Jakobs rückt an die Spitze von Philips
Von Helmut Kipp, Frankfurt
Inmitten einer kritischen Unternehmensphase tauscht der niederländische Medizintechnikkonzern Philips seinen CEO aus. Der langjährige Firmenchef Frans van Houten nimmt seinen Hut, zum 15. Oktober übernimmt Roy Jakobs. Der Nachfolger kommt aus den eigenen Reihen. Jakobs leitet aktuell das Segment Verbundene Pflege.
Der Aufsichtsrat und der derzeitige CEO seien übereingekommen, dass angesichts des bevorstehenden Endes der dritten Amtszeit van Houtens der richtige Zeitpunkt für einen Führungswechsel gekommen sei, teilt Philips mit. Nach einer umfassenden Bewertung externer und interner Kandidaten habe der Aufsichtsrat einstimmig beschlossen, Jakobs als neuen CEO vorzuschlagen.
Der Wechsel kommt ziemlich abrupt. Für den 30. September wird eigens ein außerordentliches Aktionärstreffen angesetzt, um die Ernennung von Jakobs zum CEO und President abzusegnen. Van Houten fungiert bis Ende April 2023 als Berater. Sein Vertrag lief bis zur Jahreshauptversammlung 2023.
Aktienkurs abgestürzt
Philips steht unter Druck, weil der Rückruf von Beatmungsgeräten zur Behandlung von Schlafapnoe hohe finanzielle Belastungen und kaum abschätzbare juristische Risiken mit sich bringt. Der Konzern geht nach letzten Angaben davon aus, dass 5,5 Millionen Geräte repariert oder ersetzt werden müssen. Bisher seien 3 Millionen Ersatzgeräte und Reparatursets hergestellt worden, teilte van Houten unlängst mit.
Ursache des Rückrufs ist ein zerfallender Schaumstoff, dessen Teilchen als möglicherweise krebserregend gelten. Laut Firmenangaben wurden bis Ende Juni 100 Sammelklagen eingereicht.
Mit enttäuschenden Quartalszahlen und einem trüben Ausblick sorgte der Konkurrent von Siemens Healthineers vor wenigen Wochen für zusätzliche Enttäuschung unter Investoren. Der Aktienkurs ist von etwa 50 Euro im April 2021 auf 20 Euro kollabiert. Den neuen Mann an der Firmenspitze begrüßten Investoren am Dienstag mit einem Kursplus von 3% im Handelsverlauf.
Für das laufende Jahr rechnet Philips nur noch mit einer operativen Marge von rund 10% und einem Umsatzwachstum auf vergleichbarer Basis im Vergleich zu 2021 von 1% bis 3%. Bisher hatte das Management einen Margenanstieg um 40 bis 90 Basispunkte auf 12,4 bis 12,9% der Erlöse und eine Umsatzausweitung zwischen 3 und 5% in Aussicht gestellt. Im zweiten Quartal machten Philips vor allem die Lockdowns in China und Engpässe in den Lieferketten zu schaffen. Der Umsatz gab in vergleichbarer Rechnung um 7% auf 4,18 Mrd. Euro nach. Der um Sondereinflüsse bereinigte Ertrag vor Zinsen, Steuern und Goodwill-Abschreibungen (Ebita) brach von 532 Mill. in der Vorjahreszeit auf 216 Mill. Euro ein. Damit schrumpfte die Marge von 12,6% auf 5,2%.
Als neuer CEO steht der 1974 in Kerkrade geborene Jakobs vor der Herausforderung, eine Wende auf den Weg zu bringen. Der Manager, der als pragmatisch gilt, bringe eine „starke internationale, operative und transformatorische Erfolgsbilanz sowie ein tiefes Verständnis von Philips“ mit, heißt es in der Mitteilung. Jakobs kam 2010 zu dem Konzern. Zunächst war er bei Philips Lighting für Marketing und Strategie zuständig, dann leitete er die Geschäfte im Mittleren Osten und der Türkei und ging nach Schanghai.
2018 stieg er zum Leiter des Personal-Health-Segments auf und wechselte Anfang 2020 an die Spitze des Connected-Care-Segments, zu dem das Geschäft mit Patientenüberwachung, Beatmungsgeräten und Gesundheitsmanagement gehört. Sein Auftrag war, den Turnaround des Bereichs voranzubringen. Alsbald stand er in vorderer Reihe bei der Bewältigung der Corona-Pandemie, denn Philips-Beatmungsgeräte waren plötzlich extrem gefragt.
Auch der kostspielige Rückruf der schadhaften Geräte zur Behandlung von Schlafapnoe fällt in seine Zuständigkeit. Akquisitorische Erfahrung sammelte er mit den Übernahmen von Biotelemetry, Capsule Technologies und Cardiologs. Vor Philips arbeitete Jakobs für den Ölkonzern Shell und wechselte zum Medienunternehmen Reed Elsevier. Seine internationale Ausrichtung zeigt sich daran, dass er neben Amsterdam in Bologna, Lissabon, Dubai und Schanghai lebte. Der verheiratete Betriebswirt hat drei Söhne.
Restrukturierungsexperte
Der 1960 in Eindhoven geborene van Houten steht seit April 2011 an der Spitze von Philips. Mit seinem Namen ist vor allem der Umbau des einstigen Industriekonglomerats, das für seine Unterhaltungselektronik und Beleuchtung bekannt war, auf Produkte rund um Medizin- und Gesundheitstechnik wie bildgebende Diagnostik, Patientenmonitoring, klinische Software und Produkte für die persönliche Gesundheit wie elektrische Zahnbürsten und Rasierer verbunden. Zuletzt verkaufte er das Geschäft mit Haushaltsgeräten wie Kaffeemaschinen, Heißluftfritteusen, Akku-Staubsauger, Dampfbügeleisen und Luftreiniger. Der Niederländer gilt als Restrukturierungsexperte.
Van Houten kam 1986 zu Philips, wo er zunächst im Marketing und Vertrieb arbeitete, später zum Co-CEO der Sparte Consumer Electronics aufstieg, dann Halbleiter-Chef wurde und sich mit der Ausgliederung dieser Sparte 2006, mit der er bei Philips ausschied, einen Namen machte. Im Oktober 2010 kehrte von Houten zurück, um ein halbes Jahr später die Nachfolge von Konzernchef Gerard Kleisterlee anzutreten. 2012 stieß er die TV-Sparte ab, dann 2014 das Audio- und Videogeschäft und brachte im Mai 2016 die Beleuchtungssparte, die heute als Signify firmiert, als separates Unternehmen an die Börse.
Dass er seinem Nachfolger Baustellen hinterlässt, ist van Houten offenkundig bewusst. In der offiziellen Mitteilung lässt er sich mit den Worten zitieren: „Ich bin zwar stolz auf unsere zahlreichen Erfolge, aber es bleibt noch viel zu tun, um die Widerstandsfähigkeit von Philips zu stärken, damit wir die aktuellen Rückschläge und ungünstigen Marktbedingungen überstehen.“