Grüne Aktivisten
Markus Krebber hat es nicht leicht. Der neue Vorstandschef von RWE hat für die kommenden Jahre milliardenschwere Investitionen in Windräder und Solarparks angekündigt. Dennoch steht sein Unternehmen wieder am Pranger als Europas drittgrößter CO2-Emittent. Grund dafür sind vor allem die alten Braunkohlekraftwerke des Konzerns, die nach dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung „idealerweise“, wie es heißt, aber auch frühestens 2030 abgeschaltet werden.
So lange wollen manche Investoren nicht warten. Der kleine aktivistische Investor Enkraft Capital, ein auf erneuerbare Energien spezialisiertes Familienunternehmen aus München, macht dem Essener Stromkonzern Druck. Enkraft fordert die Abspaltung der Braunkohlesparte, um so den Bewertungsmalus gegenüber reinen Erneuerbare-Energien-Produzenten zu senken und auch verborgenen Wert aus nicht genutzten CO2-Emissionsrechten von angeblich mehr als 10 Mrd. Euro zu heben. Der Enkraft-Brief an RWE-Vorstand und -Aufsichtsrat vom 6. September hat seine Wirkung offenbar nicht verfehlt. Enkraft-Geschäftsführer Benedikt Kormaier, beraten vom Ex-Goldman-Sachs-Banker Thomas Schweppe, wurde schon zweimal zum Gespräch mit RWE-Finanzchef Michael Müller gebeten – eines am 24. September und eines am 29. November – trotz des Anteils von weniger als 1% der Aktien an RWE, die Enkraft hält. Beide Gespräche endeten ohne Ergebnis: RWE will an der Braunkohle festhalten und begründet das unter anderem mit der Versorgungssicherheit in Deutschland.
Enkraft will das nicht gelten lassen: „Wie schon in unserem zweiten Gespräch verdeutlicht, ist es enttäuschend, dass Sie auch auf dem RWE Capital Market Day die Chance haben verstreichen lassen, Lösungsvorschläge und Zeitpläne für dieses – für das Unternehmen wohl dringlichste – strategische Problem aufzuzeigen“, schreibt Kormaier in einem weiteren Brief vom 3. Dezember, der der Börsen-Zeitung vorliegt, an Krebber und Müller sowie in Kopie an Aufsichtsratschef Werner Brandt. „Das ist umso unverständlicher, da die Verlangsamung des Klimawandels durch eine möglichst schnelle Reduzierung des CO2-Ausstoßes eines der prominentesten und wichtigsten Themen in der gesellschaftlichen Diskussion darstellt.“
Die Wertaufholung (durch Abspaltung der Braunkohle) dürfte dabei konservativ gerechnet bei circa 20 Mrd. Euro, oder circa 30 Euro pro RWE-Aktie, liegen, was für viele Investoren und Analysten unstreitig sei. Die beschriebene Wertsteigerung umfasse hierbei noch nicht die teilweise mögliche Aufdeckung der circa 10 Mrd. bis 13 Mrd. Euro an stillen Reserven aus den CO2-Absicherungsgeschäften, welche RWE über die letzten Jahre eingegangen sei, – eine zusätzliche Wertsteigerung, die bei früherer Stilllegung realisierbar wäre und „deren Bestehen Sie zumindest dem Grundsatz nach uns gegenüber bestätigten“. Am Ende des Briefs steht die Drohung: „Sollten Sie einer aktiven Suche nach einer schnellen Lösung weiter ausweichen, müssen sich Investoren fragen, ob Vorstand und Aufsichtsrat den wesentlichen strategischen Herausforderungen der Gesellschaft gewachsen sind.“
Damit orientiert Enkraft sich auf eine Kampfabstimmung auf der Hauptversammlung am 28.4.2022. Für die Abspaltung der Braunkohle dürfte der kleine aktivistische Investor weitere Unterstützer finden. „Eine Debatte über die Geschwindigkeit der CO2-Senkung ist zu begrüßen, auch größere strukturelle Veränderungen im Konzern dürfen kein Tabu sein“, sagte Ingo Speich, Leiter des Bereichs Nachhaltigkeit bei der Fondsgesellschaft Deka, die 0,9% an RWE hält. „Wir sehen eine hohe und dringende Notwendigkeit für die Transformation des RWE-Geschäftsmodells hin zu einer deutlichen Senkung des CO2-Profils“, betont auch Thomas Deser, Fondsmanager bei Union Investment, die rund 1% der RWE-Aktien hält.
Auch in der Politik finden sich Unterstützer für eine Abspaltung der Braunkohle von RWE. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung heißt es auf Seite 59: „Geprüft wird die Errichtung einer Stiftung oder Gesellschaft, die den Rückbau der Kohleverstromung und die Renaturierung organisiert.“ Als Unterstützer einer solchen Lösung gilt NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart. Auch Bernd Tönjes, Chef der RAG-Stiftung, die die Ewigkeitslasten aus dem Steinkohlebergbau trägt, soll einer Erweiterung seines Aufgabenkreises auf die Braunkohle nicht abgeneigt sein. In den Koalitionsvertrag soll das Thema der Chef der Gewerkschaft IGBCE Michael Vassiliadis gebracht haben. „Am Ende könnten Bund und Länder direkt oder über eine Stiftung die Kontrolle über die Restaktivitäten und die Renaturierungen übernehmen und damit Versorgung sichern, aber auch den Fahrplan der Einstellung der Kohleverstromung kontrollieren“, sagte Enkraft-Chef Benedikt Kormaier der Börsen-Zeitung. RWE ist bei weitem nicht der einzige Konzern, bei dem die Geschäftsfelder, die noch auf fossilen Energien beruhen, durch aktivistische Investoren verstärkt unter Druck kommen. Ihre Vorstöße sind in der jüngsten Zeit – nach dem Abflauen der Pandemie – wieder häufiger geworden. Allein zwischen dem 27. September und dem 8. Oktober gab es laut Investmentbank Lazard 15 neue Kampagnen. Im gesamten dritten Quartal dieses Jahres steckten die Aktivisten 8,5 Mrd. Dollar in 29 neue Kampagnen – fast drei Viertel mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres. Insgesamt wurden im Laufe des Jahres bis dato 123 neue Attacken gestartet und 28,5 Mrd. Dollar dafür aufgewendet.
