„Die Wahrscheinlichkeit für ein IPO ist höher als für irgendetwas anderes“
Joachim Herr und Stefan Paravicini.
Frau Haderer, die Korrektur von Technologiewerten an der Börse schlägt auf private Finanzierungen durch. Personio ist Ende Juni dennoch eine erfolgreiche Erweiterung der Series E gelungen. Was hat die Investoren überzeugt?
Software für das Personalmanagement von kleinen und mittelgroßen Unternehmen in Europa, das klingt erst einmal nach einer Nische. Aber da geht es um 1,7 Millionen Unternehmen, von denen mehr als 70% noch nicht digitalisiert sind. Da gibt es riesiges Potenzial, und wir stehen in diesem Markt in der Pole Position. Wir haben gemessen an der Zahl unserer Kunden zwar nur einen Marktanteil von 0,3%, sind damit aber der größte Akteur von allen, die wir da draußen sehen. Und wenn wir das Rennen weiterhin gut fahren, wird am Ende ziemlich sicher ein viel größeres Unternehmen herauskommen, als wir es heute sind. Darauf setzen auch unsere Investoren. Sie haben erkannt, dass das ein Bereich mit relativ wenig Risiko und relativ viel Klarheit darüber ist, wie die nächsten Jahre aussehen werden.
Mussten Sie den Investoren im Kleingedruckten trotzdem Zugeständnisse machen, um mit der Bewertung von 6,3 Mrd. auf 8,5 Mrd. Dollar zu springen?
Es gibt ja immer zwei Hebel bei der Bewertung im Rahmen einer Finanzierungsrunde: Was ist das Finanzprofil der Firma, und was sind die Multiples im Marktumfeld? Wir haben natürlich schon gesehen, dass die Multiplikatoren heruntergegangen sind. Wir sind seit dem ersten Closing der Series E im Herbst 2021 aber auch sehr stark gewachsen, und das sieht man auch in der Bewertung. Hinzu kommt, dass wir mit unserem Produkt Unternehmen effizienter machen. Effizienz ist ein gutes Schlagwort, wenn man über die kommenden Monate nachdenkt.
Ist der nächste Finanzierungsschritt ein Börsengang?
Selbst wenn ich es Ihnen sagen wollte, ich weiß es schlicht und einfach nicht. Da wir mit dem Second Closing noch einmal substanziell Kapital hereingeholt haben, sind wir für die nächsten Jahre gut gewappnet. Wir haben zwar eine relativ gute Visibilität, was unsere eigene Entwicklung betrifft. Wie sich das Marktumfeld entwickelt, ist derzeit aber schwer zu sagen. Das Schöne ist, dass wir uns jetzt auf das Geschäft konzentrieren können. Was in ein paar Jahren passiert, kann ich Ihnen nicht sagen.
Firmengründer und CEO Hanno Renner hat ein IPO von 2025 an in Aussicht gestellt. Ist das ein realistischer Zeithorizont?
Hanno findet die Idee gut, einen großen, unabhängigen Softwarekonzern aus Europa heraus zu bauen. Die logische Konsequenz wäre dann, dass wir irgendwann auch an die Börse gehen. Welches Jahr das genau sein wird, kann ich Ihnen mit bestem Wissen und Gewissen nicht sagen. Ich weiß, dass es in naher Zukunft nicht passieren wird, weil wir uns auf das Geschäft konzentrieren und der Markt die Option derzeit ohnehin nicht hergibt. Die Wahrscheinlichkeit für ein IPO ist allerdings höher als für irgend etwas anderes. Über das genaue Timing mache ich mir aktuell keine Gedanken. Es ist einfach nicht relevant für das, was ich heute mache.
Sie haben 2014 schon den Börsengang des Online-Modehändlers Zalando an federführender Stelle begleitet. Ist Personio denn bereit für ein IPO?
Das ist für mich keine Stufe, die man irgendwann erreicht. Es geht um eine kontinuierliche Professionalisierung, und die braucht man nicht nur für einen Börsengang. Wir haben unseren Umsatz im vergangenen Jahr wieder verdoppelt. So ein Wachstum bekommen Sie nicht hin, wenn Sie sich nicht fortlaufend professionalisieren. Sie bekommen auch kein gutes Finanzprofil hin, weil Ihnen dann die Zahlen um die Ohren fliegen. Das ist ein Kontinuum, und ich bin unheimlich stolz auf unser Team, wie gut wir da vorankommen. Irgendwann ist man dann an einem Punkt, an dem man auch für ein IPO bereit ist.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will jungen Unternehmen den Zugang zur Börse erleichtern. Wie haben sich die Rahmenbedingungen für Tech-Firmen als IPO-Kandidaten in Deutschland seit 2014 verändert?
