„CSRD ersatzlos streichen“

Entbürokratisierung und eine pragmatische Energiepolitik sind aus Sicht von Lanxess-Chef Matthias Zachert die wichtigsten Themen der neuen Bundesregierung. Die europäische Nachhaltigkeitsberichterstattung CSRD empfiehlt er „ersatzlos zu streichen“.

„CSRD ersatzlos streichen“

Im Interview: Matthias Zachert

„Wir brauchen jetzt mutige Politiker“

Lanxess-CEO stützt geplanten Infrastrukturfonds - Nachhaltigkeit als Business Case - Chemische Produkte stehen nicht im Fokus der US-Zollpolitik

Herr Zachert, was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Wir erwarten von der künftigen Bundesregierung, dass sie nicht nur große Worte benutzt wie Zeitenwende und Deutschlandgeschwindigkeit. Jetzt müssen  Taten folgen. Es ist gut, dass wir wahrscheinlich von einer Drei- in eine Zweiparteienkonstellation übergehen. Das mindert die Komplexität. Die neue Regierung wird einsehen, dass sie realistisch und schnell handeln muss.

Dagegen sprechen die Erfahrungen aus den vorherigen großen Koalitionen. Häufig mündeten Entscheidungen im kleinsten gemeinsamen Nenner. Warum sollte sich das ändern?

Weil der Handlungsbedarf viel größer ist als früher. Ich denke, die CDU weiß das, und auch die SPD hat gelernt, dass es so nicht weitergeht. Meine Erwartungshaltung ist: Es kann nur besser werden.

Wie beurteilen Sie die jüngste Entscheidung, jetzt erst einmal den Schuldenhahn aufzudrehen?

Vor zwölf Monaten hätte ich ganz klar dagegen votiert. Doch heute ist die Lage eine andere. Es geht ja um Investitionen, und zwar in zwei Bereichen. Zum einen in Verteidigung. Seit zehn Tagen stellt sich jeder die Frage:  Ist Europa verteidigungsfähig? Ich halte es angesichts der tektonischen Plattenverschiebungen in der Nato-Verteidigung für absolut richtig, sich dem zu stellen. Zum anderen der Infrastrukturfonds: Es ist ebenfalls absolut richtig, dass wir jetzt endlich in Infrastruktur investieren. Ich habe die Hoffnung, dass die Politik sich nun endlich um die Standortfaktoren und die Wettbewerbsfähigkeit kümmert. Wir brauchen jetzt mutige Politiker, die das Land wieder voranbringen.

Es wird ein bis zwei Jahre dauern, bis politische Entscheidungen zu verbesserten Rahmenbedingungen führen.

Matthias Zachert

Ist der Infrastrukturfonds geeignet, eine fiskalische Re-Industrialisierung anzustoßen?

Die De-Industrialisierung ist unter anderem auch deshalb in den energieintensiven Industrien eingetreten, weil die Politik in den vergangenen Jahren nicht gehandelt hat. Steigende Energiepreise, überbordende Bürokratie und anderes mehr haben dazu geführt, dass wir hier nicht mehr wettbewerbsfähig waren. Viele Unternehmen und auch wir haben daraus die Konsequenz gezogen und nicht mehr im Inland investiert. Zugleich haben die Unternehmen der Chemie stark restrukturiert, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Nach der Chemieindustrie sind dann 2024 andere Branchen in die Restrukturierung gegangen, allen voran der Automobil- und der Maschinenbau. Aber auch Bau und Agrarindustrie wurden getroffen. Für die Politik ist es jetzt allerhöchste Eisenbahn zu handeln.

Gelingt die Re-Industrialisierung noch?

Es wird ein bis zwei Jahre dauern, bis politische Entscheidungen zu verbesserten Rahmenbedingungen führen. Ich hoffe aber, dass schon die entsprechenden politischen Signale zu mehr Optimismus in der Wirtschaft führen. Damit hält man die De-Industrialisierung auf. Wir müssen aber national und international wieder Vertrauen zurückgewinnen und an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten, damit wieder in Deutschland investiert wird.

Kommen Betriebe dann auch wieder zurück?

Betriebe, die geschlossen oder verlagert wurden, kommen nicht mehr zurück. In Deutschland wird man nur dann investieren, wenn man hier wieder Geld verdient. Deutschland hat alles, um wieder ein toller Standort zu werden, dafür braucht es aber gute Standortfaktoren und Leistungsbereitschaft von allen.

