GastbeitragHauptversammlungen

Aufsichtsräte zwischen Baum und Borke

In der kommenden Hauptversammlungssaison dürfte es an kontroversen Themen nicht mangeln. Im Fokus stehen das virtuelle Format, Vorstandsvergütung und Klimapolitik.

Aufsichtsräte zwischen Baum und Borke

Aufsichtsräte zwischen Baum und Borke

Die nächste Hauptversammlungssaison verspricht einige Spannung − Vorstandsvergütung im Fokus

Von Klaus von der Linden *)

Die Hauptversammlungssaison 2025 verspricht in mehrfacher Hinsicht spannend zu werden. Es gibt eine ganze Reihe herausragender Transaktionen und Erwägungen, die schon heute hohe Wellen schlagen – zum Beispiel das erfolgreiche freiwillige Übernahmeangebot von Adnoc bei Covestro, den Spin-off des Automotive-Geschäfts bei Continental oder das nachdrückliche Interesse von Unicredit am Ausbau ihrer Position bei der Commerzbank. Überdies werden sich auf den Tagesordnungen der börsennotierten Unternehmen einige besondere Punkte finden.

Virtuell oder Präsenz?

Dazu gehört die Verlängerung der Ermächtigung, Hauptversammlungen nicht nur im klassischen Präsenzformat abzuhalten, sondern alternativ auch im „neuen“ virtuellen Format. Seit dem Sommer 2022 ist diese Möglichkeit im Aktienrecht verankert. Nahezu alle börsennotierten Aktiengesellschaften haben sich im Jahr 2023 eine solche Ermächtigung in ihrer Satzung erteilen lassen – dies allerdings zumeist nicht für die gesetzliche Maximaldauer von fünf Jahren, sondern wegen restriktiver Leitlinien mancher Investoren und Stimmrechtsberater nur für zwei Jahre. In der Saison 2025 muss der Punkt somit turnusmäßig wieder auf die Agenda.

SAP und BASF wechseln Format

Der Rückblick auf die Jahre 2023 und 2024 zeigt, dass das neue virtuelle Format in erheblichem Umfang genutzt wird. Es hat die Präsenzversammlung aber keineswegs verdrängt: Im Dax haben sich in beiden Jahren rund drei Viertel der Unternehmen für das virtuelle Format entschieden, ein Viertel für die Präsenz, teils mit digitalem Zusatzangebot. Im MDax hingegen sind die Verhältnisse ausgeglichen, im SDax sowie bei Börsenunternehmen außerhalb der Dax-Indizes überwiegt klar die physische Zusammenkunft. Doch zeichnen sich für das kommende Jahr einige Verschiebungen ab, auf höchster Ebene etwa bei SAP und BASF, die beide nach zwei Jahren Präsenzversammlung erstmals das neue virtuelle Format nutzen möchten.

Keine unüberwindbaren Hürden

Was ist zu beachten, wenn die Unternehmen im kommenden Jahr eine neue Ermächtigung erbitten? Die gesetzlichen Anforderungen an den Beschlussvorschlag sind eher gering, die der Investoren und Stimmrechtsberater aber umso höher. Drei Punkte gilt es im Blick zu behalten:

Erstens sprechen sich manche Akteure wie etwa der Deutsche Fondsverband BVI abermals gegen Laufzeiten von mehr als zwei Jahren aus. Zweitens verlangen sie eingehende Erläuterungen zum Ob und Wie der künftigen Nutzung. Und drittens fordern sie, den Aufsichtsrat mit in die Verantwortung zu nehmen, die Ermächtigung des Vorstands also in der Satzung unter einen Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats zu stellen. Das alles sind wichtige Aspekte, aber gewiss keine unüberwindbaren Hürden.

Widerstand auf Investorenseite

Schwerer wiegt jedoch ein weiterer Punkt: Wie zu hören ist, empfinden einige – auch ausländische – Investoren die Nutzung des virtuellen Formats durch deutsche Emittenten als übermäßig. Denn im Ausland kommen rein digitale Versammlungen seit dem Ende der Pandemie offenbar nicht mehr so zahlreich vor. Aktionärsschützer möchten darin einen Wegweiser auch für deutsche Emittenten erkennen. Die Schutzvereinigung DSW hat darum jüngst zehn Dax-Schwergewichte mit besonderem Hang zum virtuellen Format per Brief an die Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden zur Rückkehr in die Präsenz aufgefordert – bislang mit ungewissem Erfolg. Wer sich weigert, muss allerdings mit Widerstand rechnen, wenn er im kommenden Jahr seine bisherige Ermächtigung zur Verlängerung vorschlägt – schon allein aus diesem Grund.

Ähnlich könnte sich der einflussreiche Stimmrechtsberater ISS positionieren. Er hat jüngst neue Richtlinien zur Konsultation gestellt. Als ein Abwägungspunkt taucht darin die bisherige Nutzung des digitalen Formats auf, außerdem der Wunsch, dass die Emittenten wieder vermehrt in Präsenz tagen. Die finalen Guidelines stehen allerdings noch aus.

Druck auf Vergütungssysteme

Darüber hinaus steht für viele börsennotierte Unternehmen wieder der Say on Pay an. Gemeint ist damit zweierlei: die Billigung des Vergütungssystems für die Vorstandsmitglieder sowie die Festlegung oder Bestätigung der Aufsichtsratsvergütung – jeweils durch Beschluss der Hauptversammlung. Infolge der Zweiten EU-Aktionärsrechte-Richtlinie müssen die Anteilseigner hierüber mindestens alle vier Jahre abstimmen. Der erste Durchlauf fand teilweise schon im Jahr 2020 statt, in den meisten Fällen allerdings erst in 2021. Daher endet der vierjährige Maximalturnus für die meisten Unternehmen im Jahr 2025.

