Klaus-Peter Naumann

Das Prüferurteil ist maßgeblich für den Kapitalmarkt

Im Fall der angeschlagenen Adler Group hat der Wirtschaftsprüfer für den Abschluss 2021 das Testat versagt. Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des In­stituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), erläutert im Interview, welche rechtlichen Folgen das hat.

Das Prüferurteil ist maßgeblich für den Kapitalmarkt

Sabine Wadewitz.

Herr Professor Naumann, inwieweit gilt der Abschluss eines Unternehmens als geprüft, wenn der Abschlussprüfer gar kein Testat erteilt hat?

Die Prüfung des Jahres- oder Konzernabschlusses und des zugehörigen Lageberichtes ist abgeschlossen, wenn der wirksam bestellte Ab­schlussprüfer über das Ergebnis seiner Prüfung im sogenannten Prüfungsbericht für die Aufsichtsorgane des Unternehmens berichtet hat und er das Prüfungsergebnis im Bestätigungsvermerk für die weiteren Adressaten der Prüfung zusammengefasst hat.

Muss der Prüfer dann kein wie auch immer formuliertes Testat ausstellen?

Je nach dem abschließenden Ergebnis der Abschlussprüfung sind ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk, ein eingeschränkter Bestätigungsvermerk oder ein Versagungsvermerk zu erteilen. Ein Versagungsvermerk ist auch dann zu erteilen, wenn der Abschlussprüfer nach Ausschöpfung aller angemessenen Möglichkeiten keine ausreichenden geeigneten Prüfungsnachweise für die Ordnungsmäßigkeit von Abschluss und Lagebericht erlangt und er daher nicht in der Lage ist, ein Prüfungsurteil abzugeben. Er erklärt dann als Ergebnis seiner Prüfung die Nichtabgabe eines Prüfungsurteils – einen sogenannten Disclaimer of Opinion.

Eine Prüfung ist also auch dann abgeschlossen, wenn ein Testat versagt wird mit der Begründung, dass als wichtig erachtete Informationen vorenthalten wurden?

Die gesetzlichen Vertreter des geprüften Unternehmens sind gesetzlich verpflichtet, dem Ab­schlussprüfer alle Aufklärungen und Nachweise zur Verfügung zu stellen, die für eine sorgfältige Prüfung notwendig sind. Kommen die gesetzlichen Vertreter dieser Verpflichtung nicht nach und kann sich der Abschlussprüfer daher kein abschließendes Urteil bilden – das heißt, liegt ein sogenanntes umfassendes Prüfungshemmnis vor –, so muss der Abschlussprüfer den Bestätigungsvermerk versagen. Auch in diesem Fall ist die Prüfung abgeschlossen und der Jahres- bzw. Konzernabschluss sowie zugehörige Lageberichte gelten als geprüft.

Kann das Unternehmen auf Basis dieser Bilanz dann nach freiem Ermessen eine Dividende ausschütten?

Die von mir genannten, verschiedenen Ergebnisse einer Abschlussprüfung entfalten keine unmittelbare rechtliche Wirkung für den Ausschüttungsbeschluss. Sie dienen in erster Linie der Information der Unternehmensorgane und der weiteren Stakeholder der Unternehmensberichterstattung, inwieweit sie der Ordnungsmäßigkeit der vom Vorstand aufgestellten Rechnungslegung vertrauen können. Es obliegt den zuständigen Unternehmensorganen, aus den Prüfungsergebnissen des Abschlussprüfers die gebotenen Konsequenzen zu ziehen.

Welchen Ermessensspielraum haben die Organvertreter?

Der deutsche Gesetzgeber fordert die Durchführung der Abschlussprüfung bei prüfungspflichtigen Aktiengesellschaften und GmbHs als Voraussetzung für darauf aufbauende Be­schlüsse der zuständigen Gesellschaftsorgane, namentlich die Feststellung des Jahresabschlusses. Grundlage des Beschlusses über die Verwendung des Bilanzgewinns und die Gewinnausschüttung ist wiederum der wirksam festgestellte Jahresabschluss.

Wann ist nun ein Abschluss wirksam festgestellt?