Wir als Industrienation brauchen eine pragmatische Energiepolitik.

Matthias Zachert

Wird Lanxess wieder in Deutschland neu investieren?

2019 haben wir zuletzt eine Erweiterungsinvestition in Deutschland vorgenommen. Wir sind grundsätzlich bereit, hier wieder zu investieren, aber dann müssen die Rahmenbedingungen anders sein.  Deutschland und Europa müssen jetzt schnell und entschlossen handeln – sonst  wird es nichts mit Investitionen. Viele andere Länder haben längst erkannt, wie wichtig die Industrie ist. Die versuchen alle, die Industrie zu binden und ins eigene Land zu ziehen.

Was steht auf Ihrer Prioritätenliste ganz oben?

Das erste ist die Entbürokratisierung. Bürokratiemonster wie das Lieferkettengesetz oder die neue Nachhaltigkeitsberichterstattung CSRD sind eine Standortlast mit wenig Mehrwert, aber hohem Aufwand. Das zweite ist, dass wir als Industrienation eine pragmatische Energiepolitik brauchen und für die nächsten Jahre wettbewerbsfähige Energiepreise. Das sind die beiden wichtigsten Themen.

Bleiben wir zunächst bei der Entbürokratisierung. Sie sprachen die CSRD an, die Corporate Sustainability Reporting Directive…

...wir haben die CSRD in diesem Jahr in den Geschäftsbericht aufgenommen. Das sind mindestens 120 Seiten zusätzlich, wir müssen über 700 Datenpunkte ermitteln und diese testieren lassen. Aus meiner Sicht ist das völlig überzogen und schafft keinen Mehrwert. Als erstes wurde von der EU Kommission die Taxonomie eingeführt. Sie wurde für den Kapitalmarkt eingeführt und dort schert sich keiner darum. Seit der Einführung vor vier Jahren hat mich kein Investor dazu befragt.

Analysten und Investoren gehen nicht nach Taxonomie oder CSRD vor.

Matthias Zachert

Das könnte ja daran liegen, dass alles so gut aufbereitet ist und keine Fragen offen bleiben.

Der Grund ist ein anderer. In den letzten zwölf Monaten habe ich begonnen, Investoren zu fragen, ob sie den Taxonomiebericht lesen. Die Antwort ist: Nein, das ist für uns irrelevant. Warum? Analysten und Investoren gehen nicht nach Taxonomie oder CSRD vor. Die schauen sich detailliert das Nachhaltigkeitsrating der einschlägigen Ratingagenturen MSCI, ISS ESG, CDP und ähnliche an.

Wie wird es ermittelt?

Die Agenturen analysieren unseren Geschäftsbericht  und verlangen im Bedarfsfall zusätzliche Daten. Liefern wir diese nicht, fallen wir im Rating zurück oder fliegen raus. Die Taxonomie- und CSRD Berichterstattung bringen daher keinen Mehrwert. Mein Fazit ist: Wenn Brüssel es ernst meint mit der Entbürokratisierung, dann sollte man die CSRD ersatzlos streichen.

Lanxess hat sich sehr früh Nachhaltigkeitsziele gesteckt. Schaut man in die USA, wird das jetzt ein Stück weit zurückgedreht. Was bedeutet das für Ihre Nachhaltigkeitsstrategie?

An unseren Nachhaltigkeitszielen machen wir keine Abstriche. Nachhaltigkeit ist für uns ein Business Case, den wir weiterverfolgen werden. Bei steigenden Zertifikatspreisen wird manche Produktion unwirtschaftlich. Allein deshalb lohnt es sich, die CO2-Emissionen zu reduzieren.


Zur Person

Matthias Zachert und Lanxess bilden eine Einheit. Wenngleich der studierte Betriebswirt dem Chemiekonzern zwischen 2011 und 2014 den Rücken gekehrt hatte, ist Lanxess, die Bayer 2015 via Spin-off an die Börse brachte, sein „Baby“. Seine berufliche Laufbahn hatte der gebürtige Bonner (Jahrgang 1967) bei der Frankfurt Hoechst AG begonnen, die später in Aventis aufging. 2004 begann er seine Lanxess-Karriere als Finanzvorstand, seit 2024 ist er Vorstandschef.


Spielt Nachhaltigkeit im Gespräch mit Investoren eine Rolle?

