Frankreich bekommt Mitte-Rechts-Regierung
Regierungsbildung Frankreich
Frankreich bekommt Mitte-Rechts-Regierung
Premierminister verspricht, Steuern für Mittelschicht nicht zu erhöhen – Barnier muss Misstrauensvotum fürchten
Gesche Wüpper, Paris
wü Paris
Fast zweieinhalb Monate nach den vorgezogenen Neuwahlen hat Frankreich endlich eine neue Regierung bekommen. Der Mitte-Rechts-Mannschaft von Premierminister Michel Barnier gehören 39 Frauen und Männer von Zentrums- und konservativen Parteien an. Einzige Ausnahme ist Justizminister Didier Migaud. Der ehemalige Präsident des Rechnungshofes war früher Mitglied der Sozialisten.
Dagegen ist kein Mitglied der Nouveau Front Populaire (NFP) in der Regierung vertreten. Das Linksbündnis von Sozialisten, Kommunisten, Grünen und der linksextremen Partei La France Insoumise (LFI) war bei den Wahlen auf die meisten Sitze gekommen. Es blieb jedoch weit entfernt von der absoluten Mehrheit und verfügt nur über einen relativ geringen Vorsprung zur Allianz der Partei Macrons sowie dem rechtsextremen Rassemblement National (RN).
Linke protestiert gegen geplante Regierung
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte sich nach den Neuwahlen mit der Suche nach einem Premierminister Zeit gelassen und Barnier erst vor zwei Wochen berufen. Dass er mit dem 73-jährigen ehemaligen Brexit-Unterhändler der EU ein Mitglied der konservativen Republikaner (LR) zum neuen Regierungschef machte, die bei den Wahlen nur schwach abschnitten, sorgt nicht nur bei der NFP für Unmut. Am Wochenende gingen deshalb erneut Tausende Franzosen auf die Straße. Die Verhandlungen mit verschiedenen Parteien über eine mögliche Beteiligung waren zuletzt so angespannt, dass Barnier sogar mit Rücktritt gedroht haben soll.
Ihn dürften jetzt schon bald Misstrauensanträge erwarten. Barniers Regierung bestehe aus den Verlierern der Wahl, kritisieren Vertreter der Links- und Rechtsextremen. „Diese Regierung hat keine Zukunft“, meint RN-Chef Jordan Bardella. Man müsse diese Regierung so schnell wie möglich wieder loswerden, sagt auch LFI-Chef Jean-Luc Mélenchon. Zwölf der Minister und Staatssekretäre Barniers gehören Renaissance an, der Partei Macrons, zehn den Republikanern, drei der Zentrumspartei Modem. Horizons, die Partei von Ex-Premierminister Edouard Philippe, stellt zwei Regierungsmitglieder genau wie die Mitte-Rechts-Partei UDI (Union des démocrates et indépendants).
Unbekanntes Duo für Schlüsselposten in Bercy
Neun Regierungsmiglieder waren bereits in der Vergangenheit Minister, davon acht unter Macron. Doch es gibt auch viele relativ unbekannte Gesichter, darunter Antoine Armand und Laurent Saint-Martin. Das Duo wurde für die zwei Schlüsselposten in Bercy nominiert. Armand, 33, ist nun Wirtschafts- und Finanzminister, Saint-Laurent, 39, Haushaltsminister. Armand stand bisher der Wirtschaftskommission der Nationalversammlung vor. Saint-Laurent ist seit 2023 Generaldirektor von Business France, der staatlichen Vermarktungsagentur der französischen Wirtschaft.
Barnier hatte bereits kurz nach seiner Berufung Jérôme Fournel, den früheren Büroleiter des bisherigen Wirtschaftsministers Bruno Le Maire, zu seinem Büroleiter ernannt. Als Innenminister hat er Bruno Retailleau, 63, geholt, der bisher für LR dem Senat angehörte. Der bisherige Europaminister Jean-Noël Barrot (Modem), 41, ist jetzt Außen- und Europaminister. Der Verteidigungsminister ist mit Sébastien Lecornu ebenfalls der alte geblieben. Der 38-Jährige hat dieses Amt seit 2022 inne. Einige Regierungsmitglieder aus den Reihen der Republikaner gelten so wie Retailleau oder die für Konsum zuständige Staatssekretärin Laurence Garnier als erzkonservativ und deshalb umstritten.
Keine Steuererhöhungen für die Mittelschicht
Bei einem letzten Treffen Donnerstag habe Barnier versprochen, keine Steuererhöhungen für die Mittelschicht und die arbeitenden Bevölkerung vorzunehmen, erklärte Barniers Amtsvorgänger Gabriel Attal. Er ist jetzt Fraktionsvorsitzender von Macrons Partei Renaissance. Dieses Versprechen Barniers sei entscheidend für die Abgeordneten seiner Partei gewesen, so Attal.
In den letzten Tagen war es zu Spannungen gekommen, nachdem Barnier erklärt hatte, er werde sich angesichts der ernsten Haushaltslage „keine steuerliche Gerechtigkeit verbieten“. Viele interpretierten diese Äußerung als Ankündigung für Steuererhöhungen. Die Renaissance-Abgeordneten hatten daraufhin gedroht, sich nicht an einer Regierung zu beteiligen, die Steuererhöhungen plane. Barnier soll zuletzt davon gesprochen haben, die Steuern könnten für diejenigen erhöht werden, die es sich leisten könnten. Unternehmensverbände fürchten deshalb, dass ihnen höhere Steuern und die Kürzung von Hilfen drohen.
Defizit droht 2024 auf 6% zu steigen
Barnier hat jetzt erneut seine Prioritäten genannt. Er will das Lebensniveau der Franzosen und den öffentlichen Dienst verbessern, Sicherheit garantieren, die Immigration im Griff behalten und die Integration verbessern. Außerdem will er die wirtschaftliche Attraktivität Frankreichs fördern, die öffentlichen Finanzen sanieren und die Umweltpolitik stärken.
Eine der wichtigsten Aufgaben, die seine Regierung erwartet, ist die Defizitbekämpfung. Das Ziel, das Defizit in diesem Jahr auf 5,1% zu senken, sei nicht einzuhalten, glaubt Rechnungshof-Chef Pierre Moscovici. Laut Informationen der Wirtschaftszeitung „Les Echos“ geht das Wirtschaftsministerium inzwischen davon aus, dass sich das Defizit in diesem Jahr von 5,5% auf 6% ausweiten könnte, wenn keine neuen Maßnahmen ergriffen werden.