Bei Amerikas Ölriesen leert sich der Tank
Bei Amerikas Ölriesen leert sich der Tank
Die Nachfrageschwäche am Ölmarkt weckt Zweifel an den Aktienrückkaufprogrammen von ExxonMobil und Chevron. Die neue US-Regierung droht Probleme im Sektor noch zu verschärfen.
Von Alex Wehnert, New York
Amerikas Ölsektor steht am Ende eines Booms. Noch wissen die größten Konzerne die Erwartungen im Rahmen ihrer Quartalsberichte zwar zu übertreffen. Doch nicht nur dass die Gewinne der US-Branchenriesen zuletzt bereits zurückgegangen sind – die Nachhaltigkeitswende wirbelt ihre Geschäftsmodelle auch nach dem Wahlsieg Donald Trumps durcheinander, während die wichtigste Stütze für die Aktienkurse von ExxonMobil, Chevron und Konsorten wegzubrechen droht.
So machen Sorgen die Runde, dass die Konzerne ihre Buyback-Programme schon bald zurückfahren müssen. Seit Anfang 2022 haben ExxonMobil und Chevron über Rückkäufe und Dividenden mehr als 155 Mrd. Dollar an ihre Investoren zurückgeführt.
Schon zuvor lieferten Unternehmen aus dem Sektor den größten Beitrag zum globalen Rekordwachstum der Buybacks, wie die Analysten von Janus Henderson betonen. Das Tempo hat sich seit der russischen Invasion in der Ukraine und der resultierenden Energiepreissprünge indes noch beschleunigt.
Assetverkäufe werden nötig
Nun allerdings, befürchten Beobachter, leert sich der Tank. Zwar verfügen die US-Riesen noch über tiefe Taschen: Laut Exxon dürften die Cash-Bestände von 27 Mrd. Dollar mehr als ausreichen, um Buyback-Zusagen von jährlich 20 Mrd. Dollar abzudecken. Chevron saß im Herbst auf 4,7 Mrd. Dollar an liquiden Mitteln und hält ebenfalls an ihrem Programm fest.
Allerdings musste die Nummer zwei der Branche im Schlussquartal 2024 laut CEO Mike Wirth milliardenschwere Assetverkäufe abschließen, um aus dem Cashflow die Dividende und Investitionsausgaben zu bestreiten. Auch zum Buyback-Programm sollten die Erlöse beitragen. Und während ExxonMobil die Investitionsausgaben nach 28 Mrd. Dollar im vergangenen Jahr zwischen 2026 und 2030 auf bis zu 33 Mrd. Dollar ankurbeln und den Output damit sogar noch einmal steigern will, fährt Chevron die Kapitalaufwendungen erstmals seit 2021 zurück.
Abschwung in China sorgt für Druck
Der zunehmende Liquiditätsdruck gründet sich auf erhebliche Preisrückgänge am globalen Ölmarkt. Diese hängen nicht nur damit zusammen, dass sich die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Angebotsknappheit gelockert und das Kartell Opec seinen Nachfrageausblick für 2024 und 2025 zusammengestrichen hat. Die Analysten von Bank of America haben darüber hinaus das nahende „Ende des Platinzeitalters“ im Raffineriegeschäft ausgerufen, nachdem sich die Margen dort bereits seit 2022 im Rückwärtsgang befänden. Verantwortlich dafür sei, dass Raffinerieschließungen in den USA und Europa durch neue Kapazitäten in Mexiko sowie dem Nahen und fernen Osten mehr als wettgemacht würden.
