Das EU-Kommissar-Puzzle ist dieses Mal noch schwieriger
Die Aufgabe ist etwas für hartgesottene Tüftler: Die Arbeitsgebiete der EU-Kommission müssen so aufgeteilt werden, dass 26 EU-Kommissare aus 26 Staaten zufrieden damit sind, ihr jeweiliges Ressort die nächsten fünf Jahre federführend zu beackern. EU-Land 27 – Deutschland – kriegt kein Ressort zugeteilt, weil es ja mit Ursula von der Leyen bereits die Chefin vom Ganzen stellt.
Das EU-Kommissar-Puzzle ist dieses Mal noch schwieriger
Von Detlef Fechtner, Brüssel
Bis Ende des Monats dürfen die EU-Mitgliedstaaten noch Vorschläge machen, wen sie gerne in die EU-Kommission entsenden möchten – spätestens dann beginnt das komplizierte Logical. Kein Land soll sich – wie 2007 Rumänien mit dem „EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit“ – durch das zugewiesene Ressort verspottet fühlen. Es soll zugleich eine Balance zwischen Männern und Frauen und zwischen Ost und West geben. Und die Aufgaben sollen auch unter den Parteifamilien angemessen verteilt sein. Doch dieses Puzzle wird in diesem Jahr noch etwas schwieriger als ohnehin schon. Denn eine ganze Reihe von nationalen Regierungen schielt auf wirtschaftsnahe Ressorts wie Wettbewerb, Finanzmarktregulierung oder Binnenmarkt. Und bislang sind doppelt so viele Männer als Kandidaten ins Rennen geschickt worden wie Frauen.
Zweite Amtszeit für Breton
Bereits Ende Juli hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den aktuell für Binnenmarkt, Raumfahrt und Verteidigung zuständigen EU-Kommissar Thierry Breton für eine zweite Amtszeit vorgeschlagen. Der 69 Jahre alte studierte Elektrotechniker und Informatiker empfiehlt sich durch seine Vita für ein wirtschaftsnahes Ressort. Immerhin hat er Erfahrungen in den Chefetagen großer Konzerne wie Honeywell Bull, Thomson, France Télécom und Atos. Andererseits ist Breton ausgesprochen kantig, erst jüngst entfachte er einen hitzigen Streit mit Elon Musk. Auch hat Breton schon öffentlich über von der Leyen gespottet. Sie wird sich deshalb gut überlegen müssen, inwieweit sie ihm ein Ressort überträgt, das Vertraulichkeit und Fingerspitzengefühl verlangt, wie etwa Wettbewerb.
Drei Finanzminister
Neben dem Firmenmanager Breton gibt es noch viele andere Bewerber, die ein Wirtschafts- oder Finanzdossier anstreben – allein drei Männer, die als Finanzminister tätig waren. So hat der Hauptausschuss des österreichischen Parlaments vor zehn Tagen Magnus Brunner das Ticket nach Brüssel ausgestellt. Der studierte Kaufmann und promovierte Jurist hat viele Jahre im Vorstand eines Dienstleisters gearbeitet, der Firmen hilft, Förderungen für erneuerbare Energien abzuwickeln. Der 52-jährige Christdemokrat war Staatssekretär im Umwelt- und Klimaschutzministerium in Wien – und er ist seit drei Jahren Finanzminister.
Irland, so wird in Brüssel getuschelt, würde sich gerne auch in Zukunft in der EU-Kommission um Finanzmarktregulierung kümmern. Nachdem der Inselstaat ja bereits in der vorigen Legislatur mit Mairead McGuinness die zuständige Kommissarin gestellt hat und noch dazu mit John Berrigan aktuell den Generaldirektor. Die drei Parteien, die die irische Regierung bilden, haben Ende Juni Finanzminister Michael McGrath nominiert. Der Ökonom wird dem rechten Flügel der liberalkonservativen Fianna Fáil zugerechnet. Zum Kreis der früheren Finanzminister zählt schließlich der Niederländer Wopke Hoekstra. Regierungschef Dirk Schoof drängt von der Leyen, dem 49 Jahre alten Christdemokraten, der aktuell EU-Kommissar für Klimaschutz ist, ein näher an der Wirtschaft liegendes Dossier zu übertragen.
Darüber hinaus gibt es andere Kandidaten, die sich für ein ökonomisch relevantes Dossier eignen. So schickt Lettland erneut – zum dritten Mal – Valdis Dombrovskis in Rennen. Der 53-jährige Physiker und Volkswirt war in der EU-Kommission bereits unter anderem für Finanzmarktregulierung zuständig. Und Polens Regierungschef Donald Tusk hat den Ständigen Vertreter Polens, also den EU-Botschafter, Piotr Serafin für den Posten in der EU-Kommission ausgewählt – angeblich mit Interesse am Posten des Haushaltskommissars. Als Kabinettschef des damaligen EU-Ratspräsidenten Tusk kennt er sich im politischen Brüssel perfekt aus, was bei Budgetverhandlungen hilfreich sein dürfte.
Italien als Unbekannte
Spanien darf sich Hoffnungen auf ein zentrales Ressort machen, entsendet die Regierung doch die Ministerin für den ökologischen Wandel, und damit eine der vier Stellvertreterinnen des Premiers. Noch völlig ungewiss ist derweil, welchen Posten von der Leyen für den EU-Kommissar oder die EU-Kommissarin aus Italien vorgesehen hat – Regierungschefin Giorgia Meloni besteht auf einem politisch bedeutenden Dossier. Kurzum: In der Chefetage des Berlaymont, des Hauptgebäudes der EU-Kommission, ist in den nächsten Tagen das große Knobeln angesagt.