Konkurrenz für VWs Mister Ladeinfrastruktur
Konkurrenz für Mister Ladeinfrastruktur
Von Sebastian Schmid, Frankfurt
Volkswagen ist in der Elektromobilität schon länger auf anderen Pfaden unterwegs als die anderen traditionsreichen Wettbewerber – teils erzwungenermaßen infolge des Diesel-Skandals, teils aus grundsätzlich anderer Auffassung von der Marktentwicklung. Das zeigt sich besonders daran, wie der Konzern das Thema Ladeinfrastruktur angeht. Während andere Konzerne über Jahre vor allem auf Appelle an die Politik gesetzt haben, baut Volkswagen umfangreich selbst an der Infrastruktur mit. In den USA hat die Tochter Electrify America als Auflage nach dem Diesel-Skandal ein landesweites Netz zum E-Auto-Laden aufgebaut. Neben Tesla ist Volkswagen in Nordamerika der einzige relevante Ladenetzbetreiber. Aufgebaut hat das Netz Giovanni Palazzo, der von August 2018 bis vor wenigen Wochen Chef von Electrify America war.
Nach Amerika nun Europa
Mittlerweile ist der gebürtige Italiener, der in Rom studiert hat, mit der nächsten großen Aufgabe betraut. Der Senior Vice President Volkswagen Charging Group soll als CEO von Elli in Europa wiederholen, was in Nordamerika bereits recht gut gelungen ist: den Ausbau des Schnellladenetzes und Aufbau einer eigenen Smart-Energy-Plattform. Ziel ist dabei eine enge Kooperation zwischen Elli und Electrify America, die neue Geschäftsmodelle abstimmen und möglichst international ausrollen sollen. Palazzo ist bei Elli auf Elke Temme gefolgt, die die Leitung aufgrund eines gesundheitlichen Notfalls in der Familie im Februar mit sofortiger Wirkung niedergelegt hatte.
War Temme intern als Miss Elli bekannt, dürfte man Palazzo längst als Mister Ladeinfrastruktur bezeichnen. Zumal Volkswagen unter den traditionellen Autobauern bisher der einzige ist, der den für die Ladeinfrastruktur zuständigen Manager so ins Rampenlicht stellt. Bislang zumindest. Denn kaum hat Palazzo die USA verlassen, tun sich dort sieben Autobauer zusammen, um in einem Joint Venture ein neues offenes Schnellladenetz in Nordamerika aufzubauen. BMW, General Motors, Honda, Hyundai, Kia, Mercedes-Benz und Stellantis wollen mindestens 30.000 Schnellladepunkte in Städten und an Autobahnen errichten.
Von Mercedes zu VW
Noch ist unklar, wer das Gemeinschaftsunternehmen führen wird. Allerdings dürfte es mit der neuen Rolle eine weitere Person jenseits der Chefetagen der Autobauer sein, die das Thema vorantreibt. Als Mercedes Anfang des Jahres den Aufbau eines Schnellladenetzes ankündigte, war es noch CEO Ola Källenius, der dazu zitiert wurde. Dabei hatte Mercedes bzw. Daimler einst einen geeigneten Kandidaten im Haus. Palazzo war bis 2011 mehr als sechs Jahre bei dem Stuttgarter Autobauer, ehe es ihn nach Wolfsburg zog. Palazzo ist damit auch einer der wenigen Automanager aus Schwaben, der sich dauerhaft bei Volkswagen behaupten konnte.
Bei BMW wird das Thema Ladeinfrastruktur zumindest öffentlich meist von Oliver Zipse vorgetragen. Auch bei den anderen Autobauern, die sich am Joint Venture beteiligen, stehen die zuständigen Manager eher in der zweiten Reihe. Und bei Tesla, dem neben Electrify America zweiten großen Ladenetzbetreiber in Nordamerika, wird ohnehin immer suggeriert, dass CEO Elon Musk die einzig relevante Figur ist. Ladenetzausbau war bislang entweder Chefsache oder die Sache von Palazzo. Demnächst wird Mister Ladeinfrastruktur sich seinen Titel womöglich teilen müssen. Angesichts der zentralen Bedeutung des Themas für den Hochlauf der Elektromobilität ist das allerdings auch überfällig.