Ich glaube, dass der Börsengang von Zalando und einige weitere folgende IPOs aus dem Technologie- und Higher-Growth-Bereich das Verständnis für den Trade-off zwischen Wachstum und Profitabilität im europäischen Finanzplatz gestärkt haben. 2014, als Zalando an die Börse gegangen ist, war der Börsenplatz Europa noch ein relativ unbeschriebenes Blatt. Mit Zalando und weiteren Unternehmen hat sich das stark geändert. Das hat den Börsenplatz Europa besser gemacht.
Ein Start-up wie Personio hat heute auch Zugang zu Fremdkapital. Könnte Venture Debt vor einem IPO noch eine Rolle spielen?
Wir werden sehen, wie sich die nächsten Jahre gestalten. Bislang nutzen wir Venture Debt nicht. Es kann Situationen für so ein Instrument geben, etwa kurz vor einem IPO, um sich eine weitere Verwässerung zu sparen. Das ist aber nichts, womit wir uns heute beschäftigen. Wir sind gut finanziert, so dass das nicht relevant ist. Wir konzentrieren uns jetzt ganz auf Execution ohne Ablenkung von außen.
Wofür werden die Mittel aus dem Second Closing der Series E eingesetzt?
Die Produktentwicklung steht im Vordergrund. Wir glauben fest daran, dass man mit dem besten Produkt auch die Kunden am besten erreicht. Deswegen bringen wir neben den Upgrades für das Kernprodukt regelmäßig neue Erweiterungen auf den Markt. Wir haben im Frühjahr zum Beispiel unser Produkt um das Modul „Performance and Development“ ergänzt, hinzu kommen neue Automatisierungs-Features und im Sommer das erste Produkt von Back, dem Berliner Start-up, das wir im Frühjahr übernommen haben.
Werden Sie sich mit den frischen Mitteln vermehrt M&A-Aktivitäten zuwenden?
Der Markt ist riesig und unsere Marktdurchdringung ist noch sehr gering. Der Fokus liegt deshalb weiter auf organischem Wachstum. Es kann aber immer wieder selektiv Möglichkeiten geben, dem Puzzle ein passendes Stück hinzuzufügen.
Wie passt Back in das Puzzle?
Back ist auf die Automatisierung von Personalprozessen spezialisiert. Das ist für uns sehr spannend, und in diese Richtung entwickeln wir uns auch schon ein bisschen länger. Deshalb passt Back sehr gut zu unserer strategischen Vision und hat zudem ein tolles Team, das mittlerweile gut bei uns angekommen ist.
Sie haben darauf hingewiesen, dass der Markt stark fragmentiert ist. Wie differenziert sich Personio im Wettbewerb?
Wir haben einen klaren Fokus auf kleine und mittelständische Unternehmen in Europa. Der länderübergreifende Ansatz ist dabei wichtig, denn das Produkt muss für jeden Markt auch lokalisiert werden. Wer ein Gefühl dafür entwickeln will, was das bedeutet, kann sich zum Beispiel mit den Unterschieden im Schwangerschaftsrecht in Frankreich, Dänemark und Spanien auseinandersetzen. Zweitens darf das Produkt für kleine und mittelständische Unternehmen nicht zu komplex oder teuer sein. Drittens will ein KMU nicht 50 Systeme anbinden und managen. Es braucht einen One-Stop Shop, mit dem man möglichst viele Anforderungen abbilden kann. Und genau das bieten wir mit Personio.
Deutschland, Österreich und die Schweiz dominieren das Geschäft. Welche Länder stehen für weiteres Wachstum im Fokus?
Es ist richtig, dass der deutschsprachige Raum der größte Markt für uns ist. Da kommen wir ja auch her. Zu den derzeitigen Fokusmärkten zählen aber auch Spanien, Benelux, Skandinavien und Großbritannien. Wir haben zudem Kunden in anderen europäischen Ländern. Deshalb sehe ich uns als gesamteuropäisches Unternehmen.
Gibt es denn noch weiße Flecken in Europa?
