Neuer CEO soll Intel aus der Krise führen
Neuer CEO soll Intel aus der Krise führen
Von Alex Wehnert, New York
Im August 2024 schließt Lip-Bu Tan für sich eigentlich mit dem Kapitel Intel ab. Der Chipveteran verlässt im vergangenen Spätsommer nach zwei Jahren den Verwaltungsrat des kalifornischen Halbleiterkonzerns – offenbar, weil er nicht mit dem Kurs des damaligen CEO Pat Gelsinger einverstanden ist. Nun, nur etwas mehr als ein halbes Jahr später, ist Tan schon wieder zurück: Der 65-Jährige soll in der kommenden Woche den Vorstandsvorsitz von Intel übernehmen.
Großer öffentlicher Druck
Der in Malaysia geborene und in Singapur aufgewachsene Manager stand zwischen 2008 und 2021 an der Spitze des Halbleitersoftware-Designers Cadence und verhalf diesem zu einer Kehrtwende. Durch „kundenzentrierte Innovation“, so die Beschreibung von Intel, habe er dort den Umsatz verdoppelt, die Margen angekurbelt und der Aktie einen Höhenflug beschert. Beim angeschlagenen Patienten aus Santa Clara soll Tan nun eine ähnliche Wunderheilung vollbringen – allerdings unter größerem öffentlichen Druck.
„Wir werden hart daran arbeiten, Intel wieder als Weltklasse-Produktanbieter zu etablieren“, schrieb der neue Chef an seine Mitarbeiter. Die Anleger reagieren jedenfalls enthusiastisch auf seine Ernennung: Die Intel-Aktie, die ihren Wert über das vergangene Jahr hinweg mehr als halbiert und damit eine drastische Underperformance gegenüber dem Rest des Halbleitersektors hingelegt hat, zog im nachbörslichen Handel am Mittwoch zeitweise um 13% an. Im bisherigen Jahresverlauf profitiert sie bereits von Deal-Spekulationen und der protektionistischen Handelsstrategie der neuen Regierung in Washington.
Zentrale Rolle in US-Chipstrategie
Denn Intel gilt als einziges US-Unternehmen, das über ausreichende Kapazitäten verfügt, um im großen Stil Chips für Anwendungen künstlicher Intelligenz fertigen zu können. US-Vizepräsident JD Vance hatte auf dem AI Summit in Paris im Februar angekündigt, regulatorische Hürden für inländische Produzenten von KI-Systemen abbauen zu wollen. Exzessive Vorgaben und ein übermäßiger Fokus auf Sicherheit, wie sie die EU praktiziere, schüfen nicht nur „unfaire Vorteile für alteingesessene Vertreter im Segment“, sondern lähmten auch „eine der vielversprechendsten Technologien, die wir seit Jahrzehnten gesehen haben“.
Analysten der Investmentbank Robert W. Baird berichteten zuletzt, dass Washington versuche, einen Deal zwischen Intel und dem Auftragsproduzenten TSMC anzubahnen. Demnach könnte der US-Konzern, der den Boom um künstliche Intelligenz nach Eingeständnis des im Dezember abgetretenen CEO Pat Gelsinger schwer unterschätzt hatte, sein Fertigungsgeschäft abspalten und in ein Joint Venture unter Führung der taiwanesischen Konkurrentin überführen. Befürworter einer solchen Partnerschaft versprechen sich hohe Effizienzgewinne, nachdem Intel in den vergangenen drei Jahren nahezu 40 Mrd. Dollar an Cash verbrannte, um ihre Produktionsprozesse auf den Stand der Rivalin aus Fernost zu bringen. Zugleich bliebe die Fertigung von Intel amerikanisch kontrolliert.
Deal-Gespräche in frühem Stadium
Broadcom soll indes Interesse am Chipdesign- und Marketing-Geschäft der Konkurrentin haben. Allerdings will das Unternehmen wohl nur dann ein Gebot abgeben, wenn es einen anderen Abnehmer für die Fertigung von Intel findet. Interims-CEO Zinsner – der nun wieder seine alte Rolle als Finanzchef übernehmen soll, während die kommissarische Co-Chefin Johnston Holthaus zurück auf den Spitzenposten der Produktsparte geht – betonte zuletzt, dass Gespräche über mögliche Deals sich noch in sehr frühen Phasen befänden.
Tan sieht nach eigenen Angaben indes großes Potenzial, organische Verbesserungen bei Intel herbeizuführen und den Shareholder Value zu steigern. Der Konzern verfüge über eine leistungsstarke Computing-Plattform, die sich von der Konkurrenz abhebe, eine große vorhandene Kundenbasis und robuste Fertigungsstrukturen. Auch Vorgänger Gelsinger hatte bei seinem Amtsantritt 2021 gelobt, Intel zum alten Glanz zu führen. Im Rahmen einer mehrjährigen Strategie wandte er Milliarden für den Bau neuer Fabriken und die Expansion des Auftragsfertigungsgeschäfts auf.
Prominente Kunden verschreckt
Letzteres wirbt bisher allerdings vergeblich um Großkunden: Tesla und Qualcomm erwogen laut Insidern, Chips von Intel produzieren zu lassen, nahmen davon aber Abstand. Der E-Autobauer soll sich aufgrund eines eingeschränkten Service-Angebots des einstigen Halbleiter-Marktführers zurückgezogen haben, das Computing-Unternehmen angeblich wegen technischer Fehlleistungen bei Intel. Derweil leidet das Kerngeschäft der Kalifornier mit Chips für PCs und Server unter dem Erstarken von Nvidia, während selbst lange belächelte Konkurrenten wie AMD Marktanteile gewinnen.
Tan übernimmt die Führung bei Intel zu einem Zeitpunkt, zu dem Intel mit Massenentlassungen um dringend benötigte Einsparungen ringt. Der unter Gelsinger beschlossene Abbau von 15.000 Stellen soll die Kosten ab dem laufenden Jahr um 10 Mrd. Dollar drücken. Für den alten CEO, betonen Wegbegleiter, sei der Umbruch bei Intel eine Herzensangelegenheit gewesen. Tan gilt hingegen als weniger stark emotional involviert.
Vernetzter Venture-Investor
Der Sohn einer aus China stammenden Familie kam in den späten 1970er Jahren in die USA, um einen Doktorgrad am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Nukleartechnik zu erwerben. Nach dem Reaktorunfall auf Three Mile Island 1979 wechselte er angesichts eingetrübter Jobaussichten im Atomenergie-Sektor jedoch an die University of San Francisco, die er als Master of Business Administration verließ. 1987 gründete er die Venture-Capital-Gesellschaften Walden International. Durch Investments in die Halbleiter- und Digital-Media-Branche sowie alternative Energien verhundertfachte er deren Assets binnen weniger als 15 Jahren auf 2 Mrd. Dollar.
Heute gilt der Vater zweier erwachsener Kinder, der 2004 in den Verwaltungsrat von Cadence aufrückte und 2008 den Vorstandsvorsitz des Software-Designers übernahm, als einer der am besten vernetzten Manager der Technologiebranche. Seine guten Kontakte kann er bei seinem bisher wohl schwierigsten Projekt, der Wunderheilung von Intel, gut gebrauchen.