Ukraine-Krieg

Gazprom gibt deutsche Tochter auf

Mit den Sanktionen gegen Moskau und dem Risiko eines russischen Gaslieferstopps nach Europa wächst die Angst vor einer Energiekrise. Der russische Staatskonzern Gazprom trennt sich bereits von seiner deutschen Tochter. Dem Unternehmen gehört unter anderem ein Viertel der Gasspeicher hierzulande.

Gazprom gibt deutsche Tochter auf

cru Frankfurt

Auch ohne einen Gaslieferstopp wachsen für Unternehmen schon jetzt die Probleme, die aus den Sanktionen gegen Russland resultieren. Der russische Energieriese Gazprom hat am Freitag bekannt gegeben, dass er seine deutsche Tochtergesellschaft, einschließlich eines Handelszweigs in Großbritannien, nicht mehr besitzt. Der russische Staatskonzern habe sich aus der Gazprom Germania GmbH und allen ihren Einheiten, einschließlich der in London ansässigen Gazprom Marketing&Trading, zurückgezogen, hieß es in einer Mitteilung. Einzelheiten oder Erklärungen zu den derzeitigen Eigentumsverhältnissen wurden nicht genannt.

Gazprom-Tochtergesellschaften in Europa sind unter Druck geraten, da Kunden und Geschäftspartner nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine Geschäfte mit ihnen ablehnen. Die deutsche Regierung hat in dieser Woche Optionen wie eine Verstaatlichung oder Enteignung für die Wingas GmbH erwogen – ein Teil von Gazprom Germania, der etwa 20% des deutschen Gasmarktes beliefert. Gazprom Marketing&Trading steht vor Liquiditätsproblemen, da Banken die Transaktionen verzögern und andere Unternehmen sich weigern, mit der Firma Geschäfte zu machen.

Eine Entscheidung für eine Verstaatlichung über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, über die spekuliert wird, gibt es noch nicht. Wingas nimmt keine Stellung dazu.

Mit einer Verstaatlichung oder Enteignung soll im Fall einer Schieflage der für Deutschland systemrelevanten Unternehmen eine Beeinträchtigung der Energieversorgung verhindert werden. Auf Rosneft Deutschland entfallen 25% des deutschen Raffineriegeschäfts, und Wingas ist Teil der Gazprom Germania GmbH, die etwa 25% der deutschen Gasspeicherkapazitäten besitzt. Die Büros beider Unternehmen wurden von Wettbewerbshütern der EU durchsucht. Im Fokus steht die Frage, ob Gazprom zur Verschärfung der Energiekrise beigetragen hat, die die Preise seit Sommer 2021 auf Rekordhochs treibt.

In der deutschen Wirtschaft wachsen derweil Befürchtungen, dass die Industrie in eine schwere Krise stürzen könnte, sollte Moskau die Gaslieferungen einstellen oder der Westen Russland mit einem Energieembargo belegen. Evonik-Chef Christian Kullmann warnte vor drastischen Folgen: „Die Situation ist ernst“, sagte der Manager, der auch Präsident des Verbandes der chemischen Industrie (VCI) ist. Die deutsche Industrie müsse sich „auf ein drastisches, auf ein dramatisches Szenario“ vorbereiten. Dann könne die Volkswirtschaft „nicht überleben“. Gerade die chemische Industrie sei sehr energieintensiv. „Wenn wir von der Energieversorgung abgeklemmt werden sollten, dann stehen wir hier innerhalb von wenigen Tagen still“, sagte Kullmann. In der Folge würden weitere Branchen wie die Bau-, Auto- und Verpackungsindustrie nicht mehr produzieren können. Auch BASF-Chef Martin Brudermüller warnt vor beispiellosen Schäden. „Das könnte die deutsche Volkswirtschaft in ihre schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs bringen.“ Die Energieexpertin Lamia Messari-Becker, die die Bundesregierung berät, erklärte: „Wenn Grundstoffindustrien zum Erliegen kämen, würde ein Dominoeffekt entstehen, der nicht mehr aufzuhalten und nur schwer reparabel wäre.“ Die Bauwirtschaft hänge an gasintensiven Industrien wie der Chemie-, Stahl- und Zementindustrie. Sie forderte die Politik auf, alle nationalen Reserven zu mobilisieren und notfalls auch Laufzeiten konventioneller Kraftwerke, etwa von Kohlekraftwerken, zu verlängern.

Beim Stahlkonzern Salzgitter hieß es: „Ohne Erdgas keine Produktion von Stahl.“ Der Politik müsse klar sein, dass von der Produktion die Energieversorgung und die Energiewende abhingen. Volkswagen teilte mit, dass die Versorgung der VW-Werke mit Gas derzeit gesichert sei.

Siemens-Energy-Chef Christian Bruch sagte, bei einem kurzfristigen Boykott seien die negativen Auswirkungen für Deutschland größer als der Effekt auf Russland. Für manche Branchen sei die Gasversorgung existenziell. „Nehmen Sie nur die Glasindustrie. Wenn die Anlagen einmal kalt fallen, sind sie hinüber.“ Der Glashersteller Wiegand bereitet sich auf ein Abschalt-Szenario vor. „Wir beschäftigen uns damit, wie wir im schlimmsten Fall die Schmelzwannen selbst kontrolliert stilllegen können“, sagte Geschäftsführer Nikolaus Wiegand. Versiege der Gasstrom, würden Tausende Tonnen flüssiges Glas erkalten und unbrauchbar.

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