Berliner Start-ups jagen Marken auf Amazon
Von Stefan Paravicini, Berlin
Das Geschäft von kleinen Online-Händlern, die mit eigenen Marken auf großen Handels-Plattformen wie Amazon erfolgreich sind, zieht derzeit großes Interesse von E-Commerce-Spezialisten und Investoren an, die diese Marken aggregieren und damit Größenvorteile heben wollen. Einer der ersten dieser sogenannten Aggregatoren, die 2018 gestartete US-Firma Thrasio, hat mittlerweile rund 1,7 Mrd. Dollar bei Investoren eingesammelt und mehr als 100 Marken mit über 15000 Produkten zusammengekauft. Im Juni machte in US-Medien die Meldung die Runde, dass die Firma aus dem Bundesstaat Massachusetts über ein Spac (Special Purpose Acquisition Company) zu einer Bewertung von bis zu 10 Mrd. Dollar an die Börse gehen könnte. Insgesamt haben nach Einschätzung des Marktforschers Marketplace Pulse seit April des vergangenen Jahres mehr als 60 Aggregatoren gut 9 Mrd. Dollar für die Jagd nach Online-Marken bei Investoren eingesammelt.
Auch Start-ups aus Berlin mischen hier kräftig mit. Vor wenigen Tagen hat Berlin Brands Group (BBG) 700 Mill. Dollar Fremd- und Eigenkapital bei dem US-Finanzinvestor Bain Capital aufgenommen, der außerdem einen Minderheitsanteil der französischen Ardian an BBG erworben hat. Die Bewertung des E-Commerce-Spezialisten in der neuen Finanzierungsrunde liegt oberhalb von 1 Mrd. Dollar, wie das Unternehmen am Mittwoch mitteilte (vgl. BZ vom 2. September). Insgesamt hat BBG in diesem Jahr fast 1 Mrd. Dollar eingesammelt und steht im Ranking von Marketplace Pulse der am besten finanzierten Aggregatoren hinter Thrasio auf Platz 2.
Drei kleinere Berliner Aggregatoren – Razor Group, SellerX und Stryze Group – haben in den vergangenen Monaten ebenfalls frische Mittel eingeworben. Gemeinsam sind den vier Spezialisten für Online-Marken im Direct-To-Consumer (D2C)-Geschäft aus der Hauptstadt in diesem Jahr fast 2 Mrd. Dollar zugeflossen (siehe Grafik), die sie vor allem in den Kauf von Online-Marken stecken wollen. Doch auch außerhalb Berlins ist die Jagd auf kleinere Online-Händler und ihre Marken eröffnet: Amazing Brands Group aus Köln, Marketplace Powerbrands aus München oder Merx aus Ludwigsburg sind Beispiele dafür.
Bain Capital steigt groß ein
Berlin Brands Group ist anders als Thrasio nicht als Aggregator gestartet, sondern hat seit der Gründung 2005 zunächst unter dem Namen Chal-Tec eigene Online-Marken aufgebaut, die immer noch den größten Teil des Umsatzes tragen. Erst Anfang dieses Jahres hat Gründer Peter Chaljawski zur Jagd auf andere Online-Marken geblasen und angekündigt, dass BBG dafür in den nächsten 18 Monaten bis zu 250 Mill. Euro in die Hand nehmen möchte. Im April folgte die Aufnahme von 240 Mill. Dollar Fremdkapital bei Deutsche Bank, Commerzbank und Unicredit. Mit dem Einstieg von Bain Capital dürften die Ambitionen gestiegen sein: „Mit dem Engagement von Bain Capital und den zusätzlichen Mitteln haben wir den nächsten Meilenstein auf unserem Weg zu einem Global House of Digital Brands gesetzt“, sagt Chaljawski.
Schon heute hat BBG nach eigenen Angaben Zugang zu 1,5 Milliarden Online-Kunden in Europa, den USA, Großbritannien und in Teilen Asiens. Mit rund 900 Mitarbeitern hat das Unternehmen seinen Umsatz im vergangenen Jahr um mehr als 50% auf gut 330 Mill. Euro gesteigert. Um das Geschäft weiter auszubauen, sucht BBG nach verkaufswilligen Online-Händlern mit einem Jahresumsatz zwischen 500000 und 30 Mill. Euro. Die Produktkategorien Haushaltsgeräte, Audio und Gartenmöbel, in denen BBG über eigene Marken verfügt, stehen im Fokus. Neben erfolgreichen Marken auf Online-Plattformen wie Amazon hat Chaljawski auch Händler im Blick, die ohne Umwege über andere Marktplätze an Kunden liefern. BBG nutzt bereits mehr als 100 Vertriebskanäle für den Verkauf eigener Marken.
Die Berliner Razor Group ist nur etwas mehr als ein Jahr alt, steht nach einer rund 400 Mill. Dollar schweren Finanzierung im Mai in der Liste der am besten finanzierten Aggregatoren aber schon auf Platz 4. Im Frühjahr hatte das Start-up bereits 30 Online-Marken eingekauft und war auf dem Weg zu 100 Mill. Euro Jahresumsatz. Innerhalb der nächsten zwölf Monate traut CEO Tushar Ahluwalia dem Unternehmen zu, das Geschäft zu vervierfachen. Zu den Investoren, die im Mai rund 375 Mill. Dollar Fremdkapital und 25 Mill. Dollar Eigenkapital aufgebracht haben, zählen Victory Park Capital aus Chicago, Illinois, die die Runde angeführt hat, sowie die Bestandsinvestoren Redalpine, 468 Capital und Presight Capital. Auch Global Founders Capital (GFC), eine Beteiligungsgesellschaft der Samwer-Brüder, ist an Bord.
Blitzstart mit Cherry Ventures
SellerX ist ebenfalls erst seit dem vergangenen Jahr am Start, hat mit einer 100 Mill. Euro schweren Seed-Finanzierung unter der Führung der Berliner Cherry Ventures, von Felix Capital und Triple Point im November aber einen Blitzstart hingelegt. Im August folgten noch einmal 100 Mill. Euro in einer Series B unter der Führung von L Catterton, hinter der unter anderen der Luxusgüterkonzern LVMH steckt. Dazwischen sammelte die Firma 26 Mill. Euro in einer Venture-Runde unter Führung von 83 North aus London ein. SellerX hat bereits mehr als 30 Online-Marken gekauft. Die Gründer Philipp Triebel und Malte Horeyseck haben angekündigt, dass sie auch auf Händler setzen wollen, die den größten Teil ihres Geschäfts auf der Online-Plattform Shopify machen.
Ebenfalls bei Investoren erfolgreich ist die Berliner Stryze Group, die im vergangenen Jahr aus dem 2017 gegründeten D2C-Unternehmen Manuco hervorgegangen ist. Alstin Capital, die Investmentgesellschaft von Carsten Maschmeyer, Upper 90 aus New York, die auch zu den ersten Investoren von Thrasio zählte, und eine deutsche Stiftung haben im März 100 Mill. Dollar in das Start-up investiert.