Die Qualifikationsmatrix im Kodex: Wie und für wen
Mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 27. Juni 2022 ist der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) in der Fassung vom 28. April 2022 in Kraft getreten. Seine Empfehlungen sind von den betroffenen Gesellschaften bei Abgabe der nächsten turnusmäßigen Entsprechenserklärung jedenfalls bezogen auf die zukunftsgerichteten Aussagen zu berücksichtigen. Neben Änderungen, die sich als Folge des Inkrafttretens des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) ergeben haben, wird mit der jüngsten Reform ein besonderes Gewicht auf die nachhaltige Unternehmensführung gelegt.
Angepasst wurden in diesem Zusammenhang auch die Vorgaben für die Darstellung der Anforderungen an die Zusammensetzung des Aufsichtsrats (Empfehlung C.1 DCGK). Danach soll der Aufsichtsrat – wie bisher – konkrete Ziele für seine Zusammensetzung benennen, ein Kompetenzprofil für das Gesamtgremium erarbeiten und dabei auf Diversität achten. Im Einklang mit der verstärkten Ausrichtung der Neufassung auf eine nachhaltige Unternehmensführung soll das Kompetenzprofil des Aufsichtsrats dabei nunmehr auch Expertise zu den für das Unternehmen bedeutsamen Nachhaltigkeitsfragen umfassen. Wie bisher sollen die Vorschläge des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung diese Ziele berücksichtigen und gleichzeitig die Ausfüllung des Kompetenzprofils für das Gesamtgremium anstreben.
Neu und für die Unternehmen von praktischer Bedeutung ist aber vor allem, dass der Stand der Umsetzung in Form einer Qualifikationsmatrix in der Erklärung zur Unternehmensführung offengelegt werden soll. Dieser Begriff war in der Konsultationsfassung des DCGK noch nicht enthalten und hat erst Eingang in die final verabschiedete Fassung des Kodex gefunden. Die Regierungskommission scheint sich hierdurch eine erhöhte Übersichtlichkeit der Darstellung zu versprechen, wenngleich sie – was zu begrüßen ist – auf die Einführung von entsprechenden Mustertabellen wie vormals zur Vorstandsvergütung verzichtet hat.
Während für Unternehmen aus regulierten Industrien spezialgesetzlich zum Teil weitergehende Anforderungen an die Eignung der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder gestellt werden (siehe etwa § 25d Abs. 1 Satz 1 Kreditwesengesetz), sind die Anforderungen an die Aufsichtsratsmitglieder bzw. an die Aufsichtsratszusammensetzung nach dem allgemeinen Aktienrecht vergleichsweise rudimentär geregelt. Insofern bestimmt § 100 Abs. 5 AktG für Unternehmen von öffentlichem Interesse – wie insbesondere börsennotierte Aktiengesellschaften – lediglich, dass die Mitglieder des Gremiums in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein müssen, und verlangt seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) zwei Finanzexperten. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass die Thematik der Aufsichtsratszusammensetzung – insbesondere mit Blick auf das Kompetenzprofil – seit einigen Jahren in der Diskussion steht und insbesondere auch von Seiten der Investoren weitergehende Anforderungen gestellt werden.
Auf dieser Linie liegt auch die vom DCGK neu eingeführte Darstellungsform der Qualifikationsmatrix. Interessant ist dabei, dass sich einige Unternehmen bereits im Geschäftsjahr 2021 bei der Darstellung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats – freiwillig – einer Qualifikationsmatrix bedient haben. So weit ersichtlich haben insgesamt acht Dax-40-Unternehmen auf diese Darstellungsart zurückgegriffen.
In der Sache wird man unter einer Qualifikationsmatrix zunächst eine tabellarische Gegenüberstellung verstehen dürfen, bei der das Vorhandensein der vom Aufsichtsrat als erforderlich erachteten Kompetenzen bei den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern „angekreuzt“ wird. Der DCGK sagt nicht explizit, dass die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder in der Matrix namentlich zu nennen sind. Dies ist allerdings schon deshalb zu empfehlen, da eine anonymisierte Darstellung auf die Aktionäre wie ein Quiz wirken müsste und daher nur Nachfragen auf der Hauptversammlung provozieren würde.
