Zu früh für Euphorie
Weniger Arbeitslosigkeit, mehr Beschäftigung, weniger Kurzarbeit. Die guten Nachrichten, die die Bundesagentur für Arbeit derzeit vom deutschen Arbeitsmarkt zu vermelden hat, verleiten zu einer optimistischen Erwartungshaltung. So könnte es jetzt weitergehen. Die Arbeitslosigkeit rückt aus dem Fokus, denn es läuft gut. Zu gern erinnern wir uns an die Monate vor der Corona-Pandemie, wo Frühindikatoren und Stimmungsbarometer immer neue Höchststände erklommen, die Zahlung konjunkturellen Kurzarbeitergeldes die Ausnahme selbst in schwächelnden Branchen war und auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen langsam, aber stetig reduziert werden konnte. Doch an diesem Punkt sind wir noch nicht.
Richtig ist, dass die aktuellen Frühindikatoren auf Rekordstände klettern. Angesichts des Corona-Schocks, der auch den deutschen Arbeitsmarkt getroffen hat, sind diese Zahlen aber mit Vorsicht zu genießen. Auch dass die Arbeitslosigkeit sinkt, ist für sich genommen eine sehr gute Nachricht. Nicht zu vergessen sind allerdings 400000 Menschen, die durch die Krise nach wie vor ihren Job verloren haben. Nach wie vor beziehen 2,34 Millionen Erwerbstätige Kurzarbeitergeld. Das sind noch immer eine Million mehr Kurzarbeiter als in der Spitze während der großen Rezession 2009, die durch die vorangehende Finanzkrise ausgelöst wurde. Die Probleme mögen auf den ersten Blick kleiner werden, sie verlagern sich aber zum Teil nur auf eine Ebene tiefer.
Beispiel Kurzarbeit: Der Bundesagentur für Arbeit und dem Bundesarbeitsministerium zufolge hat das Kurzarbeitergeld mehr als eine Million Arbeitnehmer in Deutschland vor der Arbeitslosigkeit bewahrt und zudem für viele Beschäftigte Verdiensteinbußen abgefedert. Ein Blick auf die Reallöhne zeigt aber: Im ersten Quartal 2021, das stark von der Arbeitszeitreduzierung betroffen war, sanken die Reallöhne um 2% verglichen mit dem Vorjahreszeitraum. Ein Teil dieses Rückgangs geht auf durch die Kurzarbeit in Millionen Fällen reduzierte Gehälter zurück. Ein anderer Teil spiegelt die steigende Teuerungsrate wider. Fakt ist: Ein großer Teil der Arbeitnehmer hat weniger Geld auf dem Konto als vor der Coronakrise.
Eine weitere Spätfolge der Coronakrise zeigt sich auf dem Ausbildungsmarkt. Nicht umsonst hat das Bundesarbeitsministerium das laufende Jahr zum „Jahr der Ausbildung“ ausgerufen. Die Jobcenter melden, dass fast die Hälfte der angebotenen Ausbildungsplätze noch nicht besetzt werden konnte. Das dürfte zwei Gründe haben. Zum einen konnten Ausbildungsmessen, Schulbesuche und ähnliche Präsentationswege während der Pandemie nicht voll ausgeschöpft werden – und die Verschiebung in den virtuellen Raum fand oft nicht statt. So kamen Interessenten und Unternehmen schlicht nicht zusammen.
Zum anderen entschieden sich viele junge Menschen im vergangenen und im aktuellen Abschlussjahrgang für einen weiteren Bildungsabschluss, der angesichts der Krisensituation vermeintlich sicherer schien.
Das wiederum ist eine Entwicklung, die ihren Anfang schon vor der Krise nahm: Immer öfter klagen Handwerk und Industrie über die Akademisierung der Gesellschaft. Die Schulabgänger schlagen immer häufiger den universitären Weg ein und entscheiden sich immer seltener für eine Ausbildung, in der Hoffnung, später mehr Geld zu verdienen.
Dadurch wird jedoch ein Problem verschärft, das die deutschen Betriebe ebenfalls schon vor der Pandemie beschäftigte: der Fachkräftemangel. Weniger Auszubildende sind gleichbedeutend mit weniger geeignetem Nachwuchspersonal, besonders in Engpassberufen. Schon jetzt mehren sich die Meldungen, dass es den Firmen zunehmend schwerfällt, offene Stellen zu besetzen. Hinzu kommt, dass viele Beschäftigte in besonders von der Krise betroffenen Branchen in der Zwischenzeit umgesattelt haben und eine neue Laufbahn eingeschlagen haben. Nach Gewerkschaftsangaben hat rund jeder sechste an deutschen Flughäfen Beschäftigte der Branche den Rücken gekehrt. Auch in der Gastronomie fehlen insbesondere die Minijobber, die sich während der Krise anderweitige Beschäftigungen gesucht haben.
Nach wie vor weist der deutsche Arbeitsmarkt einige Baustellen auf und offenbart Lücken, die es zu stopfen gilt. Er mag zwar nach dem Corona-Schock weitgehend über den Berg sein. Nun kommt es aber darauf an, dass er langfristig nicht ins Straucheln gerät. Für Euphorie jedenfalls ist es trotz guter Zahlen noch zu früh.