Es gibt in den USA nicht viele Investoren, die sich das detailliert anschauen. Das beschränkt sich meistens auf das Checken der Ratings. Wenn man gut unterwegs ist, stellt keiner Fragen dazu.

Wir sich das im Zuge der von Trump beabsichtigten Gegenbewegung ändern?

Das lässt sich noch nicht sagen. Es wird aber niemand dabei sein, der uns zwingt, Nachhaltigkeitsziele aufzugeben.

Die Industrie ächzt unter den hohen Energiepreisen. Muss sich Deutschland angesichts der ungünstigen Standortbedingungen mit Blick auf die nachhaltige Stromerzeugung nicht zwangsweise aus energieintensiven Produktionen zurückzuziehen?

Das ist in Europa längst der Fall. Nehmen wir die Kautschukindustrie. Als wir unser Kautschukgeschäft verkauften, gab es ein Dutzend Reifenfabriken in Deutschland. Davon stehen heute vier bis fünf vor dem Aus. Damit reduziert sich die Polymerproduktion für Kautschuk. Auch  Kunststoffhersteller setzen hinter ihre Produktionsstätten in Europa Fragezeichen. In den energieintensiven Branchen ziehen Kunden und Zulieferer die Konsequenzen. Das erhöht allerdings unsere Abhängigkeit vom Ausland, denn ohne diese Produkte kommen wir nicht aus.

Ich gehe davon aus, dass die Chemie auch in der zweiten Administration nicht im Fokus steht.

Matthias Zachert

Welche Risiken gehen von der neuen US-Regierung für die deutsche und die europäische Wirtschaft aus?

Es lässt sich keine pauschale Aussage für alle Branchen treffen. Daher beschränke ich mich auf die Chemieindustrie. Aggregiert exportiert die chemische Industrie in den USA mehr nach Europa als umgekehrt.  Die chemische Industrie war in der ersten Trump-Administration nicht direkt von Zöllen betroffen. Ich gehe davon aus, dass die Chemie auch in der zweiten Administration nicht im Fokus steht.

Was, wenn es anders kommt?

Wir haben schon im vergangenen Sommer analysiert, wo Zölle drohen könnten. Wir haben unsere Produktionsbasis in Amerika in den vergangenen zehn Jahren von 12% auf 30% ausgebaut. Nun haben wir 30% von Umsatz und Produktion vor Ort. Daher sehen wir Zöllen relativ gelassen entgegen. Dazu kommt: Wir haben uns auch angeschaut, wo wir in den USA chinesische Konkurrenz haben. Sollte die mit höheren Zöllen belegt werden, wie Trump das ja anscheinend vorhat, wird das für uns eher positiv ausfallen.

Wir könnten das Tal der Tränen hinter uns gelassen haben, aber der Aufstieg ist erst einmal mühsam.

Matthias Zachert

Wie sieht es mit indirekten Implikationen aus? Man denke an die Belieferung deutscher Autohersteller in Mexiko.

Die indirekte Betroffenheit ist deutlich schwieriger zu ermitteln. Das ist intransparenter. Wir beobachten das und sind im Austausch mit unseren Kunden. Vor allem wenn China Gegenmaßnahmen ergreift, wird die ganze Weltwirtschaft betroffen sein. Dann laufen wir Gefahr, dass das Wachstum der Weltwirtschaft nachgibt, das spürt dann auch die Chemie. In einer Zeit, in der alles durchgewirbelt wird, muss man nüchtern und sachlich schauen, was man selbst tun kann.

Neben strukturellen Problemen plagen die Chemieindustrie seit geraumer Zeit auch konjunkturelle Themen und zwar weltweit. Hat die Branche das Zyklustief durchschritten?

Es ist zurzeit sehr gewagt, Prognosen aufzustellen. 2024 hat sich die europäische Chemie zumindest stabilisiert, auch durch die eigenen Restrukturierungsmaßnahmen. Regional waren die USA 2024 ein stabiler Garant – ihre zukünftige wirtschaftliche Entwicklung ist schwer vorherzusehen. China wird sich wohl stabilisieren und leicht besser laufen. Bei Europa muss man abwarten: Einerseits, wie stark die verschiedenen europäischen Industrien mit Zöllen belegt werden. Andererseits, welche industrielle Belebung die Politik in Europa induzieren kann. Das heißt für die Großwetterlage: Wir könnten das Tal der Tränen hinter uns gelassen haben, aber der Aufstieg ist erst einmal mühsam.

Das Interview führte Annette Becker.

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