Inhaltlich ist auf den ersten Blick fraglich, ob die Qualifikationsmatrix lediglich den Stand der Umsetzung des Kompetenzprofils, also die vom Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit abzudeckenden fachlichen Kompetenzen, umfasst oder ob darüber hinaus auch der Stand der Erreichung der Ziele für die Aufsichtsratszusammensetzung angegeben werden muss. Die Begründung der Regierungskommission zu den beschlossenen Änderungen vom 28. April 2022 (s. dort S. 6) stellt dann aber klar, dass die betreffende Empfehlung lediglich die Umsetzung des Kompetenzprofils betrifft.
Das wird man natürlich nicht so verstehen können, dass hierdurch die Notwendigkeit der Berichterstattung über den Stand der Zielerreichung entfällt. Vielmehr steht es dem Aufsichtsrat insoweit nur frei, weiterhin eine deskriptive Berichterstattung in Textform zu wählen. Umgekehrt spricht selbstverständlich nichts dagegen, (ausgewählte) Ziele auch in der Matrix darzustellen, da auf diese Weise ein schneller gesamthafter Überblick über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ermöglicht wird. So haben im vergangenen Jahr einige Unternehmen in der freiwillig erstellten Matrix neben den bei den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern vorhandenen Kompetenzen auch einzelne Ziele – wie etwa Diversität, Dauer der Gremienzugehörigkeit, „Overboarding“ und Unabhängigkeit – aufgeführt.
Kompetenzen im Aufsichtsrat
Sofern dem DCGK entsprochen werden soll, muss sich aus der Qualifikationsmatrix zukünftig jedenfalls ergeben, welche Aufsichtsratsmitglieder über Kompetenzen in den Bereichen Rechnungslegung bzw. Abschlussprüfung verfügen. Nach der neuen Empfehlung des DCGK muss zudem die Expertise im Bereich Nachhaltigkeit aus der Qualifikationsmatrix hervorgehen.
Jenseits der gesetzlichen Vorgaben und der Empfehlungen des DCGK wird es von der Geschäftstätigkeit des jeweiligen Unternehmens abhängen, wie das Kompetenzprofil im Einzelnen ausgestaltet wird. Denkbar sind hierbei zum Beispiel Kompetenzen in den Bereichen Digitalisierung, Human Resources oder Naturwissenschaften. Sofern nach dem einschlägigen Beschluss des Aufsichtsrats neben Kompetenzanforderungen für das Gesamtgremium auch individuelle Kompetenzanforderungen statuiert werden, die jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied erfüllen muss (z.B. Verständnis für kaufmännische Fragen, Integrität, etc.), würde eine Aufnahme in die Qualifikationsmatrix aber keinen Erkenntnisgewinn bringen, da diese Anforderungen ja bei jedem Aufsichtsratsmitglied „angekreuzt“ sein müssten.
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob sich die Qualifikationsmatrix auf den gesamten Aufsichtsrat oder nur die Anteilseignerseite bezieht. Diese Frage wird schon bezogen auf das vom DCGK seit längerem geforderte Kompetenzprofil nicht ganz einheitlich beantwortet. Zwar ist es richtig, dass der Aufsichtsrat keinen Einfluss auf die Durchführung der Wahl der Arbeitnehmervertreter hat; aus dem Wortlaut der Empfehlung ergibt sich allerdings eindeutig, dass der DCGK hier – anders als bei der Frage der Unabhängigkeit – das Gesamtgremium im Blick hat.
Eine teleologische Reduktion der Empfehlung des DCGK mag im Geiste der Gesamtkonzeption des DCGK vertretbar sein. Allerdings ist nicht zu leugnen, dass eine Qualifikationsmatrix, die sich auf das Gesamtgremium bezieht, auch für die Aktionäre einen Mehrwert bietet. Im Übrigen werden so die Gleichwertigkeit und -berechtigung beider Bänke unterstrichen.
Gestaltungsspielraum
Mit der neu eingefügten Empfehlung zur Qualifikationsmatrix will der DCGK die Unternehmen dazu anhalten, den Stand der Umsetzung des vom Aufsichtsrat verabschiedeten Kompetenzprofils in einer übersichtlichen Art und Weise darzustellen. Das ist zu begrüßen. Bei der Umsetzung verbleibt den Unternehmen, auch wenn sie keine Abweichung von der Empfehlung des DCGK erklären, aber einiger Gestaltungsspielraum. Insofern wird es spannend sein zu sehen, in welche Richtung sich die Darstellung der Unternehmen entwickelt.