BDI befürchtet Rezession bei Gas-Lieferstopp
Die deutsche Industrie kappt wegen des Kriegs in der Ukraine und anderer internationaler Krisen ihre Exportprognose. Für das laufende Jahr werde nur noch mit einem Plus von 2,5% gerechnet, teilte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am Montag zur Hannover Messe mit. „Versorgungsnetzwerke und Lieferketten sind zum Zerreißen gespannt“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Noch immer beschäftigten die Corona-Folgen und hier insbesondere die chinesischen Lockdowns die Industrie. Noch im Januar hatte der BDI ein Exportplus von 4% vorhergesagt. Die Gesamtproduktion könnte nach der BDI-Prognose um knapp 2% zulegen. Allerdings hänge die Entwicklung davon ab, dass sich die Lieferkettenprobleme in der zweiten Jahreshälfte entspannten. Zudem müsse weiterhin russisches Gas nach Westeuropa kommen. „Eine Unterbrechung russischer Gasexporte würde das Wachstum in Europa abwürgen und unsere Wirtschaft in die Rezession schicken“, sagte Russwurm.
Maschinenbauer zeigen sich pessimistisch
Der Maschinenbau als eine der wichtigsten deutschen Exportbranchen knüpft seine Hoffnungen in diesem Jahr ebenfalls an die Energiesicherheit und erwartet eine Entspannung der Handelsprobleme in China. Allerdings können die Mitgliedsbetriebe noch auf ein hohes Auftragspolster zurückgreifen. Deshalb, so Karl Haeusgen, Präsident des Verbands VDMA, „rechnen wir für 2022 weiter mit einem realen Produktionswachstum, müssen unsere Prognose aber von bisher plus 4% auf plus 1% reduzieren.”
Grundsätzlich könne sich die Kernindustrie – wenngleich ausgebremst – von der Corona-Krise erholen. Dies hänge jedoch davon ab, dass es keine abrupte Unterbrechung der Energieversorgung gebe. Haeusgen betonte außerdem: „Es braucht vielerorts hohe Investitionen, um die Wertschöpfungs- und Lieferketten neu auszurichten.“
In einem optimistischen Szenario erwartet die Schlüsselbranche für 2022 eine nominale – also nicht preisbereinigte – Steigerung der Umsätze um bis zu 8%, entsprechend möglichen Gesamterlösen von 239 Mrd. Euro. Allerdings gehört die Inflation in Verbindung mit knapperen Rohstoffen und Vorprodukten zu den größten Unsicherheiten. Und die industriellen Erzeugerpreise sind den Endverbraucherpreisen in vielen Ländern enteilt.
Im für die Maschinen- und Anlagenbauer bedeutenden Russland-Geschäft könnte sich wegen der Sanktionen seit dem Kriegsbeginn Ende Februar fast ein Totalausfall abzeichnen, wie eine Umfrage nahelegt. Demnach gaben 95% der rund 300 teilnehmenden VDMA-Mitglieder an, ihre Tätigkeit in Russland sei spürbar eingeschränkt oder vollständig zum Erliegen gekommen. Drei von vier Unternehmen rechnen mit weiteren Verschlechterungen oder sogar mit einem Aus ihrer Russland-Aktivitäten.
Zur Debatte über Unabhängigkeit von Moskau und zur Umsetzung der EU-Klimaschutzpakete meinte Haeusgen, es müsse jetzt „unbedingt ein wesentlich größerer Fokus auf eine Steigerung der Energieeffizienz gelegt werden“. Im ersten Quartal hatten die Exporte einschließlich Preiserhöhungen gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 0,4% auf 43,6 Mrd. Euro zugelegt. Im Einzelmonat März sanken sie bereits um 6,2%. Gut lief zuletzt vor allem das Geschäft in den USA.
Elektrobranche wirbt für ökologischen Umbau
Die deutsche Elektro- und Digitalbranche appelliert an Unternehmen und Politik, die geplanten Ausgaben für den ökologischen Umbau der Industrie trotz des Ukraine-Kriegs und der unsicheren Energieversorgung nicht zu stark zu vermindern. „Es ist wichtig, dass Investitionen in Dekarbonisierung nicht zurückgestellt werden”, mahnte der Präsident des Verbands ZVEI, Gunther Kegel, am Montag. Zu Beginn der Hannover Messe räumte er mit Blick auf Alternativen zu russischem Öl und Gas wie verflüssigtes Erdgas (LNG) ein: „Ja, es wird schwieriger werden, die Klimaziele zu erreichen.” Man müsse aber „möglichst schnell aus dieser Situation herauskommen”.
Keine Entspannung bei Mikrochips
Keine Entspannung gebe es bis auf weiteres auch bei fehlenden Mikrochips, die in zahllosen Produkten für Industrie wie Verbraucher stecken. „Es ist so, dass wir immer noch ein wesentliches Problem in der Chipversorgung haben”, sagte Kegel. Etliche Betriebe hätten zwar prall gefüllte Auftragsbücher, im Schnitt mit einer Reichweite von fünf bis sechs Monaten. Doch in vielen Fällen hänge die Abarbeitung wiederum an teils sehr langen Lieferzeiten der Chiphersteller.
