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Ergänzen statt Ersetzen ist der Schlüssel beim Einsatz von KI

Die Erwartungen an den Einsatz von Künstlicher Intelligenz sind auf Arbeitgeberseite hoch – auf der anderen Seite steigen die Jobsorgen der Arbeitnehmer. Letztlich kommt es darauf an, dass KI den Menschen unterstützt, aber nicht ersetzt. Dazu müssen die Mitarbeiter gut geschult werden.

Ergänzen statt Ersetzen ist der Schlüssel beim Einsatz von KI

Ergänzen statt Ersetzen ist der Schlüssel beim Einsatz von KI

Schon Einkommensverluste in der Kreativwirtschaft − Befürchtete Massenentlassungen unwahrscheinlich.

Von Alexandra Baude, Frankfurt

Vom Lehrbub zum Chef in derselben Firma − was früher nicht ungewöhnlich war, ist heute so gut wie ausgeschlossen. Ebenfalls passé sind die Zeiten des Unternehmensboss als Patriarch, der beim Gang durch die Werkshallen alle Mitarbeiter kannte und sich für sie verantwortlich fühlte. Vorherrschend sind heute häufige Arbeitsplatzwechsel, befristete Projektarbeit und digitales Nomadentum. Zudem wirbelt nun auch noch Künstliche Intelligenz (KI) den Arbeitsmarkt durcheinander wie schon lange nicht mehr.

Arbeitsplatzverlust versus Produktivitätsboom, zwischen diesen Extremen bewegen sich die Sorgen und Hoffnungen beim Einsatz von (generativer) KI. Beide Seiten haben recht. Denn es klingt in der Tat recht smart, dass die KI den Werktätigen gefährliche oder lästige, immer wieder kehrende Aufgaben abnimmt − etwa Kundenanfragen −, auf dass sie sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren, kreativ und produktiver werden können. Zudem könnte durch die KI-Nutzung der Fachkräftemangel eingedämmt werden und ältere Mitarbeiter länger im Job bleiben – und Produktion in Deutschland gehalten werden, da Arbeit hierzulande ein nicht unerheblicher Kostenfaktor ist. Nicht zuletzt ginge mit KI so einiges schneller und Arbeitgeber könnten hoch qualifizierte, gut bezahlte Arbeitskräfte einsparen, und auf befristete und gering bezahlte Beschäftigungsverhältnisse setzen. Letzteres wird umso attraktiver, je höher die Lohnungleichheit ist − und derzeit ist sie hoch wie nie.

Bei dieser technologischen Revolution sind noch mehr Jobs betroffen

Von daher sind die Jobsorgen nicht unbegründet: Etliche Berufe werden verschwinden, Tätigkeitsprofile sich ändern und selbst mit den besten Qualifizierungsangeboten wird es nicht jeder schaffen, mit den Veränderungen Schritt zu halten. Aber es werden auch ganz neue Berufe entstehen. Potenziell solche, die besser bezahlt sind als jene, die durch die KI obsolet geworden sind, so die große Hoffnung. Allerdings sind im Gegensatz zu früheren technologischen Revolutionen diesmal auch Berufe betroffen, die mit einem hohen Bildungsstand – etwa einem Universitätsabschluss – einhergehen und hoch dotiert sind. Es sei denn, sie fordern hohes abstraktes Denkvermögen. IBM, Tiktok und Klarna setzen bereits auf KI statt menschliche Mitarbeiter.

Erwartungen größer als Verbreitung

Noch aber sind die Erwartungen an den KI-Einsatz deutlich größer als die tatsächliche Verbreitung. Experten erwarten zudem, dass es statt des befürchteten abrupten Wandels zu einem schrittweisen Übergang kommt. Dem Wirtschaftsforscher Daron Acemoglu vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) zufolge dürften allen Sorgen zum Trotz in der kommenden Dekade weder Millionen von Menschen ihre Arbeit durch Chatbots verloren haben, noch Menschen dank KI zu superproduktiven Arbeitnehmern geworden sein. Unter den aber durchaus von der Transformation betroffenen Bürojobs sieht der Wirtschaftsnobelpreisträger insbesondere jene in Gefahr, bei denen es etwa um Datenzusammenfassung, visuelle Zuordnung oder Mustererkennung geht. Das seien aber nur 5%. Laut der Industrieländerorganisation OECD sind insgesamt 14% aller Jobs stark durch Automatisierung gefährdet. Allerdings könne KI die Arbeiten durchaus auch angenehmer und produktiver machen und führe eher zur Umorganisation von Tätigkeiten als zu tatsächlichen Jobverlusten.

