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„Heute ist ein dunkler Tag für uns alle“

Nach dem Angriff von Russland auf die Ukraine spricht Siemens Energy von einer Zäsur in Europa. Der Konzern ist in Russland stark engagiert.

„Heute ist ein dunkler Tag für uns alle“

mic München

„Heute ist ein dunkler Tag für uns alle“: Mit diesem Satz eröffnete Joe Kaeser die Hauptversammlung von Siemens Energy nach Beginn des Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine am Donnerstag. Der Aufsichtsratsvorsitzende fuhr fort: „Ich selbst bin Jahrgang 1957 und hatte wie viele andere das Privileg, nie einen Krieg erleben zu müssen. Ich hoffe für uns alle, dass dieses Glück auch den jüngeren Generationen erhalten bleibt.“

Siemens-Energy-Vorstandschef Christian Bruch sprach ebenfalls von einem dunklen Tag: „Der Angriff auf die Ukraine stellt eine Zäsur in Europa dar.“ Ein Krieg sei für viele Menschen, vor allem die jüngeren Generationen, schlicht undenkbar gewesen. In solchen Zeiten rücke das Wirtschaftliche in den Hintergrund: „Im Vordergrund stehen jetzt die Menschen, die vom Krieg bedroht sind.“ Aber natürlich müsse Siemens Energy als Unternehmen jetzt ebenfalls genau analysieren, was das für das Geschäft des Unternehmens bedeute. Man folge dabei selbstverständlich dem Primat der Politik, die jetzt entscheiden werde, wie eine Reaktion aussehe. Bruch appellierte zugleich an die Zuhörer der virtuellen Hauptversammlung und die Aktionäre, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Russland nicht zu vergessen: „Wir kennen viele von ihnen persönlich und wissen, dass auch sie keinen Krieg wollen.“

Mehr Lokalisierung

Die Auswirkungen der Spannungen seien schon lange zu beobachten gewesen, hatte Bruch bereits bei Vorlage der Quartalszahlen vor wenigen Wochen erklärt: „Die russischen Kunden fordern mehr und mehr Lokalisierung.“ Sie griffen stärker auf lokale Lieferanten zurück, auch wenn dies die technisch schlechtere Lösung sei. Dies sei seit zwei bis drei Jahren so, erklärte Bruch. Siemens Energy produziert dem Vorstandschef zufolge Gasturbinenkomponenten für den russischen Markt, aber auch Transformatoren: „Insofern ist das für uns ein relevanter Markt.“ Der Umsatz liege im mittleren dreistelligen Millionenbereich. In der Ukraine sei Siemens Energy kaum vertreten, hieß es ergänzend.

Das Geschäft in Russland spielt für die Siemens AG, von der die Tochter Energy im September 2020 abgespalten worden war, dagegen eine eher untergeordnete Rolle. „Rund 1% des globalen Umsatzes entfallen auf Russland“, erklärte Vorstandsvorsitzender Roland Busch vor wenigen Wochen in der virtuellen Hauptversammlung. Der Konzern erlöste im vergangenen Geschäftsjahr weltweit rund 71 Mrd. Euro. Aktuell ist Siemens nach eigenen Angaben insbesondere auf die Modernisierung der Industrie, der Energienetze, des Gesundheitswesens sowie der Eisenbahnen im Land fokussiert. Es werde derzeit eine niedrige vierstellige Zahl an Mitarbeitern beschäftigt, hieß es.

Die Ukraine spielt eine geringere Rolle für Siemens. Der Konzern ist mit mehreren Standorten und einer niedrigen dreistelligen Zahl von Mitarbeitern vertreten.

Die Geschäftsbeziehung von Siemens mit Russland begann Mitte des 19. Jahrhundert, als die Firma 75 Zeigertelegrafen für die Telegrafenlinie St. Petersburg-Moskau lieferte. Mitte der 1850er Jahre erwirtschaftet das Vorgängerunternehmen Siemens Halske 80% seines Umsatzes in dem Land, zeitweise arbeiteten dort zwei Drittel der Gesamtbelegschaft. Die erste Niederlassung in Russland gründete Siemens 1855, vier Jahre später zog Carl von Siemens in das Land und ließ sich dauerhaft in der russischen Hauptstadt nieder. 1918 wurde der Konzern enteignet, 1971 eröffnete das Unternehmen eine eigene Vertretung in Moskau.

Hauptsitz in Moskau

Ende der neunziger Jahre addierte sich der Auftragseingang auf mehr als 1 Mrd. DM jährlich, und Siemens war an acht Joint Ventures beteiligt. Im April 2011 bezog Siemens einen neuen Hauptsitz in Moskau. Vor der Abspaltung von Siemens Energy war der Konzern mit 3400 Mitarbeitern in acht Regionalbüros sowie an zwölf Produktionsstandorten aktiv. Im Geschäftsjahr 2018/2019 wurden 1,1 Mrd. Euro erlöst.