„Es wird besser werden, aber wohl nicht vor dem nächsten Jahr”, schätzte Kegel. Der Chipmangel könnte „angespannt bleiben über einen längeren Zeitraum”. ZVEI-Geschäftsführer Wolfgang Weber wies auf die gleichzeitig stark wachsende Nachfrage nach Halbleiterbauteilen hin, die weltweit bis zu 8% pro Jahr erreiche. Der Verband schlägt vor, ein „Halbleiter-Ökosystem” für Europa mit mehr Eigenproduktion rasch auszubauen, um die Abhängigkeit insbesondere von asiatischen Chiplieferanten zu senken. Dazu bestehen auch EU-Initiativen, und zuletzt kündigten Schwergewichte wie Intel Großinvestitionen an.
Die Hersteller von elektrischer, elektronischer und digitaler Technik in Deutschland nehmen an, 2022 das Ziel eines Produktionswachstums von 4% aufrechterhalten zu können. „Schwierig könnte es werden, falls der Krieg im kommenden Jahr noch nicht beendet sein und es eine Spirale von weiteren Sanktionen und Gegensanktionen geben sollte”, sagte Kegel der Deutschen Presse-Agentur. Der mehrwöchige Lockdown in chinesischen Handelsmetropolen wie Shanghai werde zudem „einen Schock durch die Lieferketten jagen, dessen Folgen wir erst in sechs bis acht Wochen sehen werden. Da kommt noch etwas auf uns zu.”
Maßgebliche Rolle für Parallel-Universum Metaverse
Das digitale Parallel-Universum Metaverse wird künftig auch in der Industrie eine maßgebliche Rolle spielen. Darauf hat die Deutschland-Chefin von Microsoft, Marianne Janik, zur Hannover Messe hingewiesen. Die Pandemie habe nicht nur dem Homeoffice und anderen Varianten des neu organisierten Arbeitens endgültig zum Durchbruch verholfen, sagte Janik der Deutschen Presse-Agentur. Sehr viele Unternehmen mussten sich demnach auch mit Verfahren auseinandersetzen, bei dem bestimmte Szenarien virtuell durchgegangen werden, bevor sie in der Produktion oder der Entwicklung von Produkten in die Realität umgesetzt werden. „Das ist quasi das industrielle Metaverse.”
Unter Metaverse versteht die Branche eine Welt, in der physikalische Realität mit erweiterter (augmented reality, AR) und virtueller Realität (VR) in einer Cyberwelt verschmelzen. Wichtige Bestandteile in dieser Welt sind auch digitale Währungen wie Bitcoin und Ethereum, mit denen unter anderem virtuelle Grundstücke, digitale Kunst, Gegenstände für Games oder digitale Statussymbole erworben werden können. Der Begriff Metaverse stammt vom amerikanischen Schriftsteller Neal Stephenson, der ihn erstmals 1992 in seinem Science-Fiction-Roman „Snow Crash” verwendete. In den USA setzt vor allem Facebook-Gründer Mark Zuckerberg auf das Metaverse und nannte deshalb den Facebook-Konzern in Meta um.
Janik betonte, in einem industriellen Metaverse könne man Dinge vollbringen, die man früher mit einem deutlich höheren Aufwand physisch gemacht habe. „Man kann beispielsweise auch vorab feststellen, wie man in der Produktion bestimmte Komponenten ersetzen kann, die in diesen Zeiten nicht verfügbar sind.”
Die verschiedenen Krisen wie der Klimawandel oder der Ukraine-Krieg zwingt nach Ansicht von Janik die Wirtschaft dazu, ihre Anstrengungen beim Thema Nachhaltigkeit zu verstärken. Nach einer Umfrage des Marktforschers YouGov im Auftrag von Microsoft nehme allerdings jedes dritte Unternehmen, nämlich 31%, bisher keine Investitionen in nachhaltige Technologien vor. „Das zeigt: Der gute Wille allein reicht nicht mehr, sondern wir müssen auch wirklich Dinge umsetzen, um Nachhaltigkeit auch Realität werden zu lassen.”
Eine digitale Modellierung von Produkten und Fertigungsprozessen helfe dabei, diese Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Gleichzeitig führten Verfahren wie der „Digitale Zwilling” dazu, dass Innovationen schneller umgesetzt und auf den Markt gebracht werden können.
„Wir leben jetzt in einer Welt, in der das Thema Risikomanagement eine ganz andere Rolle spielt und viel existenzieller ist als zuvor”, sagte Janik. Es gehe dabei nicht nur darum, Risiken besser zu bewerten, sondern auch vorausschauen zu handeln. „Bei dieser Mammutaufgabe können Daten entscheidend helfen.” Microsoft komme dabei auch Bedenken von Datenschützern entgegen, die eine Speicherung von Daten außerhalb Europas ablehnen. „Die Speicherung der Kundendaten können wir schon heute auf den europäischen Raum begrenzen, wenn die Kunden dies wünschen.”