Als wichtigster Ansatzpunkt für die Angriffe der Aktivisten hat neuerdings neben M&A-Situationen vor allem der Themenkreis Umwelt, Soziales und Governance (ESG) an Gewicht gewonnen. Aufsehen erregte zuletzt, dass der winzige Hedgefonds Engine No. 1 es schaffte, in einer Kampfabstimmung mehrere Verwaltungsratssitze beim US-Ölkonzern Exxon für sich zu gewinnen. Als nächster Gegner ist schon Exxon-Rivale Chevron ins Visier von Engine No. 1 geraten. Doch auch diverse der ganz großen aktivistischen Investoren wie Elliott haben ESG als Angriffspunkt für Kampagnen genutzt: So setzte der Valueact mit durch, dass BP und der Versorger Enviva ihre CO-Emissionen aus dem Ölgeschäft und aus Kohlekraftwerken reduzieren. Elliott erzwang bei Evergy eine Umlenkung der Investitionen in Windkraft. Und TCI mischte sich in den Dieselskandal bei VW ein. Eine der prominentesten ESG-Aktivistenkampagnen in Europa wurde vor einem Jahr bei Solvay gestartet: Im Dezember 2020 schickte Bluebell Capital einen Brief an den Board of Directors des Konzerns, in dem der Aktivist forderte, dass das Unternehmen eine Überprüfung seiner ESG-Praktiken einleitet und die Einleitung von Abfällen aus seinem Werk in der Toskana ins Meer stoppt.
Strategieveränderung als Ziel
Das liegt nicht etwa daran, dass die Aktivisten plötzlich altruistisch geworden wären, sondern daran, dass ESG-Aktivitäten eine höhere Rendite versprechen. Und: „Wer seinen Fonds auf ESG-Ziele ausrichtet, kann sich von den anderen unterscheiden. Er zieht mehr Anlagekapital auf sich“, sagt Richard Thomas, Head of European Shareholder Advisory bei der Investmentbank Lazard. Dadurch ist eine neue Klasse von Spielern entstanden. Dazu zählen Engine No. 1 sowie Inclusive Capital und Impactive Capital – alle drei erfolgreiche ESG-Aktivisten, die erst 2020 in Fahrt gekommen sind, von Branchenveteranen neu gegründet wurden und darauf setzen, dass der Erfolg von Unternehmen eng damit zusammenhängt, ob sie ESG-Ziele ernsthaft verfolgen. „Es geht nicht mehr nur darum, M&A-Deals zu beeinflussen. Die Aktivisten nehmen immer öfter für sich in Anspruch, die Strategie der Unternehmen fundamental zu verändern und das Management auszutauschen. Dabei zeichnet sich eine radikal neue Rolle für die Aktionäre ab. Sie verhalten sich nicht mehr so ergeben gegenüber Aufsichtsrat und Vorstand. Für Aufsichtsratsmitglieder großer Unternehmen wird der Job deutlich schwieriger“, sagt Lazard-Banker Thomas.
Damit kommen auf RWE-Chef Krebber härtere Zeiten zu. „Die Argumente, mit denen Sie versuchen, einer zügigen Lösung der für die RWE wohl momentan gewichtigsten strategischen Frage (die Braunkohleabspaltung) aus dem Weg zu gehen, sind für den Vorstand eines börsennotierten Unternehmens in keiner Weise angemessen oder sachgerecht“, droht Enkraft-Chef Kormaier in seinem Brief und zitiert den RWE-Vorstand: „[…] die Versorgungssicherheit in Deutschland steht einem schnellen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung entgegen“. RWE betone „immer wieder, dass ein schneller Ausstieg aus der Braunkohleverstromung erst erfolgen kann, wenn Produktionskapazitäten durch erneuerbare Energien sowie Speicherkapazitäten deutlich gesteigert werden“. „Aus einem deutschlandweiten energiewirtschaftlichen Blickwinkel ist diese Aussage sicher nicht falsch. Sie verkennen dabei allerdings, dass der RWE, und damit auch Ihnen als Vorstand – mit Ausnahme kleinerer energierechtlicher Einschränkungen – nicht die Verantwortung zufällt, die Versorgungs- und die Preissicherheit von Elektrizität in Deutschland zu gewährleisten. Der Ausgleich der widerstreitenden gesellschaftlichen und politischen Ziele von Klimaschutz und Versorgungssicherheit obliegt in erster Linie dem Staat, nicht der RWE als privatwirtschaftlichem Unternehmen. Wenn Sie als Vorstand der RWE zum Schluss kommen, dass eine Abtrennung und schnelle Beendigung der Braunkohleaktivitäten aus unternehmerischen Gründen vorteilhaft sind, obliegt es in erster Linie Ihnen, einen entsprechenden Plan zu erarbeiten und umzusetzen.“
Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt