Klimaschutz

CO2-Grenzsteuer: Russland zahlt am meisten

Die geplante EU-Maßnahme wird in Moskau als antirussische Aktion interpretiert. In Wirklichkeit ist sie aber nur ein Vorgeschmack darauf, wie die grüne Wende Russlands Wirtschaftsmodell bedroht.

CO2-Grenzsteuer: Russland zahlt am meisten

Von Eduard Steiner, Moskau

Die von der EU geplante CO2-Grenzsteuer reiht sich als jüngste Maßnahme ein in jene Kette von Faktoren, die einen Keil zwischen Europa und Russland treiben. Da wundert es wenig, dass man der EU in Moskau wieder unterstellt, es gehe ihr nicht um die deklarierte Sache, die Treibhausgase bis 2030 um 55 % gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 zu senken, sondern um eine antirussische Aktion zugunsten der eigenen Unternehmen. Die EU versuche, ihr Modell des Emissionshandels auszuweiten und „de facto anderen Ländern die regulatorischen Praktiken der EU aufzuzwingen“, formulierte Alexander Schochin, Chef des Industriellenverbandes, seinen Unmut.

Gewiss, es gibt auch jene, die in der CO2-Steuer nur einen weiteren Vorboten dafür sehen, dass die grüne Wende in Europa und in der Welt an Fahrt gewinnt und daher unweigerlich das auf fossilen Energien fußende russische Wirtschaftsmodell in Frage stellen, wenn nicht gar aushebeln wird. Niemand Geringerer als Anatoli Tschubais, Kreml-Beauftragter für Kontakte zu internationalen Organisationen, sagte dieser Tage, dass Russland durch die globale Abwendung von fossilen Kohlenwasserstoffen 10 % des Bruttoinlandsproduktes verlieren könnte. Die „riesigen Folgen für den russischen Export“ kämen allerdings von der grünen Umstrukturierung der führenden Volkswirtschaften, nicht von der CO2-Grenzsteuer der EU.

Es geht um Milliarden

Aber auch wenn Tschubais diese Grenzsteuer relativiert, so werden russische Unternehmen sie wohl deutlich zu spüren bekommen. Wie teuer es genau wird, rechnete kürzlich das führende Wirtschaftsmedium RBK auf Basis von Daten des Wirtschaftsministeriums vor. Demnach kostet die Steuer, wenn sie in vollem Ausmaß angewendet würde (was bei ihrem Inkrafttreten 2023 nicht vorgesehen ist), Russlands Exporteure mindestens 1,128 Mrd. Euro pro Jahr. Ausgehend vom EU-Importvolumen aus Russland im Jahr 2020 betreffe die Steuer russische Lieferungen im Ausmaß von 7 Mrd. Euro, was 7,3 % des vorjährigen EU-Warenimports aus Russland entspreche, geht aus den Daten von Eurostat hervor. Die Beratungsagentur KPMG hat in drei Szenarien Kosten von 6,6 Mrd. bis 50,6 Mrd. Euro bis zum Jahr 2030 errechnet. Die Regelung könnte nämlich auf andere Sektoren ausgeweitet werden. Derzeit ist die Steuer auf die besonders emissionsstarke Metallbranche inklusive Aluminium, den Düngemittelsektor, Strom und Zement beschränkt. Aber weil Russland gerade in den ersten beiden Kategorien ein bedeutender Lieferant für die EU ist, ist das Land insgesamt von der CO2-Grenzsteuer auch am meisten betroffen. Letztlich würden die russischen Exporteure laut RBK annähernd gleich viel pro Jahr draufzahlen wie die Nächstgereihten – Türkei (495 Mill. Euro), Ukraine (400 Mill. Euro) und Großbritannien (290 Mill. Euro) – zusammengenommen. Konkret gezahlt wird die CO2-Grenzsteuer übrigens nicht von den Mutterkonzernen wie Severstal, Uralkali oder Rusal, sondern von den im Westen domizilierten Tradern, meist Töchter der Konzerne. Diese Trader kaufen dann CO2-Zertifikate, um sie gegen das Recht auf Warenimport zu tauschen.

Daten fehlen

Was die Abwicklung betrifft, sind freilich Fragen offen. Denn die Daten, von denen die EU die Steuer bemisst, müssen von den russischen Unternehmen selbst kommen. Und in der russischen Industrie gebe es bisher keine systematischen Berechnungen des CO2-Fußabdrucks, wie eine Vertreterin des Wirtschaftsministeriums erklärte. Auch sind Unternehmen bislang nicht verpflichtet, eine solche Berechnung offenzulegen. Ohnehin ist das offizielle Russland derzeit mehr darauf aus, mögliche Klagen gegen die EU vor der Welthandelsorganisation WTO vorzubringen, weil man eine Diskriminierung der russischen Unternehmen vermutet. „Fast eineinhalb Jahre wurde das Projekt ausgearbeitet, und unsere EU-Kollegen haben in dieser Zeit der ganzen Welt versichert, dass dabei die WTO-Vereinbarungen in Wortlaut und Geist eingehalten werden. Doch heute kann man davon nicht mehr überzeugt sein“, sagte Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow kürzlich.

Ob CO2-Grenzsteuer oder nicht: Laut Tschubais ist es an der Zeit, sich bewusst zu werden, welch gigantisches Potenzial zur CO2-Absorption die russischen Wälder haben. Bereits im September 2020 hatte er – vergeblich – vorgeschlagen, dass Russland selbst eine CO2-Steuer einführen und damit einer EU-Steuer entgehen soll. Nun plädiert Tschubais für ein international anerkanntes Berechnungssystem zur CO2-Absorption durch den Wald. Die Verhandlungen mit Russland dürften hart werden: Denn während die Uno im Rahmenabkommen zum Klimawandel dem russischen Wald zuspricht, 200 Millionen Tonnen CO2 absorbieren zu können, nennt das russische Naturministerium zwei Milliarden.