„Es wird ein böses Erwachen geben“
Von Heidi Rohde, Frankfurt
Die Partystimmung in der Venture-Capital-Szene, die im vergangenen Jahr nicht nur eine nie zuvor gesehene Geburtenrate bei Einhörnern und milliardenschwere Exits mit sich gebracht hat, ist in Berlin eindeutig verflogen. „In Krisenzeiten drängen Investoren auch bei Wachstumsunternehmen auf ein schnelleres Erreichen der Gewinnzone“, betont Roger Bendisch, Geschäftsführer von IBB Ventures im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Für die Tochter der Investitionsbank Berlin, die 2021 ein „Ausnahmejahr mit sechs Exits“ hatte, läuft das Geschäft im „Einkauf“ noch rund. Der Wagniskapitalgeber ist vor allem in der Frühphasenfinanzierung tätig. Seit Jahresbeginn kamen fünf Unternehmen neu ins Portfolio, bei denen IBB Ventures als Co-Investor eine Minderheit übernommen hat. Insgesamt sind es derzeit 90 aus unterschiedlichen Branchen wie Consumer, Healthcare oder Industrial Technologies, darunter zum Beispiel Blinkist, Selapy oder Kugu. Investiert wird aktuell aus dem VC Fonds Technologie II und dem VC Fonds Kreativwirtschaft II mit einem Gesamtvolumen von 122 Mill. Euro.
Keine Abkühlung
„Bei Frühphasenfinanzierungen ist noch keine Abkühlung zu spüren, aber im Later Stage-Bereich werden Anschlussfinanzierungen schwieriger“, sagt der Manager. Das sah im vergangenen Jahr noch ganz anders aus, als große Runden über 250 Mill. Euro und mehr in Berlin gegenüber Vorjahr einen Sprung von nicht nennenswert auf 4 Mrd. Euro in Summe machten. Ein Weckruf war die jüngste Kehrtwende von Gorillas. Das erst vor zwei Jahren gegründete Unternehmen, das sich während der Pandemie als Schnelllieferant von Lebensmitteln etabliert hat, muss nicht nur bei der Expansion abrupt auf die Bremse treten, sondern hat sogar einen Schrumpfkurs eingeleitet – ein befremdlicher Schritt, nachdem erst im Oktober rund 1 Mrd. Euro eingesammelt wurde. Statt Wachstum liegt die Gewinnschwelle in den Kernmärkten im Fokus der Investoren, zu denen neben Wettbewerber Delivery Hero (rund 8%) internationale Fonds wie Alanda Capital, Macquarie und Food Labs zählen. Der bisherige Geschäftsplan sah nach Informationen der Citigroup „eine große Finanzierungsrunde alle sechs bis zwölf Monate vor“, wie eine Anaylstin kürzlich sagte. Dieser Plan dürfte kaum haltbar sein.
Bendisch geht außerdem davon aus, dass die Schwergewichte der Start-up-Szene bei „neuen Finanzierungsrunden auch Bewertungskorrekturen werden hinnehmen müssen“. Die Entwicklung ist ein Spiegel des insgesamt vor allem im Tech-Bereich zäher gewordenen M&A-Geschäfts, wo die Bewertungsvorstellungen von Käufern und Verkäufern nicht mehr so leicht in Einklang zu bringen sind. Vorbörsliche Bewertungskorrekturen stoßen den Investoren naturgemäß sauer auf. Problematisch werde die Lage aber für Flaggschiff-Einhörner wie Flixbus oder N26, wo die Bewertungen in eine Höhe geschraubt wurden, dass eigentlich nur ein IPO als Exitkanal denkbar ist und ein Tradesale kaum noch möglich erscheint. „Es wird ein böses Erwachen geben“, warnt Bendisch. Nachdem insbesondere der Ukraine-Krieg ein IPO-Fenster im Frühjahr praktisch abrupt geschlossen hat, ist dieser Kanal auf Sicht verstopft. Wagniskapitalgeber müssen sich in Geduld üben.
Das gilt auch für entsprechende Hoffnungsträger, an denen IBB Ventures beteiligt ist, wie die Online-Lernplattform Babbel. Die hatte ihr geplantes IPO im September vergangenen Jahres aufgrund eines eingetrübten Kapitalmarktumfelds kurzfristig absagen müssen. Babbel hatte zuvor einen Firmenwert von rund 1,2 Mrd. Euro angestrebt. IBB Ventures, die 10% an dem jungen Unternehmen hält, hätte mit ihrem Engagement bei einem ursprünglichen Investment im einstelligen Millionenbereich damit ein Vielfaches ihres Investments zurückerhalten. Babbel wurde 2007 gegründet, IBB Ventures ist seit zwölf Jahren dabei. Das E-Learning-Start-up ist für den Wagniskapitalgeber ein Ausnahmeinvestment. Bei 1 Mill. Euro, die im Durchschnitt in ein Portfolio-Unternehmen gesteckt werden, „ist 10 Mill. Euro ein guter Exit“, sagt Bendisch. Maximal fließen bis zu 4 Mill. Euro in ein Start-up.
Für den Markt in Berlin rechnet der Manager im laufenden Jahr mit einer „Stagnation auf hohem Niveau“. Ein regelrechter Einbruch ist nicht zu erwarten, dies schon deshalb, weil die Zahl der im Start-up-Hotspot Deutschlands aktiven Wagniskapitalgeber in den vergangenen Jahren rasant angestiegen ist. Binnen 20 Jahren stieg die Zahl der Fonds von drei auf 100. Und auch ihre Größe hat deutlich zugenommen. Schwergewichte vor Ort sind unter anderem Earlybird, Cherry Ventures und Target Ventures.