Kapitalerhöhung wird vorbereitet
mic München
Der Siemens-Energy-Aktienkurs sank am Montag bis zum Schluss des Xetra-Handels entgegen den Markttrend um 0,7% auf 16,81 Euro. Zuvor hatte sich Siemens Energy endgültig entschieden, die ausstehenden 32,9% des Windenergiespezialisten Siemens Gamesa erwerben zu wollen. Die Muttergesellschaft hatte entsprechende Überlegungen schon am 18. Mai öffentlich gemacht. Man biete nun pro Aktie je 18,05 Euro in bar, erklärten die Münchner am Samstagabend. Dies entspricht einem Volumen von bis zu 4,04 Mrd. Euro. Siemens Gamesa ist im spanischen Leitindex Ibex 35 notiert.
Siemens-Energy-Finanzvorständin Maria Ferraro kündigte am Montag in einer Telefonpressekonferenz an, dass Energy in einem ersten Schritt Eigenkapital unter Ausschluss von Bezugsrechten aufnehmen könnte. Der Konzern nannte keinen festen Zeitpunkt, sondern machte die Entscheidung von Marktbedingungen abhängig. Ferraro erklärte – die Angebotsfrist beginnt wahrscheinlich im September – zur Kapitalerhöhung: „Technisch gesehen könnte es auch vor September sein.“
Mit Eigenkapital oder eigenkapitalähnlichen Instrumenten sollen bis zu 2,5 Mrd. Euro des Transaktionsvolumens finanziert werden, sofern Gamesa zu 100% übernommen wird. Die Siemens AG als 35%-Aktionär an Siemens Energy hat bereits klargemacht, sich an einer Kapitalerhöhung nicht zu beteiligen.
Vorstandsvorsitzender Christian Bruch begründete den Finanzierungsmix mit dem Blick auf die Ratingagenturen. „Wir sind auf ein solides Investment-Grade-Rating verpflichtet.“ Siemens Energy hat ein S&P-Langzeitrating von „BBB“ mit negativem Ausblick.
Cash schmilzt dahin
Der übrige Kaufpreis soll den Angaben zufolge mit Fremdkapital und vorhandenen Barmitteln finanziert werden. Als Brückenfinanzierung stehe eine Zusage der Bank of America und von J.P. Morgan zur Verfügung. Siemens Energy hatte Ende März ein Nettofinanzguthaben von 1,6 Mrd. Euro. Abzüglich der Pensionsrückstellungen und der Kreditgarantien sind es noch 801 Mill. Euro. Sechs Monate zuvor waren es 1,6 Mrd. Euro gewesen – die operativen Fehlschläge von Siemens Gamesa zehren auch an der Cashposition. In der Folge entfällt mittlerweile der Großteil der kurz- und langfristigen Schulden auf die spanisch-deutsche Windenergietochter: 2,8 Mrd. der 3,3 Mrd. Euro. Siemens Gamesa befinde sich aufgrund operativer Probleme und branchenbedingter Herausforderungen derzeit in einer finanziell schwierigen Lage, erklärte Siemens Energy in der Mitteilung zur geplanten Übernahme.
Bruch begründete denn auch die Wahl des Übernahmezeitpunkts nicht nur mit Gewinnwarnungen der Tochter, sondern auch mit deren Finanzsituation. Im volatilen Marktumfeld wolle Siemens Energy eine planbare Finanzierung bieten, damit sich Gamesa darauf konzentrieren könne, die operativen Themen zu lösen, sagte er. Zudem könne Siemens Energy mit der eigenen Turnaround-Erfahrung helfen. Bruch versprach zudem eine konsistente Kommunikation mit dem Kapitalmarkt.
Zugleich wies der Chef von Siemens Energy warnend darauf hin, dass der Turnaround Zeit brauchen werde. Es handle sich um mehrere Jahre. Obwohl die Wachstumsaussichten für den Bau landgestützter Windkraftanlagen (onshore) schlechter sind als jene für Offshore-Windparks (siehe Grafik) und obwohl die Gamesa-Probleme ausschließlich im Onshore-Geschäft auftauchen, lehnte Bruch einen Verkauf dieser Aktivitäten ab. Onshore sei wichtig für das Service-Geschäft, außerdem existierten Synergien mit dem Bau von Anlagen auf hoher See.
Bruch verteidigte die Entscheidung, dass der angebotene Preis schlechter ist als jene Konditionen, die einst Minderheitsaktionär Iberdrola für sein Paket erhalten hatte. Der Angebotspreis pro Aktie liegt zwar knapp 28% über dem letzten unbeeinflussten Schlusskurs von Siemens Gamesa vom 17. Mai, also dem Tag vor der Bestätigung von Übernahmegerüchten, aber deutlich unter dem Iberdrola-Preis von 20 Euro je Aktie im Februar 2020. Es gilt aus der Sicht von Bruch für die Entwicklung in den vergangenen gut zwei Jahren: „Die Situation von Gamesa hat sich stark verschlechtert.“ Der Konzern arbeite in einer Industrie, die vor Herausforderungen stehe. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC wurde mit der Erstellung eines gemäß spanischem Recht für Delistings erforderlichen Bewertungsberichts beauftragt. Der Gamesa-Kurs beendete den Madrider Handel am Montag mit einem Plus von 6,2% auf 17,79 Euro.
Squeeze-out in weiter Ferne
Bruch erklärte, es gebe keine Mindestannahmeschwelle für das Angebot. Nach spanischem Recht kann ein Mehrheitsaktionär ein Delisting vorantreiben, wenn er mehr als 75% der Anteile hat. Der übrige Streubesitz erhält dann weiterhin eine Dividende. Ein Squeeze-out ist erst möglich, wenn 90% des Streubesitzes eingesammelt sind. Siemens Energy müsste also im Gamesa-Fall knapp 97% des Kapitals auf sich vereinen.
Der vorläufige Zeitplan sieht vor, dass das Angebot Mitte September startet. Bruch begründete die Wartezeit damit, dass die spanischen Aufsichtsbehörden die Offerte erst genehmigen müssten. Das Angebot dauert vier bis fünf Wochen. Im November soll eine außerordentliche Gamesa-Hauptversammlung das Delisting beschließen. Die Transaktion wird Ende 2022 abgeschlossen.
Siemens Energy kündigte an, innerhalb von drei Jahren nach der vollständigen Integration könne das zusammengeführte Unternehmen Kostensynergien in Höhe von bis zu etwa 300 Mill. Euro jährlich erreichen. Zudem würden bis zum Ende des Jahrzehnts Umsatzsynergien in Höhe eines mittleren dreistelligen Millionenbetrags erwartet.