Europa startet Tech-Aufholjagd
cru Frankfurt
– Growth Equity boomt. Die Investments in größere Minderheitsbeteiligungen an etablierten, aber noch jungen und schnell wachsenden Unternehmen, die nicht an der Börse notieren, ziehen in Europa mehr Kapital an denn je. Im Jahr 2021 haben Investoren erstmals mehr als 100 Mrd. Dollar in solche Wachstumsfinanzierungen in Europa gesteckt. Das geht aus Daten hervor, die der US-Finanzinvestor Adams Street ermittelt hat. „2021 wird in die Geschichtsbücher eingehen als das Jahr, in dem Europas Tech-Branche die letzten Zweifler eines Besseren belehrt hat und in die große Liga aufgestiegen ist“, schwärmt Ross Morrison, Partner für Primary Investments bei Adams Street, die 49 Mrd. Dollar verwaltet.
Auch der Ausstieg aus solchen Growth-Equity-Unternehmensbeteiligungen über IPOs oder Fusionen und Übernahmen hat Rekordwerte erreicht: „In Europa gibt es mehr Börsengänge im Technologiebereich als in den USA“, beobachtet Morrison. „Börsengänge mit mehr als 1 Mrd. Dollar Emissionserlös werden zur Regel, und die rekordverdächtigen Exit-Aktivitäten haben 2021 einen erstaunlichen Wert von 275 Mrd. Dollar erreicht.“ Darin enthalten sind 100 Mrd. Dollar aus Fusionen und Übernahmen, über 110 Mrd. Dollar aus Börsengängen und Direct Listings und weitere 62 Mrd. Dollar aus IPOs per Fusion mit einem Spac (Special Purpose Acquisition Company). Gut die Hälfte (140 Mrd. Dollar) des Exit-Volumens entfallen auf Venture-Capital-finanzierte Unternehmen.
Dennoch stehe Europa erst am Anfang einer Aufholjagd im Tech-Sektor, und alles deute darauf, dass „in den nächsten zehn Jahren selbst in einem konservativen Szenario viele Billionen an Wert hinzukommen“. Adams Street selbst investiert in die Firmen Aircall (cloudbasierte Telefonie für Geschäftskunden), Criteo (digitales Marketing) und Gocardless (Abwicklung wiederkehrender Zahlungen für Geschäftskunden).
Viele Rivalen auf engem Feld
Growth Equity hat sich in den vergangenen Jahren zu einem nicht genau abgegrenzten, aber schnell wachsenden Investmentfeld entwickelt – in der Mitte zwischen traditionellen Wagniskapitalfirmen, die kleine Beteiligungen an jungen Unternehmen erwerben, und Private-Equity-Fonds, die in der Regel reifere Unternehmen komplett kaufen. Um Growth-Equity-Beteiligungen konkurrieren inzwischen – neben den Finanzinvestoren und Wagniskapitalgebern – auch Hedgefonds wie Tiger Global oder herkömmliche Assetmanager wie BlackRock. Das hat die Herde der „Einhörner“ in Europa stark wachsen lassen: Die Gesamtzahl der Technologieunternehmen in Europa, die mehr als 1 Mrd. Dollar wert sind, ist laut Adams Street von 223 im Jahr 2020 auf 321 im Jahr 2021 gestiegen – eine Zunahme um „atemberaubende“ 44%.
Enorme Zuflüsse von Investoren, die nach Alternativen zu Aktien suchen, haben einen Boom der spezialisierten Growth-Equity-Fonds ausgelöst und die Anlageklasse auf ein Volumen anwachsen lassen, das der Datenanbieter Preqin auf fast 1 Bill. Dollar beziffert. Hier liegt die Finanzierungsquelle für den beschleunigten Tech-Boom in Europa: „Der Gesamtwert des europäischen Tech-Ökosystems übersteigt inzwischen 3 Bill. Dollar“, rechnet Adams-Street-Partner Morrison vor. „Es hat Jahrzehnte gedauert, bis im Dezember 2018 ein Wert von 1 Billion erreicht wurde, aber die nächsten beiden Billionen kamen in Rekordzeit hinzu.“
Inzwischen hat sich Growth Equity in den Köpfen der Anleger als eigene Anlagestrategie etabliert und erhält weiter anschwellende Zuflüsse. Das Wachstum der investierten Summen im Jahr 2021 wurde laut Adams Street von größeren Finanzierungsrunden – mit mehr als 250 Mill. Dollar Volumen pro Deal – getragen, deren Zahl sich in den letzten zwölf Monaten in Europa verzehnfacht hat.
Seit 2017 hat Europa den größten Erfolg in der Aufholjagd bei Finanzierungen in der Wachstumsphase erzielt – hier war auch der größte Nachholbedarf. Das Finanzierungsvolumen in der Wachstumsphase hat sich laut Adams Street verfünffacht, während die Finanzierung in der Frühphase in der gleichen Zeit nur um das 2,3-Fache zugenommen hat. Der Rückstand gegenüber den USA schrumpft: Auf europäische Start-ups entfallen inzwischen 33% der gesamten weltweiten Gründungen mit bis zu 5 Mill. Dollar investiertem Kapital, die USA kommen auf 35%.
In Europa gibt es jetzt Einhörner aus 28 verschiedenen Ländern. Darunter finden sich 26 europäische Tech-Firmen mit Decacorn-Status, das heißt mit einer Bewertung von 10 Mrd. Dollar oder mehr. Dies ist mehr als eine Verdoppelung gegenüber den zwölf Decacorns, die Ende 2020 erfasst wurden.
Die europäische Tech-Branche hatte sich ursprünglich mit verbraucherorientierten (B2C-)Tech-Produkten einen Namen gemacht, doch der jüngste Aufstieg der B2B-Software habe „den Einfluss und die Bedeutung der Region auf dem globalen Markt für Unternehmenssoftware verändert“, sagt Morrison.
Die kombinierte Marktkapitalisierung der zehn größten Unternehmen in den Vereinigten Staaten ist immer noch zehnmal größer als die Europas, aber der Abstand wird auch hier kleiner. Im Jahr 2021 ist die Marktkapitalisierung der zehn größten europäischen Unternehmen laut Adams Street um 514 Mrd. Dollar gestiegen, was einem Zuwachs von 73% entspricht. Dem steht ein Anstieg von 55% in den USA und ein Rückgang von 17% in China gegenüber.