„Können die eine oder andere M&A-Chance ergreifen“
Heidi Rohde.
Herr Wilhelm, welche entscheidenden Vorteile hat der Spin-off der Truck-Sparte für die beiden selbständigen Unternehmen Mercedes-Benz und Daimler Trucks?
Beide Unternehmen können sich auf die Herausforderungen der Transformation in eine CO2-neutrale Welt fokussieren. Sie haben jeweils ihren eigenen Kapitalmarktzugang, kämpfen also in der Kapitalbeschaffung nicht mehr um denselben Topf und können deshalb ihre Transformation beschleunigen. Die Herausforderungen sind groß, die Chancen allerdings auch. Für beide Unternehmen schafft die Abspaltung die Möglichkeit, gezielt zu investieren, Geschwindigkeit, Fokus und damit auch Geschäftserfolg.
Sie betonen den eigenständigen Kapitalmarktzugang. Werden Sie den schon bald nutzen, um die Herausforderungen der Transformation auch mit Hilfe von M&A zu bewältigen?
Das Management von Daimler Trucks agiert mit dem Spin-off eigenständig. Wir haben sehr bewusst diese Struktur der Abspaltung gewählt, bei der Daimler Trucks eben keine Tochtergesellschaft der künftigen Mercedes-Benz Group AG ist, sondern ein komplett eigenständiges Unternehmen. Wir halten insgesamt noch 35% der Anteile, 5% im Pensionsvermögen, 30% im Industrievermögen, das heißt, wir sind ein Ankeraktionär. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu anderen Minderheits-IPOs, wie wir sie in jüngerer Zeit bei anderen Konzernen gesehen haben.
Warum haben Sie als Ankeraktionär gerade diese Beteiligungshöhe gewählt, und was passiert nach Ablauf der Lock-up-Frist in 36 Monaten?
Wir wollten am Kapitalmarkt ein Signal setzen, dass wir Daimler Trucks beim Start in die Unabhängigkeit als starker Ankeraktionär unterstützen, gerade in der Anfangsphase. Die vereinbarte harte Lock-up-Frist beträgt zwölf Monate, daran schließt sich eine Haltefrist von weiteren 24 Monaten an. Wir haben keine direkte Absicht, unseren Anteil in dieser Zeit signifikant abzubauen.
Daimler Truck hat heute zum Börsenstart nochmals auf die stetigen üppigen Cash-flows hingewiesen. Dürfen die Aktionäre beider Unternehmen mit steigenden Dividenden rechnen?
Wir legen seit einiger Zeit sehr viel Aufmerksamkeit auf die Generierung eines starken Cash-flows und haben dabei in den vergangenen zwei Jahren gute Fortschritte gemacht. Ich bin zufrieden mit dem, was wir erreicht haben, aber wir sind nicht am Ziel. Beide Unternehmen planen, auch künftig an einer Gewinnausschüttung von 40% festzuhalten. Die Ergebnisentwicklung ist in diesem Jahr bei Mercedes trotz Engpässen bei Rohstoffen und Halbleitern sehr gut, mit zweistelligen operativen Margen. Bei Mercedes wollen wir diese Margen auch künftig halten. Übersetzt in Dividende sind das für unsere Aktionäre sehr gute Perspektiven. Voraussetzung ist immer, dass diese aus dem Cash-flow gedeckt ist.
Wie sieht es bei Mercedes selbst mit M&A aus? Haben Sie Ziele im Zuge der angesprochenen Transformation?
Der Schwerpunkt unserer Strategie liegt auf der Transformation zur Elektromobilität. Wir haben den Hebel klar in Richtung einer reinen Elektroauto-Strategie umgelegt. Dabei können wir durchaus die eine oder andere M&A-Chance ergreifen und haben das auch bereits getan, durch den Kauf von Yasa in Großbritannien oder durch den Einstieg bei ACC, an der auch Stellantis und Total beteiligt sind. Das sind M&A-Aktivitäten, die uns helfen, in der Transformation zu beschleunigen oder und uns technologisch zu ergänzen. Ansonsten haben wir alles an Bord, Produkte und Talente.