Anders ist dies nur, wenn Unternehmen in den Jahren 2024, 2023 oder 2022 bereits vorzeitig neu vorgelegt haben, beispielsweise zur Neuausrichtung ihrer Vergütungspolitik. So verhält es sich vielfach im Dax. Hier sind deshalb nur 13 von 40 Unternehmen verpflichtet, ihre Hauptversammlung allein aufgrund des Turnus erneut mit dem System der Vorstandsvergütung zu befassen. Ihre Aufsichtsratsvergütung müssen sogar nur zehn Dax-Unternehmen wieder vorlegen. Unterhalb der ersten Börsenliga sind allerdings deutlich mehr Unternehmen betroffen.

Inhaltlich einiges zu tun

Inhaltlich gibt es einiges zu tun: Die Aufsichtsräte müssen spätestens jetzt prüfen, ob die bestehenden Vergütungssysteme noch angemessen sind und die notwendige breite Zustimmung der Investoren erwarten lassen. Zwar sind die gesetzlichen Leitplanken der Organvergütung seit dem Jahr 2020 nahezu unverändert – ebenso wie die flankierenden Empfehlungen und Anregungen im Corporate Governance Kodex. Die Erwartungen von Investoren und Stimmrechtsberatern, etwa mit Blick auf Regelungsdichte, Erfolgsziele, Vergleichsgruppen und Ermessensspielräume, dürften aber nochmals deutlich gestiegen sein.

Mehr Gewicht für ESG-Ziele

Das gilt auch für die Verankerung von ESG-Zielen in der variablen Vorstandsvergütung. Vor vier Jahren genügte oft noch eine eher moderate Berücksichtigung im Jahresbonus. Heute muss das Thema ESG in den Augen vieler, insbesondere europäischer Aktionäre mehr Gewicht erhalten. Besonders wichtig ist dabei, die ESG-Ziele im Vergütungssystem mit denjenigen zu verknüpfen, die das Unternehmen im neuen CSRD-Nachhaltigkeitsbericht als wesentlich herausstellen möchte. Investoren werden hierauf ein besonderes Augenmerk haben.

Im Übrigen können die Unternehmen wichtige Impulse aus der jährlichen Abstimmung über ihren Vergütungsbericht ableiten. Im Dax sind die Zustimmungsquoten zum Vergütungsbericht in der Saison 2024 bemerkenswert hoch ausgefallen: 31 von 40 Dax-Unternehmen haben Werte oberhalb von 90% erreicht, weitere sieben immerhin noch oberhalb der „magischen Grenze“ von 80%, kein einziges Dax-Unternehmen ist „durchgefallen“. Und dennoch: Investoren, Stimmrechtsberater und Aktionärsschützer begründen ihr Stimmverhalten regelmäßig oder stehen mit den Unternehmen hierzu sogar im Dialog. Auch ein positives Votum kann begleitet sein von wertvollen Anregungen zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Systems.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Investoren als heterogene Gruppe nicht einheitlich auf die Vorstandsvergütung blicken. Was einige besonders wünschen, kann anderen zuwider sein. Das gilt auch in puncto ESG. Der Wahlausgang in den USA wird diese Kluft eher noch vertiefen. Aufsichtsräte können dann zwischen Baum und Borke kommen – denn je nach Aktionärskreis stellt selbst ein ausgefeiltes Vergütungssystem nicht jeden wichtigen Investor zufrieden.

Zurückhaltung bei Klima-Beschlüssen

Abzuwarten bleibt, ob die Saison 2025 auch wieder einen Say on Climate hervorbringen wird. Einen ersten „Testballon“ startete hierzulande im Jahr 2023 die Alzchem Group, indem sie auf freiwilliger Basis einen Konsultativbeschluss über ihren „Klimafahrplan“ einholte. Im Jahr 2024 folgte die GEA Group mit einer ähnlichen Vorlage. Beide Gesellschaften konnten sich hohe Zustimmungswerte sichern und außerdem von der Rolle als „first mover“ profitieren.

Kürzlich wurde berichtet, dass Bayer für die kommende Hauptversammlungssaison 2025 ebenfalls einen Say on Climate erwägt. Falls dies so käme, hätte ein solcher Vorstoß auf höchster Dax-Ebene sicherlich eine erhebliche Strahlkraft und Sogwirkung.

Klimapolitik auf der Agenda

Andere Unternehmen zeigen sich allerdings noch zurückhaltend – vor allem, weil der Say on Climate in der Sache stets auch ein Say on Strategy ist. Außerdem kommt die Klima- und Umweltpolitik eines Unternehmens in der Hauptversammlung auch ohne Say on Climate durchaus zur Geltung. Dies wird noch mehr gelten, wenn die Unternehmen nach Umsetzung der CSRD in erheblich gesteigertem Maße über Nachhaltigkeit berichten und sich der darauf bezogenen Debatte stellen müssen.

*) Dr. Klaus von der Linden ist Partner im Fachbereich Gesellschaftsrecht/M&A von Linklaters in Düsseldorf.

Dr. Klaus von der Linden ist Partner im Fachbereich Gesellschaftsrecht/M&A von Linklaters in Düsseldorf.