In der Regel erfolgt die Feststellung des Jahresabschlusses einer AG durch die Billigung des vom Vorstand aufgestellten und vom Ab­schlussprüfer geprüften Jahresabschlusses durch den Aufsichtsrat. Alternativ können Vorstand und Aufsichtsrat die Feststellung des Abschlusses der Hauptversammlung übertragen. Somit kann die Hauptversammlung auch bei einem eingeschränkten oder versagten Bestätigungsvermerk über die Verwendung des Bilanzgewinns entscheiden. Allerdings kann ein festgestellter Abschluss nachträglich rechtlich für unwirksam erklärt werden, wenn ein gesetzlich geregelter Nichtigkeitsgrund vorliegt.

Welche Gründe hat man sich hier vorzustellen?

Die Nichtigkeit eines Abschlusses kann sich zum Beispiel aus Bilanzierungsverstößen ergeben, die zu Unterbewertungen oder wesentlichen Überbewertungen führen, oder aus anderen Verstößen gegen Rechnungslegungsvorschriften, die dem Gläubigerschutz dienen. Für das Vorliegen solcher Nichtigkeitsgründe liefert der Bestätigungsvermerk mit seinem Prüfungsurteil wichtige Hinweise – es sei denn, dass der Abschlussprüfer wegen bestehender Prüfungshemmnisse kein Prüfungsurteil abgeben konnte.

Inwieweit ist ein Unternehmen in der Kredit- oder Kapitalaufnahme beschränkt, wenn der Prüfer kein Testat erteilt hat?

Für Kapitalgeber stellt ein ordnungsgemäß aufgestellter Jahres- beziehungsweise Konzernabschluss nebst zugehörigen Lageberichten wichtige Informationen über die Bonität eines Unternehmens zur Verfügung. Ohne ein positives Urteil des Abschlussprüfers können die verschiedenen Adressaten auf die Ordnungsmäßigkeit dieser gesetzlich angeordneten Informationen des Kapitalmarkts nicht vertrauen. Eine Einschränkung oder Versagung des Bestätigungsvermerks wird sich also negativ auf das Verhältnis der Gesellschaft zu ihren aktuellen und potenziellen Kapitalgebern auswirken. Zum Beispiel werden finanzierende Banken die Gewährung oder Verlängerung von Kreditlinien häufig an die Erteilung eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks knüpfen.

Sind Vorstand und/oder Aufsichtsrat rechtlich verpflichtet, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, wenn das Testat verweigert wurde?

Der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist verpflichtet, für eine ordnungsgemäße interne und externe Rechnungslegung zu sorgen und dem Abschlussprüfer die zur sorgfältigen Durchführung der Abschlussprüfung notwendigen Aufklärungen und Nachweise zu vermitteln. Der Aufsichtsrat ist verpflichtet, den vom Vorstand aufgestellten Abschluss und Lagebericht unter Verwertung der Ergebnisse des Abschlussprüfers eigenständig zu prüfen. Auch obliegt dem Aufsichtsrat die Überwachung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung durch den Vorstand, was im Fall bekannter Mängel auch beinhaltet, auf eine Beseitigung dieser Mängel hinzuwirken.

Was ist in dem Fall zu tun?

Erklärt der Abschlussprüfer die Nichtabgabe des Prüfungsurteils, weil er keine ausreichenden geeigneten Prüfungsnachweise erlangt hat, stellt sich die Frage, wie der Aufsichtsrat seiner eigenen Prüfungspflicht nachkommt und worauf er sich bei der Erfüllung dieser Verpflichtung stützt. Sollte der Aufsichtsrat seiner eigenen Prüfungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen sein, kann er eine Pflichtverletzung begangen und sich gegebenenfalls schadenersatzpflichtig gemacht haben.

Ein uneingeschränktes Testat ist die Beruhigungspille für den Kapitalmarkt. Auf die Börsenzulassung wirkt sich die Versagung aber nicht aus?

Die Regeln der Frankfurter Börse sehen derzeit zwar keine Konsequenzen vor, wenn ein Abschluss und der zugehörige Lagebericht mit einem Versagungsvermerk des Abschlussprüfers versehen wird. Um das Vertrauen in den Finanzplatz weiter zu stärken, könnte allerdings die Diskussion geführt werden, ob die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Börsenindex künftig an die Abgabe eines positiven Urteils des Abschlussprüfers zur Ordnungsmäßigkeit von Abschluss und Lagebericht geknüpft werden sollte.

Das Interview führte

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