Anleger mit angezogener Handbremse unterwegs
Vor den mit Spannung erwarteten Inflationszahlen in den USA sind die Anleger in Europa mit angezogener Handbremse unterwegs. Nach der vorangegangenen Rally legte der Dax am Dienstag um 0,1% auf 13.423 Punkte zu; der EurosStoxx50 zog 0,3% auf 3656 Zähler an. Bleibe die Teuerung in den USA auch im August insgesamt rückläufig und signalisiere vor allem die Kernrate ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise ebenfalls einen bevorstehenden Abwärtstrend, dürften viele weitere Investoren gezwungen sein, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, sagte Anlagestratege Jürgen Molnar vom Brokerhaus RoboMarkets. „Andernfalls wäre hier wohl erst einmal Schluss mit der Rally im Bärenmarkt.“
Analysten erwarten im Schnitt eine Inflationsrate in den USA von 8,1% und damit einen weiteren Rückgang, nachdem sie im Juli bereits leicht auf 8,5% gesunken war. „Wenn die Prognose zutrifft, wäre das definitiv eine positive Nachricht für die Börsen“, bestätigte Portfolio-Manager Thomas Altmann vom Vermögensberater QC Partners. Die US-Notenbank Fed werde aber wohl auch bei einer niedrigeren Gesamtinflationsrate an ihrem Kurs festhalten und weiter entschlossen gegen die Inflation kämpfen, sagte Commerzbank-Analystin You-Na Park-Heger. „Denn die niedrigere Inflation dürfte vor allem einem Rückgang der Energiepreise geschuldet sein.“ Grund für Entwarnung gebe es damit noch nicht.
ZEW bestätigt düstere Konjunkturaussichten
Der Blick auf die deutsche Konjunktur dürfte die Börsenprofis indes immer pessimistischer stimmen. Das Barometer für die Einschätzung zur Lage in der Wirtschaft für die nächsten sechs Monate ging im September um 6,6 Punkte auf einen Wert von minus 61,9 Punkten zurück, wie das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am Dienstag zu seiner monatlichen Umfrage mitteilte. Dies ist der niedrigste Stand seit Oktober 2008. Der Rückgang war stärker als erwartet. Analysten hatten mit einem Rückgang auf minus 59,5 Punkten gerechnet. Die Bewertung der Konjunkturlage ging weiter zurück. Sie fiel um 12,9 Punkte auf minus 60,5 Zähler. Volkswirte hatten hier mit minus 52,1 Punkten gerechnet.
„Die erneut negative Entwicklung des Barometers ist vor allem auf den Gaslieferstopp Russlands durch die Pipeline Nord Stream 1 zurückzuführen“, erklärt sich dies Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ-Bank. Damit sei das Risiko einer Gasknappheit im kommenden Winter angestiegen, auch wenn die Gasspeicher bisher schneller als gedacht aufgefüllt werden konnten. Die hohen Energiepreise belasteten aber Unternehmen und private Haushalte massiv, was sowohl zu Produktionseinschränkungen als auch zu Konsumzurückhaltung führen dürfte. Eine Rezession in den kommenden Monaten ist nach seinen Worten „kaum mehr abzuwenden“.
Euro weiter im Aufwind
Im Vorfeld zu den US-Inflationsdaten stieg der Euro um 0,3% auf 1,0147 Dollar. Neben der Aussicht auf weitere Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank stützte auch eine leichte Entspannung am Energiemarkt die Gemeinschaftswährung. „Der Rückgang der Gaspreise ist ein weiterer Grund für den Aufschwung des Euro“, bestätigte Niels Christensen, Chefanalyst von der Nordea Bank.
Am Energiemarkt verbilligte sich der europäische Erdgas-Future in der Spitze um fast 5% auf 181,80 Euro je Megawattstunde und entfernte sich damit weiter von seinem vergangenen Monat erreichten Rekordwert infolge des Abdrehens der russischen Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1.
Online-Supermarkt unter Druck
Bei den Einzelwerten schmissen Anleger Aktien von Ocado aus den Depots. Die Anteilsscheine des Online-Supermarkts brachen an der Börse in London nach enttäuschenden Umsätzen und einem gesenkten Ausblick bis zu 14% ein. Die Kunden versuchten die gestiegenen Lebenshaltungskosten zu bewältigen, indem sie weniger Produkte kauften und auf billigere Artikel auswichen, erklärte der britische Händler.
Dagegen ließ ein Medienbericht über eine Komplett-Übernahme von Aveva Anleger zu den Aktien des britischen Softwareentwicklers greifen. Die Aveva-Titel stiegen mehr als drei Prozent auf ein Acht-Monats-Hoch. Zuvor hatte der Sender Sky News berichtet, der französische Industriekonzern Schneider Electric stehe kurz vor der vollständigen Übernahme von Aveva. Schneider hält bereits 60% an dem Unternehmen und hat Ende August die Absicht geäußert, den Softwareentwickler komplett zu schlucken.
Gefragt waren auch SAP-Aktien. Der Softwarekonzern profitiere vom Umsatzanstieg des US-Rivalen Oracle, sagte ein Händler. Es sei ein gutes Zeichen für den Software-Sektor, dass dieser trotz der sich verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen Stärke zeige. Der Umsatz von Oracle hatte sich unter anderem wegen der hohen Nachfrage nach seinen Cloud-Dienstleistungen im abgelaufenen Quartal um rund 18 Prozent erhöht..