„VW-Chef Herbert Diess geht den richtigen Weg“
Stefan Kroneck
Herr Professor Dudenhöffer, wie steht es um die Umsatzrendite der börsennotierten deutschen Autobauer 2022?
Die Autobauer leben gerade wie in einem Hollywood-Film. Sie verkaufen ihre Autos zu Höchstpreisen. Es gibt derzeit keine Nachlässe. Operative Umsatzrenditen von weniger als 10 % gelten derzeit als schlecht. Ein begrenztes Angebot stößt auf eine hohe Nachfrage. Engpässe in den Lieferketten, darunter der anhaltende Mangel an Halbleitern, sowie verstopfte Häfen in China aufgrund einer restriktiven Pandemie-Politik Pekings führen dazu, dass die Hersteller ihre Produktionskapazitäten nicht voll ausschöpfen können. Der Ukraine-Krieg verschärft diese Belastungen.
Trotz der steigenden Profitabilität sind die Aktienkurse der Autokonzerne unter Druck geraten. Im Kontext sich überlappender Krisen, was ist aus Ihrer Sicht der entscheidende Grund dafür?
Das Hollywood-Szenario ist zeitlich begrenzt. Das antizipiert der Aktienmarkt. 2022 erzielen die Autohersteller Windfall Profits. In den kommenden beiden Jahren wird die alte Welt in der Autobranche Stück für Stück zurückkehren. 2023 und 2024 dürften die Lieferkettenprobleme deutlich abnehmen. 2022 liegt der weltweite Automarkt um rund 17 Millionen Fahrzeuge unter den Fertigungskapazitäten.
Tesla ist am Markt mehr als dreimal so viel wert wie BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen zusammen. Ist Tesla überbewertet?
Das ist eine interessante Frage. Tesla-Chef Elon Musk treibt das Unternehmen zu hoher Wachstumsdynamik. 2021 erreichte Tesla fast die Schwelle von 1 Mill. ausgelieferten Elektroautos. 2022 sollen es rund 1,5 Millionen werden. Für ein solches Wachstum benötigt BMW fünf Jahre. Musk hat sich zum Ziel gesetzt, auf lange Sicht 20 Millionen zu erreichen. Tesla arbeitet kosteneffizienter als die etablierten Hersteller. Das Unternehmen erwirtschaftet neuerdings Umsatzrenditen auf Porsche-Niveau. Tesla macht den unnötigen Firlefanz der anderen nicht mit, wie zum Beispiel Nischenspiele wie die von BMW. Der Kurs der Tesla-Aktie ist schon verdammt hoch, wenn man das Kurs-Gewinn-Verhältnis als Maßstab nimmt.
Geraten die deutschen Autohersteller mit dem Aufstieg des US-Herausforderers zunehmend unter Zugzwang?
Die sind schon unter Zugzwang. BMW ist in der neuen Autowelt nicht das Maß der Dinge. Technologieoffenheit, wie sie BMW-Chef Oliver Zipse propagiert, bedeutet nichts anderes, als Angst zu haben vor der Zukunft. Das heißt, dem Mainstream hinterherzulaufen und entsprechend langsam zu agieren. Mit dieser Haltung erreicht man keine Skalierungs- und Kostenvorteile. VW-Chef Herbert Diess geht den richtigen Weg. VW ist allerdings ein seltsames Unternehmen. Das Land Niedersachsen als Großaktionär macht das, was die Gewerkschaft IG Metall sagt. Klar, die Landesregierung möchte wiedergewählt werden.
Was macht Diess Ihrer Meinung nach richtig?
Die nächste Welle in der Autoindustrie ist das softwarebasierte autonome Fahren. Das Elektroauto ist dagegen eine kleine Übung. Einen weiteren Schritt macht Diess mit den VW-Betriebssystem Cariad für autonomes Fahren. Wenn VW das erfolgreich umsetzt, hätte Diess viel erreicht. Diese Strategie ist die einzige, um erfolgreich in die Zukunft zu gehen. Hinzu kommt das Thema eigene Batteriefabriken und Schnellladesysteme. Hier ist Diess konzeptuell ebenfalls auf dem richtigen Weg.
Sind Sie ein Fan von Diess?
Die Frage ist, wie gut er seine Strategie umsetzen kann. Zu diesem Plan gibt es keine Alternativen.
Und Ola Källenius, der Chef von Mercedes-Benz?
Ola Källenius geht einen ähnlichen Weg wie Diess. Er macht aber einen Fehler. Unter seiner Regie vernachlässigt Mercedes-Benz die Kompaktklasse. Er wirft alles raus, was nicht so chic und brillant ist und setzt stattdessen noch mehr auf Luxus. Damit vergrault Källenius jene Stammkunden, die Mercedes-Benz bislang die Treue hielten, und er verliert die Scales bei Software.
Gemessen an den Nachhaltigkeitskriterien ESG für Anlageentscheidungen – also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung –, für welchen der drei börsennotierten deutschen Autobauer ist das die größte Herausforderung?
Alle drei Konzerne bereiten sich darauf vernünftig vor. Diese nehmen die Themen Kohlendioxid-Emissionen, Menschenrechte und Lieferketten sehr ernst. Die Governance von VW dagegen ist so eine Sache. Die Unternehmensführung ist eine Angelegenheit der Gesellschafter, aber im Fall von VW auch der Politik. Ist es richtig, dass eine Landesregierung mit dem Anteil Niedersachsens über eine so große Macht verfügt? Das VW-Gesetz gehört abgeschafft. Denn es bewirkt eine schräge VW-Konstitution. Dieses Konstrukt führt zu Bewertungsabschlägen an der Börse.
China verstärkt den Druck auf Taiwan. Würde eine Taiwan-Krise mit möglichen Sanktionen des Westens gegen Peking die Geschäftsmodelle der deutschen Autobauer ins Wanken bringen, nachdem diese die Folgen des Ukraine-Kriegs relativ gut abfedern konnten?
Absolut ja. Dieses Risiko beschränkt sich aber nicht nur auf die Autoindustrie, sondern gilt für die gesamte Wirtschaft. Das Verhältnis zu China sollte vernünftig gestaltet werden. Ein Angriffskrieg gegen Taiwan wäre tödlich für die Weltwirtschaft. Deutschland hat ein gutes Verhältnis zu Peking.
China macht für BMW, Mercedes-Benz und die Volkswagen-Gruppe mittlerweile teils mehr als ein Drittel des Geschäfts aus. Ist Peking zu einem Klumpenrisiko für das Trio geworden?
Dieses Klumpenrisiko gilt für die gesamte Welt. China ist zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht nach den USA aufgestiegen. Anders als der durchgeknallte Herrscher im Kreml baut die Führung in Peking auf eine Mehrung des Wohlstands im eigenen Land. Nur auf diese Weise schöpft die Kommunistische Partei Chinas ihre Legitimation und kann sich an der Macht halten.
Wie bewerten Sie die jüngste Entscheidung des EU-Parlaments, von 2035 an den Verkauf von Neuwagen mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren in der Gemeinschaft gesetzlich abzuschaffen?
Goldrichtig. Großes Kompliment. Chapeau. Die Entscheidung bewirkt, dass die Branche nun endlich mehr Planungssicherheit erhält.
Das Interview führte .