Agrarhandelskonzern vor Neustart

Krisengeschüttelter Baywa drohen weitere hohe Mehrbelastungen

Dem krisengeschüttelten Agrarhandelskonzern Baywa verschafft das Sanierungsgutachten mit einer positiven Fortführungsprognose zwar etwas Luft, doch auf das Münchner Unternehmen kommen weitere Probleme zu, die für abermalige Mehrkosten sorgen dürften.

Krisengeschüttelter Baywa drohen weitere hohe Mehrbelastungen

Baywa drohen erneut hohe Zusatzkosten

Fortsetzung laut Sanierungsgutachten möglich – Klagewelle gegen Management und Abschlussprüfer PwC rollt an – Vorwurf fehlender Hinweise im Testat

Von Stefan Kroneck, München

Ende gut, alles gut? Das lang erwartete Ergebnis des Sanierungsgutachtens von Roland Berger für den beinahe pleitegegangenen Agrarhandelskonzern Baywa sorgt im Unternehmen sicherlich zunächst für Erleichterung. Mit vielen einschränkenden Bemerkungen in einem vorläufigen Entwurf urteilen die Unternehmensberater, dass das einstige SDax-Mitglied die Voraussetzungen erfüllt für eine Fortsetzung des Geschäftsbetriebs.

Die AG könne „unter bestimmten Voraussetzungen saniert und mittelfristig ihre operative Wettbewerbs- und Renditefähigkeit wiederherstellen“, heißt es darin. Das Unternehmen müsse „mit stabilem Ausblick“ operieren und in den „wesentlichen Geschäftsbereichen eine führende Position“ aufweisen.

Die Anleger reagierten auf die in der Nacht von Montag auf Dienstag veröffentlichte Ad-hoc-Meldung des Münchner Traditionsunternehmens euphorisch. Im Xetra-Handel sprang die vinkulierte Namensaktie der Baywa zeitweise um nahezu ein Fünftel auf 13,04 Euro. Das entspricht einem Marktwert von 460 Mill. Euro. Zur Erinnerung: Als am 12. Juli die hoch verschuldete und defizitäre Baywa sich selbst ad hoc zu einem Sanierungsfall erklärte und das Gutachten unter Druck der Gläubigerbanken in Auftrag gab, brach der Aktienkurs ein. Der Titel sackte seinerzeit auf bis zu 9,50 Euro ab. Zuvor notierte das Papier bei 22,50 Euro.

Lange Aufräumarbeit steht bevor

Das Gutachten bedeutet, dass der Baywa eine lange Aufräumarbeit bevorsteht, um den Konzern ins Lot zu bringen und damit eine neue Vertrauensbasis bei den wichtigsten Anteilseignern und den Landwirten vor allem in Süddeutschland zu schaffen. Wie die Börsen-Zeitung bereits berichtete, läuft es auf eine Zerschlagung des Konglomerats hinaus. Dadurch zeichnen sich zunächst weitere hohe Belastungen für das Unternehmen ab.

Nähere Angaben darüber, welche Bereiche die Baywa aufgibt bzw. von welchen sie sich trennen muss, machte das Unternehmen aber noch nicht. „Voraussetzung für die Sanierung ist eine Restrukturierung über einen mehrjährigen Zeitraum“, zitiert die Firma aus dem Gutachten. „Wesentliche Maßnahmen“ seien unter anderem „zahlreiche operative Einsparungen“ und „Veräußerungen von einzelnen Geschäftsbereichen“. Der Vorstand gehe davon aus, dass die laufenden Verhandlungen mit den Gläubigerbanken und den Haupteigentümern über eine Neuordnung der Finanzen und das Sanierungskonzept „erfolgreich abgeschlossen werden können“.

Spekuliert wird, dass die zum Genossenschaftssektor zählende Baywa sich künftig auf ihre Kernaktivitäten in den Feldern Agrarhandel (darunter die niederländische Tochter Cefetra), Baustoffe und Landwirtschaftstechnik beschränkt. Das hieße, dass der Konzern fast sämtliche in der Ära unter dem früheren Vorstandsvorsitzenden Klaus Josef Lutz (2008 bis März 2023) erworbenen und aufgebauten Zusatzaktivitäten – darunter vor allem der neuseeländische Apfelplantagenbetreiber Turners & Growers sowie große Teile des Bereichs Erneuerbare Energien (Tochter Baywa r.e.) – wohl aufgeben wird.

Dem Vernehmen nach sollen die Gläubigerbanken und die bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken auf diesen Schrumpfkurs pochen. Zu den größten Kreditgebern gehören die DZ Bank, die LBBW und die Unicredit-Tochter HypoVereinsbank. Die Kreditgenossen des Freistaats sind über die Bayerische Raiffeisen Beteiligungs AG mit einem Anteil von 33,8% größter Einzelaktionär.

Energietochter macht Großteil der Schulden aus

Mitte August verständigten sich die Gläubigerinstitute und die kreditgenossenschaftlichen Primärbanken darauf, die Baywa mit einer Finanzspritze inklusive Überbrückungskredit von über einer halben Milliarde Euro zu stützen. Dadurch war eine positive Fortführungsprognose von Roland Berger vorgezeichnet. Nach Informationen der Börsen-Zeitung liegt die endgültige Fassung des Gutachtens erst Ende dieses Jahres vor.

