Mobilfunk

Ericsson zieht Reißleine in Russland

Ericsson will Russland endgültig den Rücken kehren. Auf dem engen Markt für kritische Telekommunikationsinfrastruktur wird es für das Land schwierig, auf die Schnelle Ersatz zu bekommen. Chinesische Technik ist nicht ohne Weiteres kompatibel.

Ericsson zieht Reißleine in Russland

hei Frankfurt

– Der schwedische Netzwerkausrüster Ericsson zieht sich aus Russland zurück, und zwar „auf unabsehbare Zeit“, wie das Unternehmen mitteilt. Damit geht der in Stockholm ansässige Konzern deutlich weiter als Rivale Nokia, der bereits Ende März angekündigt hatte, seine Lieferung nach Russland „vorerst“ auszusetzen. Die Abkehr der beiden Telekomausrüster rückt die Bedeutung kritischer Telekommunikationsinfrastruktur im Zusammenhang mit dem russischen An­griffskrieg stärker in den Fokus.

Strategische Partner

Zwar stehen Russland und die Ukraine zusammen für weniger als 2% des Konzernumsatzes, wie Ericsson auf Anfrage sagt. Die Schweden sind jedoch ein wichtiger Lieferant des führenden russischen Mobilfunkanbieters MTS sowie des viertgrößten Anbieters Tele2. Mit MTS hatte Ericsson eine strategische Partnerschaft zur Entwicklung von 5G-Netzen vereinbart sowie eine weitere Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung.

Ericsson wird im ersten Quartal, über das der Telekomausrüster am kommenden Donnerstag berichtet, eine Sonderabschreibung über 900 Mill. skr (87 Mill. Euro) buchen, wie es weiter heißt. Davon soll rund ein Drittel cashwirksam sein. Nokia nennt keinen Umsatzmarktanteil in der Region. Beide Unternehmen haben angekündigt, ihre Beschäftigten zu unterstützen. Ericsson spricht von „bezahltem Urlaub“, verhandelt aber gleichzeitig mit Partnern über die endgültige Einstellung des Ge­schäfts in Russland. Abfindungen sind in der genannten Wertberichtigung nicht enthalten.

Angesichts des oligopolistisch verengten Weltmarkts für Telekom­infrastruktur muss sich Russland nun primär auf chinesische Ausrüster stützen. China ist offiziell um eine neutrale Position in dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine bzw. dem Westen bemüht. Huawei hält das Geschäft mit Kunden in Russland aufrecht. Der Marktanteil im Mobilfunk liegt bei etwa einem Drittel. Die Umsätze werden nicht ausgewiesen, allerdings gilt Russland nicht als hochpreisiger Markt, so dass die Umsätze im globalen Maßstab auch bei Huawei dort noch gering sein dürften. Der chinesische Technologiekonzern war zuvor in einer von den USA gestarteten Kampagne in seinen Geschäftsmöglichkeiten in westlichen Ländern aus Sorge um die Sicherheit kritischer Telekominfrastruktur stark beschränkt worden. Daher versucht Huawei an­dernorts zu expandieren. Dennoch dürften die russischen Telekommunikationsanbieter den Totalausfall von Ericsson und Nokia nicht auf die Schnelle kompensieren können. Die sogenannte Open-RAN-Technik, die es ermöglicht, Antennen eines Anbieters auf Fremd-Equipment aufzusetzen, ist in fast allen Ländern noch mehr oder minder im Versuchsstadium. Die Ausrüster selbst haben den Fortschritt dabei jahrelang eher nicht unterstützt, weil die Inkompatibilität ihre Marktanteile schützt.

Compliance-Vorstoß

Ericsson ergreift mit dem endgültige Ausstieg aus dem russischen Markt auch die Gelegenheit, ein Signal für das Regel- und Compliance-Bewusstsein im Unternehmen zu setzen. Die Schweden hatten in den vergangenen Jahren wiederholt mit Korruption und Compliance-Verstößen zu tun und dafür milliardenschwere Bußgelder kassiert. Erst in jüngster Zeit kamen neue Regelverstöße im Geschäft mit terrorverdächtigen Organisationen im Nahen Osten ans Licht. CEO Börje Ekholm sah sich gezwungen, rückhaltlose Aufklärung und eine Verbesserung der Compliance-Strukturen zu versprechen. Der vom Großaktionär Investor AB gestützte Manager, der Ericsson nach dem Rauswurf des langjährigen CEO Hans Vestberg aus der Krise geführt hatte, geriet auf der jüngsten Hauptversammlung schwer unter Beschuss.

Die Ericsson-B-Aktie gab gestern in Stockholm im Verlauf um mehr als 2% nach.

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