Ausländische Subventionen im Fokus der EU
Von Julius Brandt und
Marcel Nuys *)
Die Europäische Union hat eine politische Einigung über die Verordnung über wettbewerbsverzerrende Drittstaatensubventionen erzielt. Parlament und Rat gaben am 30. Juni 2022 bekannt, die Vorschläge der EU-Kommission aus dem Mai 2021 zu unterstützen. Wird die Verordnung bis Jahresende auch formal verabschiedet, könnten bereits im zweiten Quartal 2023 neue Notifizierungspflichten gelten – mit weitreichenden Folgen u. a. für M&A-Transaktionen.
Ziel der Verordnung ist es, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen für EU-Unternehmen und ihre Wettbewerber aus Drittstaaten, die oftmals weit weniger strengen Subventionsregeln unterliegen. Dazu werden drei neue Kontrollinstrumente eingeführt, anhand derer die Kommission prüfen kann, ob Drittstaatensubvention zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen.
Transaktionen sind dann anzumelden, wenn das erwerbende, eines der fusionierenden Unternehmen oder das neue Gemeinschaftsunternehmen seinen Sitz in der EU hat und hier einen Gesamtumsatz von mindestens 500 Mill. Euro erzielt. Gleichzeitig muss die Summe der erhaltenen Drittstaatenzuwendungen in den drei Jahren vor der Anmeldung mindestens 50 Mill. Euro betragen haben. Ist die Kommission der Ansicht, dass es eine Drittstaatensubvention mit wettbewerbsverzerrender Wirkung gibt, darf die Transaktion nicht oder nur nach Erfüllung von Auflagen vollzogen werden.
Zweite Säule ist eine Notifizierungspflicht in Bezug auf subventionierte öffentliche Ausschreibungen. Bei einem Ausschreibungsvolumen von mindestens 250 Mill. Euro müssen Ausschreibungsteilnehmer jede Drittstaatenzuwendung von mindestens 4 Mill. Euro anmelden, die sie in den drei vorangegangenen Jahren erhalten haben. Bei Wettbewerbsverzerrung kann die Kommission die Auftragsvergabe entweder von Abhilfemaßnahmen abhängig machen oder diese untersagen.
Für beide Notifizierungsinstrumente gilt, dass die Kommission bei einem entsprechenden Verdacht eine Anmeldung selbst dann verlangen kann, wenn die genannten Schwellenwerte nicht erreicht werden.
Ganz generell soll die Kommission zudem mutmaßlich wettbewerbsverzerrende Drittstaatensubventionen von Amts wegen untersuchen können, die das Marktverhalten von Teilnehmern des Binnenmarkts beeinflussen. Aufgriffsschwellenwerte o. Ä. gibt die Verordnung nicht vor. Insoweit spannend wird die Entwicklung einer konsistenten Fall- bzw. Verwaltungspraxis der Kommission sein, die dem Instrument hoffentlich (mehr) Kontur verleiht.
Weit gefasster Begriff
Damit die neuen Regeln kein stumpfes Schwert bleiben, werden die neuen Instrumente flankiert durch weitreichende buß- und zwangsgeldbewehrte Untersuchungs‐ und Auflagenbefugnisse der Kommission. Sie kann den betroffenen Unternehmen umfangreiche Informationen abverlangen und ist befugt, Nachprüfungen in den Räumlichkeiten des Unternehmens in der EU und unter Umständen auch in dem Drittstaat durchzuführen. Inwieweit sich Letzteres durchsetzen lässt, bleibt vor dem Hintergrund der politischen Dimensionen abzuwarten. Schließlich hat die Kommission angedeutet, dass sie auch auf Hinweise von Wettbewerbern angewiesen sein wird, um effektiv wettbewerbsverzerrenden Drittstaatensubventionen entgegenzuwirken.
Der Begriff der „finanziellen Zuwendung“, die eine Anmeldepflicht auslösen kann, ist sehr weit zu verstehen. Erfasst ist letztlich jeder Transfer finanzieller Mittel, der von ausländischen öffentlichen Stellen veranlasst wird – beispielsweise auch die Vergütung von Waren und Dienstleistungen durch den Drittstaat –, selbst wenn diese marktüblich ist und somit kein „Vorteil“ im wirtschaftlichen Sinne vorliegt.