Freelancer stark betroffen

Goldman Sachs wiederum schätzt, dass weltweit etwa zwei Drittel der derzeitigen Arbeitsplätze bereits einem gewissen Grad der KI-Nutzung unterliegen und die generative KI bis zu ein Viertel der derzeitigen Arbeit ersetzen könnte. Kurz gesagt: Global könnten bis zu 300 Millionen Vollzeitarbeitsplätze von der Automatisierung durch generative KI betroffen sein. Die Analysten erwarten aber, dass wie schon in der Vergangenheit technischer Fortschritt zwar menschliche Arbeit manchenorts ersetzt, aber zugleich neue Berufsfelder entstehen. Und beim Weltwirtschaftsforum werden 75 Millionen Jobs als gefährdet angesehen − wohingegen zugleich 113 Millionen Arbeitsplätze neu hinzukommen.

Neben den oft genannten Mathematikern, Programmierern und Dolmetschern sowie den Posten in Produktion, Kundenservice und Vertrieb sind auch Freelancer und Kreative betroffen: Einer DIW-Studie zufolge ist etwa in den ersten acht Monaten nach der Veröffentlichung von ChatGPT Ende November 2022 die Nachfrage nach automatisierungsanfälligen freiberuflichen Tätigkeiten im Durchschnitt um ein Fünftel zurückgegangen.

Verlierer auf zwei Ebenen

Am stärksten traf es Schreibtätigkeiten wie Korrekturlesen oder Ghostwriting (−30%), Software-, App- und Webentwicklungen (−20%) sowie Freelancer im Bereich Grafikdesign und 3D-Modellierung nach dem Start entsprechender KI-Programme (−17%). ChatGPT ist ein Beispiel für generative KI − eine KI-Form, die durch das Lernen aus großen Datenmengen eigenständig Texte, Bilder, Musik und andere digitale Inhalte erzeugen kann.

KI braucht den Menschen

Die Internationale Konföderation der Verwertungsgesellschaften (CISAC) wiederum warnt vor Einkommensverlusten in der Kreativwirtschaft durch den Einsatz von KI: Im Musiksektor etwa werde bis 2028 das Einkommen um 24% schrumpfen, im audiovisuellen Bereich um 21%. Dabei würden die Kreativen auf zwei Ebenen verlieren: Einerseits gebe es weniger Arbeitsmöglichkeiten, andererseits entstehe ein Einnahmenverlust durch die unberechtigte und nicht vergütete Nutzung ihrer Werke durch generative KI.

Wenig beachtet ist zudem, wie viel menschliche Arbeit noch in Entwicklung und Einsatz von KI steckt. Etwa für das Training von KI-Algorithmen, zur Überprüfung der KI-Ergebnisse – etwa auf Sprache und Korrektheit – oder um auch einmal einzuspringen, wenn die KI überfordert ist. Eine ILO-Studie warnt davor, dass diese Menschen „routinemäßig grafischer Gewalt, Hassreden, Kindesausbeutung und anderen anstößigen Inhalten ausgesetzt“ sind. Diese ständige Belastung könne ihre psychische Gesundheit beeinträchtigen und die Fähigkeit zur Empathie mindern. Dank flexibler Arbeitszeiten und Einsatzorten finden die Plattformen der Internationalen Arbeitsorganisation zufolge dennoch genug Mitarbeiter, zumeist in Entwicklungsländern. Die zudem oft hochgebildet sind und einen Bachelor- oder Masterabschluss haben, meist in Spezialbereichen wie den MINT-Berufen.

Allerdings würden sie hauptsächlich routinemäßige und repetitive Datenarbeiten ausführen, die oft nur minimale Fachkenntnisse erfordern. Neben der daraus erwachsenden Unzufriedenheit bei den Arbeitenden, die zudem schlecht bezahlt und nur begrenzt sozial abgesichert sind, bedeute dies eine verpasste Chance für die Entwicklungsländer, die erhebliche Mittel in die Hochschulbildung investieren, diese qualifizierten Arbeitskräfte als Motor für Wirtschaftswachstum und Innovation einzusetzen.