Generell verschließen wir uns keinem Kunden. Es kann aber sein, dass es für einen Markt noch kein maßgeschneidertes Produkt gibt. Dann geht der Kunde zu dem Anbieter, der am weitesten fortgeschritten ist. Wir sind schon länger im Markt als die meisten Wettbewerber, wir haben viele Erfahrungswerte und zudem das Kapital, um das Produkt weiter ausbauen zu können. Wir haben deshalb auch Kunden außerhalb Europas, die gerne zu uns kommen, da es lokal nichts Besseres gibt.
Zieht der Erfolg von Personio neue Wettbewerber an?
Klar, wenn ein Markt so attraktiv ist, wollen neue Anbieter mitspielen. Es gibt in einzelnen Märkten auch immer wieder neue Unternehmen. Unser Vorteil ist, dass wir in ganz Europa unterwegs sind. Gegenüber Kunden, die in mehreren Ländern tätig sind, ist das ein großer Vorteil. Wir profitieren außerdem von Skaleneffekten, denn wir machen das jetzt schon seit ein paar Jahren und haben ein entwickeltes Produkt, auf das sich der Kunde verlassen kann. Wir sind für die Firmen Teil ihrer kritischen Infrastruktur. Damit spielt man nicht herum, da will man keine Risiken eingehen.
Personio traut sich langfristig einen Marktanteil von 10% zu. In welchem Zeitraum ist das realistisch?
Wir können auch mehr als 10% erreichen. Aber das liegt in der Zukunft. Werden die meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen sich digitalisieren? Ja, davon sind wir überzeugt. Unterstützen wir diese Entwicklung aus der Pole-Position? Ja, das tun wir. In welche Marktanteile sich das letztlich übersetzen lässt, kann man heute aber noch nicht absehen. In reiferen Softwaremärkten im Enterprise-Bereich sieht man allerdings, dass einzelne Spieler mehr als 10% erreicht haben und heute immer noch stark wachsen. Das Potenzial ist sehr groß, gute Execution ist der Schlüssel.
Gibt es bei der Digitalisierung des Mittelstandes einzelne Branchen die vorangehen, oder sind die typischen Personio-Kunden selbst digitalaffine Start-ups?
So war es in den Anfangsjahren, über diese Phase sind wir aber schon lange hinaus. Zu unseren Kunden gehören etablierte Mittelständler aus allen Industrien ebenso wie Nichtregierungsorganisationen und kommunale Versorgungsbetriebe. Da ist wirklich alles dabei. Der Vorteil von Digitalisierung ist erkannt und akzeptiert. Es ist also längst keine Frage mehr, ob das passiert, sondern nur noch die Frage, wann und wie schnell.
2020 lag der Umsatz etwas oberhalb von 20 Mill. Euro. Schafft Personio in diesem Jahr einen dreistelligen Millionenumsatz?
Wir kommunizieren Finanzzahlen nicht. Wir haben uns im vergangenen Jahr verdoppelt, und auch in diesem Jahr läuft es so weit so gut. Wir verfolgen aber natürlich genau, was derzeit im Markt passiert.
In Europa geht derzeit die Rezessionsangst um, lässt sich das auch in der Geschäftsentwicklung von Personio ablesen?
Wir sind ein Teil der kritischen Infrastruktur unserer Kunden, und unser Produkt steht für Effizienz. Deshalb glauben wir, dass wir ein relativ krisensicheres Geschäftsmodell haben. Trotzdem könnten auch wir Auswirkungen spüren. Es könnte zum Beispiel sein, dass Unternehmen länger brauchen, um sich für eine Implementierung unserer Software zu entscheiden. Wenn unsere Kunden beispielsweise langsamer wachsen oder schrumpfen, würden wir das merken, denn unser Produkt basiert auf einem Preis pro Mitarbeiter. Wir sind aber gut finanziert und können den Markt beobachten, ohne überreagieren zu müssen. Hinzu kommt, dass wir mit unserem „Subscription Model“ Planbarkeit haben und die Profitabilität steuern können.
Ist das Geschäft denn schon profitabel?
Es gibt einen Trade-off zwischen Wachstum, Marge und verfügbarer Finanzierung. Das ist der Dreiklang, den wir uns anschauen. Wir haben ein verhältnismäßig krisensicheres Geschäftsmodell und legen den Fokus weiterhin auf Wachstum. Und wenn sich der Markt gravierend ändern sollte, können wir sehr gut darauf reagieren.