Insbesondere auf letztgenannte Region richten sich nun die Blicke der Marktteilnehmer. „Der wirtschaftliche Abschwung in China hat die globale Ölnachfrage schon nachhaltig beeinträchtigt“, sagt Pramila Agrawal, Portfoliomanagerin bei der Natixis-Tochter Loomis Sayles, im Rahmen einer Medienrunde in New York. Der Druck dürfte indes noch zunehmen, betonen Experten. Jan Hatzius, Chefvolkswirt von Goldman Sachs, spricht gegenüber der Börsen-Zeitung davon, dass eine Anhebung der US-Strafzölle auf Importe aus China um 20 Prozentpunkte das Wirtschaftswachstum der Volksrepublik um 70 Basispunkte belasten würde.
Verschuldungsgrade im Fokus
Rund die Hälfte davon werde Peking durch eine expansive Fiskal- und Geldpolitik auffangen. Und doch träfen die erwarteten Strafzölle die chinesische Wirtschaft aller Voraussicht nach in einer Phase, in der die Krise am Häusermarkt weiter schwele. „Eine weitere Verlangsamung in China über 2025 hinaus ist wahrscheinlich“, sagt Hatzius. Die Beziehung zu Kanada ist für den US-Ölsektor zwar entscheidender, wie der Goldman-Ökonom betont. Doch schlagen sich die Effekte des chinesischen Konjunkturabschwungs über den Gesamtmarkt eben indirekt in Gewinnen und Cashflows der amerikanischen Branchenriesen nieder.
Damit stehen nun die Verschuldungsgrade der Ölmultis im Fokus. Wie Janus Henderson betont, müssen die Konzerne wohl noch Fremdkapital aufnehmen, um ihre Rückkäufe fortsetzen zu können. Die Debt-to-Capital Ratio von ExxonMobil lag zuletzt bei 13%, bei Chevron waren es Ende des dritten Quartals 14,2%.
Gegenüber der mittelfristig angepeilten 20 bis 25% besitzen sie damit mehr Spielraum als die europäische Konkurrenz – BP hat ihre Rückkaufprogramme für 2025 bereits auf den Prüfstand gestellt. Doch zapfen die US-Konzerne die Anleihemärkte stärker an, müssen sie dafür trotz geldpolitischer Lockerungen höhere Kosten in Kauf nehmen als in der Vergangenheit – der Zinsdienst droht laut Bloomberg Intelligence einen größeren Anteil der künftigen Überschüsse aufzufressen.
Unsicherheit um Erneuerbare
„Die US-Konzerne setzen zunehmend auf alternative Energie, um zu verhindern, dass ihre Bilanzen zu stark vom Preisdruck am Ölmarkt in Mitleidenschaft gezogen werden“, sagt Loomis-Sayles-Managerin Agrawal. Doch die britischen BP und Shell, die vor wenigen Jahren große Ambitionen für das Elektrizitätsgeschäft verkündeten, beginnen ihre Investitionen in grünen Strom angesichts mangelnder Wettbewerbsfähigkeit zurückzufahren.
In den USA beginnt mit dem Amtsantritt Donald Trumps hingegen der Aufbruch in eine neue Wirtschaftswelt. Doch dass die neue Regierung Klima-Regulierungen, die der bisherige US-Präsident Joe Biden auf den Weg brachte, zurückfahren will, findet im Ölsektor nicht nur Beifall. Denn die Verfügbarkeit hoher Steuergutschriften für Carbon Capture – also Verfahren zur Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoffdioxid – haben Investitionen in die teure Technologie gangbar gemacht und damit auch Big Oil einen Weg in eine emissionsärmere Zukunft gewiesen.
Furcht vor Reputationsschäden
Zudem warnt Patrick Pouyanné, CEO von Total Energies, dass eine Deregulierung in den USA der Reputation der Branche massiv schaden könnte. Für Amerikas Ölriesen noch wichtiger: Aufwendigere Freigabeprozesse für Bohrungen auf Bundesgebiet verschaffen ihnen Vorteile gegenüber kleineren Konkurrenten, die nicht den gleichen Ressourcenaufwand in bürokratische Prozesse stecken können. Die Tankfüllung von Big Oil geht also trotz großer Ziele bedenklich zur Neige.
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