ILO warnt vor Einkommensverlusten

Die Abhängigkeit von menschlicher Arbeitskraft in der KI-Branche wirft der ILO zufolge zwei kritische Fragen auf: „Erstens besteht das Risiko, dass Arbeitnehmer entqualifiziert werden und ihre berufliche Entwicklung behindert wird. Zweitens kann die Verlagerung hin zu befristeten Arbeitsverhältnissen zu einem geringeren Anteil der Arbeitskraft am Einkommen beitragen und die Einkommensungleichheit erhöhen.“ Die Zukunft der Arbeit im Zeitalter der KI solle eine echte Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine sein und nicht eine, die auf einer versteckten, globalen Belegschaft aufbaut, die mit Defiziten an menschenwürdiger Arbeit konfrontiert ist.

Schulungen sind unabdingbar

„Vor allem digitale freiberufliche Tätigkeiten, die durch kurzfristige und flexible Arbeitsaufträge gekennzeichnet sind, sehen sich bereits dem wachsenden Einfluss der Automatisierung durch generative KI-Technologien ausgesetzt“, erklärt DIW-Experte Jonas Hannane. Deutliche Produktivitätszuwächse erschienen hingegen bei Programmier- und Schreibarbeiten oder im Kundenservice möglich, die somit das Wirtschaftswachstum ankurbeln könnten. Wichtig sei daher, dass Unternehmen in die Fort- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter sowie technologische Innovationen investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben und Produktivitätsgewinne zu erzielen. Bei der verstärkten Nutzung von KI werden von Mitarbeitern künftig auch ganz andere Fähigkeiten gefragt sein: Technologische und sozial-emotionale ebenso wie Führungsqualitäten oder Kommunikations- und Verhandlungsgeschick etwa.

Niemand dürfe abgehängt werden − daher sei es an der Bildungspolitik, entsprechende Programme an Schulen, Universitäten und in Weiterbildungseinrichtungen zu etablieren, betont DIW-Experte Hannane. Es „muss darauf geachtet werden, einen gleichberechtigten Zugang zu Bildungsangeboten zu gewährleisten, um Chancengleichheit und wirtschaftlichen Fortschritt in einer KI-geprägten Arbeitswelt sicherzustellen.“

Die Politik müsse nicht nur den Schutz der Rechte und des Einkommens Kreativer verbessern, sondern auch ein KI-Umfeld schaffen, das menschliche Kreativität fördert statt ersetzt, lautet die Forderung der CISAC. Wegen der Ortsunabhängigkeit der KI muss Regulierung über die nationale Ebene hinausgehen: So hat das EU-Parlament Mitte 2023 ein KI-Gesetz verabschiedet, das verschiedene Risikostufen von KI und entsprechende Regulierungsmaßnahmen definiert.

Ethische und Umweltaspekte oft nicht berücksichtigt

Nicht zu vergessen ist aber auch die ethische Komponente mit Blick auf die Sicherheit von KI, Datenschutz oder Überwachung und Diskriminierung: Der Einsatz von KI bei der Personalauswahl oder Kreditentscheidungen etwa könnte unbeabsichtigte Vorurteile verstärken. Ebenfalls selten als Gefahr der KI-Nutzung genannt sind etwaige Klimafolgen: KI benötigt Rechnerkapazität und damit Energie. Und bei allen Freiheiten die KI durchaus verschaffen mag: Sie verdichtet auch Arbeit, sorgt dadurch für Stress und Hektik, ist geistig anspruchsvoll und könnte damit zu mehr Burnout und psychischen Problemen führen. Ganz zu schweigen von Fragen der sozialen Absicherung und einer Bezahlung, von der auch Freelancer und Crowdworker leben können.

KI muss allen dienen

Nobelpreisträger Acemoglu warnt aber auch: „Wir schlagen derzeit die falsche Richtung für KI ein. Wir nutzen sie zu sehr für die Automatisierung und nicht genug, um Arbeitnehmern Fachwissen und Informationen zur Verfügung zu stellen.“ Es müsse sicher gestellt werden, dass KI und deren Einsatz so weiterentwickelt und reguliert werden, dass sie dem Lohnwachstum und dem allgemeinen Wohlstand dienen.

KI wird die Arbeitswelt verändern. Wichtig dabei ist, dass die Effizienzgewinne nicht nur dem Kapital bzw. den Besitzern der Algorithmen − also den fünf großen US-Tech-Giganten Google&Co. − nutzen, sondern auch den Arbeitnehmenden. Die müssen zudem vermehrt und besser geschult werden. Eine wichtige Rolle bei alldem spielt der Organisationsgrad: Gewerkschaften und Betriebsräte tragen Sorge, dass KI die menschliche Arbeitskraft ergänzt und nicht ersetzt.


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