Die Notwendigkeit, technologisch aufzurüsten, hat in vielen Industrien und gerade auch im Automobilsektor junge Unternehmen als Partner oder Akquisitionsziele in den Fokus gerückt und die Bewertungen dieser Start-ups stark in die Höhe getrieben. Wie beurteilen Sie diese Preisentwicklung, und welche Bewertungsmaßstäbe setzen Sie bei einem solchen Zukauf?
Wir ziehen auch Investments in Start-ups in Betracht und haben ein Portfolio im Bereich Venture Capital. Aber wir zahlen nicht für Technologie jeden Preis. Die Bewertungen wurden in diesem Jahr unter anderem auch durch den Spac-Boom getrieben, der seit kurzem wieder einen gewissen Dämpfer erfahren hat. Wir sind fokussiert auf der technologischen Seite und bleiben vernünftig, was Bewertungen angeht.
Auf welchen Gebieten wird es künftig noch eine enge Zusammenarbeit zwischen Mercedes-Benz und Daimler Trucks geben? Etwa beim Einkauf, wo man ja mit mehr Nachfragemacht stärker auftritt, besonders bei knappen Komponenten wie Halbleitern?
Dass beide Unternehmen nun rechtlich selbständig sind, heißt nicht, dass sie nicht mit einander verbunden bleiben, beispielsweise bei Service-Beziehungen, bei Liefer- und Leistungsbeziehungen und auch auf der Technologieseite. Wir haben vor zwei Jahren bereits klar gesagt, dass sich die Lkw-Sparte auch stärker mit dem Antrieb durch die Brennstoffzelle befassen wird, was wir auf der Pkw-Seite weniger in Betracht ziehen. Wir haben aber die Möglichkeit, davon auch zu profitieren, wenn wir sehen sollten, dass dies auch im Pkw-Bereich relevant wird.
Das klingt, als könnte man in der derzeitigen Transformationsphase technologisch nicht viel ausschließen. Eventuell auch mehrgleisig zu fahren kann aber auch teuer werden?
Bei Mercedes haben wir eine klare Entscheidung für eine Electric-only-Strategie getroffen. Die Technologie hat sich so schnell weiterentwickelt, was Batterieleistung und -ladegeschwindigkeit sowie die Reichweiten angeht, dass E-Autos inzwischen hochperformante Fahrzeuge sind. Natürlich gibt es Nachholbedarf bei der Ladeinfrastruktur. Aber für uns ist es wichtig, dass wir uns fokussieren und nicht strategisch auf mehrere Pferde gleichzeitig setzen. Wir haben den Anspruch, technologisch führend zu sein.
Geschäftsfelder, die wenig Synergien haben und demgemäß unabhängig sind, sind erfahrungsgemäß auch geeignet, zyklische Schwächen des jeweils anderen auszugleichen. Wie schützen Sie sich künftig davor?
Schutz vor Zyklen im Pkw-Geschäft erreichen wir bei Mercedes-Benz, indem wir nicht sklavisch dem Volumengeschäft hinterherlaufen. Wir konzentrieren uns auf das hochpreisige Fahrzeugsegment, speziell auch auf das Luxussegment, und zwar stärker noch als bisher. Dabei wollen wir die starke Nachfrage auch leicht „unterbeliefern“. Top-Endprodukte unterliegen üblicherweise einer geringeren Zyklizität. Nachhaltiges Wachstum erzielt man also, indem man vorsichtig entlang der Nachfrage steuert und Schlaglöcher möglichst auslässt.
Bei anderen Spin-offs hat sich der Kurs der abgespaltenen Unternehmen oft besser entwickelt als der der Muttergesellschaft. Warum sollte das bei Daimler beziehungsweise Mercedes-Benz anders sein?
Unmittelbar nach der Ankündigung der Abspaltung Daimler Trucks hat unser Aktienkurs rund 10% zugelegt und sich seither gut entwickelt. Mit Blick nach vorn wird der Kapitalmarkt entscheiden, wie ein fokussierter Pkw- und Van-Hersteller mit einer klaren Strategie in der Elektromobilität, mit mehr softwaregetriebenem Geschäft sowie dem Fokus auf das Luxussegment mit stabilen Margen und solider Cash-flow-Generierung zu bewerten ist. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass der Kapitalmarkt das honoriert.
Das Interview führte