Jamie Dimon sieht schwarz für die US-Konjunktur
Von Anna Sleegers, Frankfurt
Auf eine sanfte Landung der US-Konjunktur sollte man sich nach Ansicht von Jamie Dimon besser nicht einstellen. Wenige Tage nachdem der Chef von J.P. Morgan Chase in einem Interview des US-Senders CNBC bereits vor einer Rezession der größten Volkswirtschaft der Welt gewarnt hatte, legte er am Freitag auf einer Branchenkonferenz in Washington noch einmal nach. Zwar sei auch eine sanfte Landung, auf die unter anderem US-Präsident Joe Biden hofft, nicht völlig auszuschließen. Er selbst glaube jedoch nicht daran, sondern halte eine leichte oder schwere Rezession für wahrscheinlicher, so der Chef der größten US-Bank. „In einer schweren Rezession könnte der Markt um weitere 20 bis 30% einbrechen“, ergänzte er.
Vergangenheit bei der Fed
Dimons Worte haben Gewicht. Der 66-jährige New Yorker, der mit seinem vollen grauen Haar den Silver Ager so glaubwürdig verkörpert, wie es nur Amerikaner vermögen, ist nicht nur der am längsten amtierende Chef einer Wall-Street-Bank, sondern auch ein früherer Notenbanker. Bevor der Havard-Absolvent im Jahr 2005 die Geschäfte bei J.P. Morgan Chase übernahm, gehörte er dem Direktorium der Federal Reserve Bank of New York an.
Angesichts dieses beruflichen Werdegangs wirkt die von ihm auf der Konferenz geäußerte Befürchtung besonders beunruhigend, dass es den geldpolitischen Entscheidern wahrscheinlich nicht gelingen werde, die überhitzte US-Wirtschaft abzukühlen, ohne eine Rezession zu verursachen. Sein Bauchgefühl sage ihm, so Dimon weiter, dass die US-Notenbank die Leitzinsen wahrscheinlich stärker anheben muss als die 4 bis 4,5%, von denen die meisten Ökonomen derzeit ausgehen. 2022 hat die Federal Reserve den Leitzins in fünf Schritten auf zuletzt 3,25% angehoben, während er in der Eurozone bei 1,25% liegt.
Anders als die europäischen Banken, denen die jüngsten Zinserhöhungen in die Hände spielen, leiden zumindest die großen US-Institute tendenziell unter steigenden Zinsen. Im Gegensatz zu den meist vor allem von den Zinserträgen abhängigen hiesigen Wettbewerbern erzielen J.P. Morgan Chase und die anderen großen US-Institute einen großen Teil ihrer Erlöse mit Beratungsprovisionen. Doch das lukrative Geschäft mit der Beratung bei Übernahmen und Fusionen ist eingebrochen, weil die potenziellen Käufer Schwierigkeiten haben, die Finanzierung auf die Beine zu stellen.
Dimon gehörte neben Morgan-Stanley-Chef James P. Gorman zu den hochrangigen US-Bankern, die schon vor einem Jahr warnten, dass es sich bei der steigenden Teuerung keineswegs um ein temporäres Problem infolge gestörter Lieferketten handele (vgl. BZ vom 15.10.2021). Auf die US-Geldpolitik unter Notenbankpräsident Jerome Powell lässt er jedoch nichts kommen. Eine Stagflation, so der Banker, wäre weitaus schlimmer als alle anderen möglichen Folgen der Bemühungen der Federal Reserve.