Wie sieht es mit dem Personalmanagement von Personio selbst aus? Wird es schwieriger, Personal zu rekrutieren?
Wir sind mittlerweile mehr als 1300 Mitarbeitende an sieben Standorten. Recruiting ist für uns sehr wichtig. Ich würde aber sagen, dass es eher einfacher geworden ist, weil unsere Employer Brand bekannter geworden ist. Ich bin sehr glücklich, welche Profile wir mittlerweile rekrutieren können, um uns mit Erfahrung zu verstärken.
Die Bundesregierung plant Vereinfachungen für die Kapitalbeteiligung von Mitarbeitern. Spielt das für Personio eine Rolle?
Jeder Mitarbeiter von uns hat Equity, und das ist uns auch sehr wichtig. Wir sitzen alle im gleichen Boot und wollen daher alle entsprechend incentivieren. Die Entwicklung im Rahmen der neuen Start-up-Strategie der Bundesregierung verfolgen wir gespannt und hoffen, dass Equity-Beteiligungen in Deutschland künftig eine bessere Behandlung erfahren, um da nicht im Nachteil zu sein. Unser Programm ist derzeit virtuell, da entsteht also kein Dry Income. Generell ist es für die Attraktivität des Standorts aber wichtig, dass sich hier etwas tut.
Wie hat sich die Finanzabteilung personell entwickelt, seit Sie vor zwei Jahren von Zalando zu Personio gewechselt sind?
Der Bereich hatte eine einstellige Mitarbeiterzahl, heute sind es rund 40 Kolleginnen und Kollegen. Wenn ich die Entwicklung mit wenigen Worten beschreiben müsste, würde ich sagen, dass wir Schubkraft entwickelt haben. Wir rollen jetzt und haben ein starkes Team, mit dem es richtig Spaß macht.
Lassen sich die Herausforderungen für die Finanzchefin in einem B2B-Start-up wie Personio mit einem B2C-Unternehmen wie Zalando vergleichen?
Ich verstehe mich als funktionelle Expertin. Schon vor Zalando musste ich mich ja auch bei Goldman Sachs schnell in unterschiedliche Industrien einarbeiten. Die Herausforderungen als CFO von Personio sind durchaus vergleichbar mit denen bei Zalando vor einigen Jahren. Es gibt allerdings einen großen Unterschied: Die Software von Personio ist am Ende der Saison nicht aus der Mode. Wir haben das Produkt und bauen es weiter.
Mit dem Wechsel von Zalando haben Sie den Sprung von Berlin nach München gemacht. Gibt es Unterschiede in den beiden Start-up-Ökosystemen?
Die Grenzen sind fließend, nicht nur weil wir mittlerweile auch ein Büro in Berlin haben. Ich würde gar nicht sagen, dass es da unterschiedliche Ökosysteme gibt. Man kennt sich, wenn man im Umfeld von schnell skalierenden Technologiefirmen in Europa unterwegs ist. Mein Netzwerk ist kein Münchner Netzwerk, sondern ein CFO-Netzwerk mit Schwerpunkten in Deutschland und Europa. Ich bin aber auch Teil einer CFO-Community an der US-Westküste mit Fokus auf Software-as-a-Service-Modelle. Das ist inhaltlich am stärksten mit dem verwandt, was ich tagtäglich mache, ob ich jetzt in München oder in San Diego sitze. Für mich verschwimmt das. Es ist alles digital, und man orientiert sich an den Gemeinsamkeiten.
Wie kam es eigentlich zum Sprung von Goldman Sachs in die Welt der Scale-ups?
Ich habe schon während meiner Zeit bei der Bank einen Zeh ins Scale-up-Wasser gestreckt und geschaut, wie sich das anfühlt. Ich war am Ende meiner Goldman-Zeit einige Jahre in San Francisco und dadurch inmitten des Silicon-Valley-Ökosystems. Damals hat Goldman ein CleantechTeam aufgebaut. Das war sehr spannend, weil der Fokus auf Wachstum lag, anstatt die letzten Prozentpunkte der Marge zu optimieren. Als ich nach Europa zurückgekommen bin, wollte ich so eine Aufbruchstimmung beruflich weiterverfolgen und habe sie zunächst bei Zalando gefunden. Mit Personio habe ich nun einen Teil West Coast auch hier mitten in Europa, was mir großen Spaß macht.
Das Interview führten