ESG-Debatte stärkt Henkels Klebstoffgeschäft
ak Düsseldorf
Vor dem Hintergrund zuletzt nur noch einstelliger Margen der Markenartikelaktivitäten rückt das Klebstoffgeschäft von Henkel als Ergebnisträger wieder stark in den Fokus. Passend dazu hat der Konzern jetzt ein neues Innovationszentrum eingeweiht – mit 130 Mill. Euro Investitionsvolumen eines der größten Projekte der vergangenen Jahre. Am Hauptsitz in Düsseldorf-Holthausen sind künftig die Forscher und Produktentwickler alle in einem Gebäude mit 30 Laboren untergebracht. Auch Kunden soll die Produktpalette dort mit Showräumen und gläsernen Roboterlaboren präsentiert werden. Ein weiteres Klebstoff-Zentrum für rund 60 Mill. Euro baut Henkel gerade in Schanghai.
Etwa 300 Mill. Euro gibt der Dax-Konzern jährlich für Forschung und Entwicklung im Klebstoffbereich aus. Das liege im Verhältnis zum Umsatz deutlich über dem Branchendurchschnitt, wie Spartenvorstand Jan Dirk Auris am Montag erläuterte. Henkel ist Weltmarktführer bei Kleb- und Dichtstoffen sowie Oberflächenbeschichtungen. Auris bezifferte das globale Marktvolumen auf rund 65 Mrd. Euro. Henkel kommt auf rund 10 Mrd. Euro Umsatz, 3 Mrd. Euro davon steuert die stärkste Konzernmarke Loctite bei.
Debonding und Recycling
In den kommenden Jahren soll das Klebstoffgeschäft einen Tick schneller wachsen als die übrigen Aktivitäten. Henkel peilt mittelfristig ein organisches jährliches Umsatzplus von 3 bis 5% an. Der Konzern setzt dabei auf eine verstärkte Nachfrage nach nachhaltigen Produkten. So hat Henkel Klebstoff für Essensverpackungen entwickelt, der zu 98% aus biobasierten Materialien besteht und außerdem noch mit der Kartonage recycelbar ist. Ein anderes Beispiel sind Oberflächenbeschichtungen für Dächer, die kühlend wirken und damit auf die steigenden Temperaturen durch den Klimawandel reagieren. Auch Debonding ist ein großes Thema. Henkel arbeitet an Klebstoffen, die sich leicht wieder ablösen lassen, um Teile eines an vielen Stellen geklebten Produktes wie ein Handy zum Beispiel gut ersetzen zu können und am Ende Produkte auseinanderzunehmen und besser wiederverwerten zu können.
„Wir bewerten jedes einzelne Produkt anhand verschiedener Nachhaltigkeitskriterien“, sagte Ulla Hüppe, Nachhaltigkeitsmanagerin bei Adhesive Technologies. Alle 127 Produktionsstandorte der Sparte weltweit sollen bis 2030 nicht nur klimaneutral, sondern sogar klimapositiv werden, indem zum Beispiel am Werk erzeugte überschüssige erneuerbare Energien ins Netz gespeist werden können.
Ergänzende Akquisitionen
Neben den eigenen Innovationen setzt Henkel weiter auf Akquisitionen. Ein großer transformatorischer Zukauf wie 2008, als Henkel für 3,7 Mrd. Euro National Starch von AkzoNobel übernahm, sei eher nicht geplant, sagte Konzernchef Carsten Knobel auf die Frage nach Expansionsplänen – wohl aber kleinere Zukäufe. Es gebe viele mittelständische Wettbewerber mit 50 bis 100 Mill. Euro Umsatz. Außer im Bau, wo die Schweizer Konkurrentin Sika Weltmarktführerin ist, rangiert Henkel in fast allen Abnehmerindustrien auf Rang eins. 3M und HB Fuller zählen zu den größten Konkurrenten des Düsseldorfer Traditionskonzerns, der eher zufällig ins Klebstoffgeschäft hereinrutschte, als er vor genau 100 Jahren den Kleber für seine Waschmittelverpackung selbst erfand.
Sattes organisches Plus
Heute stehen die Klebstoffe für die Hälfte des Konzernumsatzes. Aktuell jedoch sind auch die Renditen des Weltmarktführers, der über einige Preissetzungsmacht verfügt, unter Druck. Laut Klebstoffchef Auris gelingt zwar die Weitergabe der immensen Preissteigerungen bei Rohstoffen, die sich binnen eines Jahres um 27% verteuert haben. So fuhr das Klebstoffgeschäft ein organisches Umsatzplus im ersten Halbjahr von 12% ein. Auf die Margen wirkte der dadurch aufgeblähte Nenner dann aber stark dämpfend. Für das Gesamtjahr rechnet Henkel für Adhesive Technologies mit einer bereinigten Ebit-Rendite von 13 bis 15%, was noch unter dem Wert des schwierigen Corona-Jahres 2020 liegen würde.
Für das kommende Jahr prognostiziert Auris immerhin etwas Entspannung auf Seiten der Lieferketten. Hier befinde sich die gesamte Mannschaft seit zweieinhalb Jahren im Krisenmodus. Kleiner Trost: Aus dem Niedrigwasser des Rheins 2018 hat man gelernt. Die Tiefstände derzeit seien für Henkel kein großes Problem, sagt Auris.