Krach um Vorstandschef Diess verschärft sich
dpa-afx/ste
Ein neu aufgeflammter Streit zwischen Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess und Mitgliedern des Aufsichtsrats über den Umbau von Europas größtem Fahrzeugbauer in Richtung Elektromobilität und Digitalisierung sowie das von dem seit April 2018 amtierenden Vorstandsvorsitzenden eingeforderte höhere Tempo hat sich offenbar verschärft. Vor einer am Donnerstag geplanten Betriebsversammlung in Wolfsburg machten Spekulationen die Runde, wonach der 63-Jährige mit Vertretern des Betriebsrats und des mit 20% an Volkswagen beteiligten Landes Niedersachsen aneinandergeraten sein soll. Dass Diess möglicherweise in Ungnade gefallen sei, wollte in Konzernkreisen niemand offen sagen. Aber die Stimmung, so mehrere Personen im Umfeld der Kontrolleure, sei denkbar schlecht.
Nach Informationen des „Handelsblatts“ etwa sollen führende Köpfe bei einer Besprechung in der vergangenen Woche Diess sogar ihr Misstrauen ausgesprochen haben. Vorbereitet sei inzwischen außerdem, den Vermittlungsausschuss im Aufsichtsrat mit der Vorstandsbesetzung zu befassen. Dass solche Verfahrensschritte förmlich schon eingeleitet worden seien, dementierte eine Quelle. Unabhängig davon und ganz allgemein sei man jedoch zunehmend irritiert vom Verhalten des Konzernchefs.
Von anderer Seite hieß es, es liefen in kleinerem Kreis vertrauliche und konstruktive Gespräche zum weiteren Vorgehen. Mit der Streitschlichtung soll sich offenbar ein Kreis des Aufsichtsratspräsidiums befassen, dessen Teilnehmer auch dem Vermittlungsausschuss angehören. Aktuell lautet die Erwartung, dass eine Lösung herbeigeführt werden kann. Eine Garantie dafür gebe es zwar nicht, die atmosphärischen Störungen seien aktuell heftig. Aber es sei „auch nicht so, dass jetzt ein Tornado durch Volkswagen“ wüte.
Ein Betriebsratssprecher sagte auf Anfrage, Medienspekulationen zu Themen des Aufsichtsrats könne man nicht kommentieren. Der Haussegen bei Volkswagen hängt bereits seit einigen Wochen wieder schief. Vor allem Betriebsräte bemängeln den Kommunikationsstil von Diess und fühlen sich provoziert. Unterstützer des Managers halten mit Blick auf die Lage am unterausgelasteten Stammsitz Wolfsburg seine Weckrufe zur Kostensituation dagegen für durchaus angebracht.
Ende September hatte Diess bei einer Aufsichtsratssitzung eine Zahl von angeblich bis zu 30000 gefährdeten Jobs bei VW ins Spiel gebracht. Anschließend betonte er allerdings, das sei lediglich als mögliches „Extremszenario“ gemeint gewesen, falls das Unternehmen in den nächsten Jahren nicht deutlich effizienter werde und den Umbruch in Richtung Elektromobilität und Digitalisierung nicht entschlossen fortsetze.
Zu der für Donnerstag geplanten Betriebsversammlung wollte Diess zunächst nicht kommen, sondern einen Termin bei US-Investoren vorziehen. Die neue Volkswagen-Betriebsratschefin und -Aufsichtsrätin Daniela Cavallo kritisierte ihn daraufhin ungewöhnlich scharf und warf ihm vor, sich in der aktuellen Gemengelage aus Produktionsausfällen, Kurzarbeit und Branchenwandel nicht für die Sorgen der Belegschaft zu interessieren. Später kündigte Diess doch sein Erscheinen an.
Der Österreicher, der Mitte 2015 nach Wolfsburg kam, um zunächst als Chef von Volkswagen Pkw die zu wenig profitable Kernmarke des Konzerns auf Rendite zu trimmen, hatte im Sommer einen neuen, bis 2025 laufenden Vertrag erhalten. Zuvor soll Diess eine vorzeitige Verlängerung seines bis 2023 laufenden Vertrags eingefordert haben. Mitte 2020 hatte es noch heftiger gekracht, als der Vorstandschef Mitgliedern des Aufsichtsrats vor Managern Indiskretionen und strafbares Verhalten vorgehalten haben soll. Damals soll Diess dem Rauswurf nur durch eine persönliche Entschuldigung knapp entgangen sein.