechtner, Brüssel
An guten Vorschlägen herrscht kein Mangel. Die Einen fordern, den Startschuss für das Inkrafttreten der EU-Richtline für Nachhaltigkeitsberichte (CSRD) zu verschieben. Die Anderen wünschen sich die Halbierung der Zahl meldepflichtiger Daten. Wieder andere machen sich für die stärkere Schonung von Mittelständlern bei den Berichtspflichten stark. Auch wird die ersatzlose Abschaffung der Green Asset Ratio verlangt – ebenso wie die Versicherung, dass Unternehmen Angaben nur noch an eine Stelle melden müssen oder dass die EU endlich die elektronische Kennzeichnungspflicht aufhebt.
Ideen also gibt es genug, wie die EU-Gesetzgeber dafür sorgen könnten, den bürokratischen Aufwand zu senken, der mit der so genannten nicht-finanziellen Berichterstattung verbunden ist, also mit den Angaben über die Klimabilanzen von Firmen und Banken. Dass darüber augenblicklich in Brüssel so hitzig diskutiert wird wie über kaum ein anderes Thema, dafür ist EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen verantwortlich. Denn sie hat unmittelbar nach der Amtsaufnahme der neuen EU-Kommission im späten Herbst eine ausgesprochen ambitionierte Ansage gemacht: Am 26. Februar, also gerade noch innerhalb der ersten 100 Tage der Amtszeit der EU-Kommission „von der Leyen II“, werde sie mit einem so genannten Omnibus-Paket, also einem Sammelgesetz, eine „beispiellose Vereinfachung“ der EU-Regeln vorschlagen.
Erste Eindrücke, was denn konkret am 26. Februar zu erwarten sein wird, wird von der Leyen bereits in den nächsten Tagen vermitteln. Denn der finale Entwurf für den „Wettbewerbsfähigkeits-Kompass“ – eine Art Drehbuch für mehr Wachstum und Innovation in Europa – zirkuliert bereits in Brüssel und soll in Kürze der breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden. In dem „Kompass“ skizziert die EU-Kommission nicht nur die großen Linien, sondern versieht die einzelnen Initiativen mit Terminen, bis wann sie offiziell spruchreif sein sollen, und mit Fingerzeigen, die veranschaulichen, wohin die Reise geht. Ein Beispiel: So soll etwa die Initiative unter dem Titel „KI-Fabriken“ alle Netzwerkeffekte auf europäischer Ebene nutzen und aufbauend auf dem Netz von Hochleistungsrechnern bis Jahresende 2025 die Rechenleistung steigern. Diese Kapazitäten sollen dann wiederum Start-ups, Forschern und der Industrie zugänglich gemacht werden, damit sie Modelle Künstlicher Intelligenz mithilfe dieser Infrastruktur wirkungsvoller trainieren können.
„Weitreichende“ Vereinfachung
Auch zum Thema Bürokratieabbau gibt die EU-Behörde einen Vorgeschmack. Vereinbarte politische Ziele sollen in Zukunft auf „die einfachste Weise“, zielgerichtet und mit dem geringsten Aufwand erreicht werden. Die Omnibus-Verordnung Ende Februar werde eine „weitreichende“ Vereinfachung von drei zentralen Gesetzen rund um die nicht-finanzielle Berichterstattung, nämlich Taxonomie, Lieferkettengesetz und Nachhaltigkeitsbericht-Richtlinie (CSRD), vorsehen, heißt es in dem noch unveröffentlichten Papier. Die Ankündigung lautet, dass „die geforderten Daten eng an den Bedürfnissen der Investoren ausgerichtet“ sind, dass Fristen angemessen großzügig festgelegt wurden und dass sich die Vorgaben auf die schädlichsten Aktivitäten konzentrieren.
Die Meldepflichten sollen sich auf Finanzkennzahlen beziehen, die niemanden abhalten, in kleine Unternehmen zu investieren. Auch sagt die EU-Kommission zu, das Prinzip der Proportionalität zu beachten: Die Verpflichtungen sollen in angemessenem Verhältnis zum Umfang der Firmentätigkeiten stehen. Außerdem soll „eine neue Definition der kleinen und mittleren Unternehmen vorgeschlagen“ werden. Sie soll Gesellschaften zusammenfassen, die größer als Klein- und Mittelunternehmen sind, aber kleiner als Großkonzerne. Dadurch sollen 31.000 Firmen „von einer maßgeschneiderten Vereinfachung der Rechtsvorschriften im gleichen Sinne wie KMU profitieren“.
Diplomaten berichten, dass mittlerweile ein Hauen und Stechen ausgebrochen sei. Erstens innerhalb der EU-Kommission, denn dort sind unterschiedliche Generaldirektionen mit der Vorbereitung befasst. Spannend, so verlautet in Brüssel, sei vor allem, wie weit sich die Spanierin Teresa Ribera auf Rückschnitte bei Nachhaltigkeits-Vorgaben einlässt. Immerhin ist die Sozialdemokratin als EU-Vizepräsidentin für „einen sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang der Wirtschaft“ zuständig.
Kontroversen zeichnen sich selbstverständlich auch im EU-Parlament ab. So keilt der linke EU-Abgeordnete Martin Schirdewan gegen die „Omnibus“-Pläne: „Das Gerede vom Bürokratieabbau dient nur als Vorwand, um wieder einmal die Interessen der Großaktionäre auf Kosten der Arbeiterinnen und Arbeitern und der Umwelt zu fördern.“ Das Hin und Her bei den Berichtspflichten führe nur zu mehr Rechtsunsicherheit und berge hohe Kosten. Auch die Grünen haben bereits Vorbehalte gegen die Ausdünnung bestimmter Berichtspflichten signalisiert, berichten EU-Beamte und Diplomaten unisono.
Unbegrenzte Verschiebung
Außerdem dürfte es reichlich Gesprächsbedarf im Rat geben, schließlich haben die Mitgliedstaaten unterschiedliche Interessen. So hat beispielsweise die französische Regierung ihre Wünsche mit Blick auf das Omnibus-Paket in einem 22-seitigen Arbeitspapier zusammengefasst. Zu den Forderungen gehören eine Vertagung des Inkrafttretens der CSRD und eine Verschiebung des Startschusses für das EU-Lieferkettengesetz, also die CSDDD, „auf unbestimmte Zeit“. Der unbegrenzte Aufschub soll nach dem Willen der Regierung in Paris dazu genutzt werden, einzelne Vorgaben des Gesetzes noch einmal zu überarbeiten, etwa hinsichtlich des Anwendungsbereichs oder der Schwellenwerte.
Last but not least rechnen diejenigen, die die „Omnibus“-Verordnung gerade vorbereiten, mit reichlich Gegenwind von den Vertretern organisierter Interessen. Im aktuellen Falle dürften zwar die Lobbyisten von Banken, Investmentfonds und anderen Finanzdienstleistern den Vorschlägen der EU-Kommission wohlwollend gegenüberstehen. Hingegen berichten Politiker, dass die Vertreter derjenigen Firmen gerade Sturm laufen, die von Regulierung profitieren, weil europäische Regeln ihnen Beratungsmandate bescheren: Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater und Rechtsanwälte.