Liegt eine Drittstaatensubvention vor, muss die Kommission prüfen, ob die Subvention den Binnenwettbewerb verzerrt. Diese Frage will die Kommission anhand einer Reihe von Kriterien beantworten. Beispielsweise sollen Höhe und Art der Subventionen, aber auch die Wettbewerbsbedingungen betrachtet werden. Bei bestimmten Subventionen sieht die Verordnung ein besonders großes Gefährdungspotenzial für den Binnenwettbewerb, zum Beispiel bei unbegrenzten Garantien für Schulden oder – für den M&A-Kontext besonders relevant – Subventionen, die einen Zusammenschluss unmittelbar erleichtern. Wettbewerbsverzerrende Auswirkungen werden bei solchen Subventionen stets vermutet. Sprich: Unternehmen müssen in diesem Fall nachweisen, dass die Subvention den Binnenmarkt nicht verzerrt. Die Kommission prüft auch, ob etwaige nachteilige Effekte auf dem EU-Markt durch positive aufgewogen werden. Je nachdem, wie die Abwägung dazu ausfällt, kann die Kommission – ähnlich wie im Fusionskontrollverfahren – Abhilfe fordern oder auf Angebote der Unternehmen eingehen wie beispielsweise die Rückzahlung der Subvention.
Was bedeutet all das nun für die Transaktionspraxis? Man könnte schlicht sagen: Genaues weiß vermutlich noch nicht einmal die Kommission selbst. Sie wird möglicherweise versuchen, sich Präzedenzfällen zu bedienen, um dieses neue Tool – eine Mischung aus Fusionskontrollverfahren, öffentlichem Auftragswesen und staatlicher Beihilfe – mit Leben zu füllen. Insoweit wird es interessant sein zu sehen, ob sich die Kommission stärker am EU-beihilferechtlichen Subventionskonzept orientiert. Dies ist seit Jahrzehnten erprobt, und es herrscht zumindest in weiten Teilen Rechtssicherheit. In der neuen Verordnung heißt es, dass sie im Lichte des EU-Beihilferechts auszulegen ist, was Hoffnung auf eine gewisse Kontinuität weckt. Gleichwohl bleibt abzuwarten, welchen Ansatz die Kommission in der Praxis verfolgen wird. Bis dahin dürfte es für Unternehmen an der nötigen Rechtssicherheit fehlen.
Mit Blick auf die neue transaktionsbezogene Anmeldepflicht stellt sich zudem die Frage, wie sich diese zu einer fusionskontrollrechtlichen Anmeldepflicht bei der Kommission verhält, da die Verordnung ausdrücklich das Nebeneinander der Verfahren anerkannt. Ein gewisser Gleichlauf wäre mit Blick auf die Transaktionssicherheit wünschenswert. Schon jetzt ist absehbar, dass für Zwecke der neuen Anmeldepflicht vermutlich deutlich umfangreichere Informationen übermittelt werden müssen.
Sanktionen bei Verstößen gegen die neue Anmeldepflicht sind aus der Fusionskontrolle bekannt. Das Unternehmen kann mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu zehn Prozent seines Jahresgesamtumsatzes belegt werden. Zudem droht die Rückabwicklung der Transaktion.
Zu erwarten ist, dass die Verordnung bis Ende 2022 in Kraft treten wird. Anwendbar dürfte sie dann sechs Monate später, mutmaßlich im zweiten Quartal 2023 sein, wobei die Meldepflichten neun Monate ab Inkrafttreten gelten werden. Die Kommission hat die Arbeit an Durchführungsrechtsakten begonnen, in denen nähere Einzelheiten zu Verfahrensfragen festgelegt werden. Dies betrifft vor allem die erforderliche Form und den Inhalt der Anmeldungen im Rahmen der beiden anmeldegestützten Instrumente.
Komplexität steigt
Für Unternehmen, die in der EU aktiv sind und hier investieren wollen, läuft die Zeit. Zu raten ist ihnen, mit der erforderlichen Due-Diligence-Prüfung so früh wie möglich zu starten, um Risiken abschätzen und etwaige Meldepflichten nach der Verordnung erfüllen zu können. Ein potenzieller Bieter, der ein Investment in der EU erwägt, sollte zeitnah erfassen, inwiefern er in den vergangenen drei Jahren potenzielle Drittstaatenzuwendungen erhalten hat. Eine für viele Bieter vermutlich herausfordernde Aufgabe. Sodann ist abzuschätzen, inwieweit diese Zuwendungen als wettbewerbsverzerrend im Sinne der Verordnung gewertet werden könnten. Das Ergebnis dieser Analyse ist schließlich gemessen am finalen Wortlaut der Verordnung und den Hinweisen der Kommission zu Form und Inhalt von Meldungen zu verifizieren.
Insgesamt ist zu erwarten, dass die Verordnung den Unternehmen einiges abverlangen wird. Sicherer und weniger komplex werden M&A-Transaktionen damit gewiss nicht.
*) Dr. Julius Brandt und Dr. Marcel Nuys sind Partner von Herbert Smith Freehills in Frankfurt und Düsseldorf.