Größtes Sorgenkind für den Konzern ist die Baywa r.e. AG. Die Einheit, an der die Baywa noch 51% hält, macht mit 5,8 Mrd. Euro rund ein Viertel des Konzernumsatzes aus (Stand 2023). Auf die Aktivitäten rund um Projekte für Windkraft- und Solaranlagen entfällt ein bemerkenswert hoher Anteil der gesamten Finanzschulden der Baywa-Gruppe. Ende vergangenen Jahres umfassten diese 5,4 Mrd. Euro. Davon machten die der Baywa r.e. 2,1 Mrd. Euro aus. Das sind nahezu zwei Fünftel aller Konzernfinanzverbindlichkeiten. Das Geschäft der Baywa r.e. ist sehr kapitalintensiv. Nach Jahren des Wachstums und hoher Profite geriet die Baywa r.e. 2023 in eine Krise. Die Erlöse und der Gewinn brachen ein. Die Flaute hält an. Eine Ursache dafür sind Dumpingangebote aus China für Solarpanels. Die Chinesen überschwemmen den Markt.

Informationspflichten verletzt?

Aufgrund dieses schwierigen Umfelds gelang es der Baywa bisher nicht, den Anfang März 2023 ad hoc avisierten Verkauf der internationalen Solarhandelsaktivitäten zu realisieren. Finanzvorstand Andreas Helber rechnete zuvor mit Erlösen von 2,5 Mrd. Euro. Diese hätten dazu verwendet werden können, die Finanzschulden abzubauen. Statt dieser erhofften Veräußerungserlöse sorgte der Vorstand der Baywa r.e. im Frühjahr dieses Jahres hausintern für Hiobsbotschaften.

Wie die Börsen-Zeitung erfuhr, soll das Management der Konzerntochter kurz nach der ordentlichen Hauptversammlung am 11. Juni der Baywa AG den Vorstand der Muttergesellschaft unter Leitung von CEO Marcus Pöllinger häppchenweise darüber informiert haben, die eigenen Finanzziele für 2024 zu verfehlen und zudem eine fristgerechte Tilgung von Krediten nicht mehr gewährleisten zu können. Als die Baywa eine fällig gewordene Anleihe von 500 Mill. Euro zurückzahlen musste, fehlten ihr ausreichend liquide Mittel, um die Ernte 2024 der Landwirte aufzukaufen. Daraufhin verständigte sie ihre Hausbanken. Das Desaster nahm seinen Lauf.

Allerdings informierte die Baywa erst am 24. Juli die Öffentlichkeit ad hoc darüber, ihre Jahresprognose zu kassieren, rund sechs Wochen nach der Insiderinformation, dass die Baywa r.e. ernste Probleme hat. Informierte die Baywa AG den Kapitalmarkt zu spät über die wirkliche Lage? Hat sie Informationspflichten verletzt? Vermutlich nutzte die Firma einen gesetzlichen Rahmen, um die Veröffentlichung einer solchen Insiderinformation bewusst aufzuschieben. Gemäß Artikel 17 (4) der EU-Marktmissbrauchsverordnung können Emittenten auf Antrag bei der zuständigen Aufsichtsbehörde die Offenlegung solcher Informationen aufschieben, wenn das u.a. die „berechtigten“ Interessen des Emittenten „beeinträchtigt“.

Dies könnte wegen der seinerzeit drohenden Insolvenz der Baywa der Fall gewesen sein. Auf Nachfrage wollte sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu dem Fall nicht äußern. Zur Begründung verwies ein Pressesprecher der Behörde auf eine in §21 Wertpapierhandelsgesetz verankerte Verschwiegenheitspflicht.

Sammelklagen in Vorbereitung

Unterdessen rollte eine Klagewelle geschädigter Kleinaktionäre auf die Baywa und den Abschlussprüfer PricewaterhouseCoopers (PwC) zu. Nach Informationen dieser Zeitung ist die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) bei dem Thema aktiv. Die Aktionärsschützer bereiten Sammelklagen gegen den Vorstand und frühere Vorstände der Baywa, also auch gegen Lutz, sowie gegen PwC auf Schadenersatz vor. Den DSW-Anwälten zufolge war das Risikomanagementsystem der Baywa lückenhaft. Dies hätte PwC in der Abschlussprüfung auffallen müssen.

Zudem werfen sie dem Abschlussprüfer vor, aufgrund fehlender Hinweise über die angespannte Finanzlage in ihrem Bestätigungsvermerk zum uneingeschränkten Testat für 2023 den (irreführenden) Eindruck erweckt zu haben, bei dem Unternehmen sei alles in Ordnung. Damit greift die DSW eine Problematik auf, über die die Börsen-Zeitung Anfang September exklusiv berichtete.

PwC vergab auch für die Baywa r.e. AG im Finanzbericht 2023 ein uneingeschränktes Testat, datiert von 22. April dieses Jahres. Wie im Testat für den Jahresabschluss der Muttergesellschaft Baywa AG (datiert vom 26. März) verzichtete der Abschlussprüfer auch hier auf Hinweise zu einer kritischen finanziellen Lage.

Erneut tiefrote Zahlen in Sicht

Derweil dürfte die Baywa auch im zurückliegenden zweiten Quartal einen hohen Nettoverlust verbucht haben. Die Ende Juli vom Unternehmen veröffentlichten Eckdaten zum Umsatz und Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) per 30. Juni sind angesichts der desolaten finanziellen Lage der Firma nur von untergeordneter Relevanz. Aufgrund der hohen Zinsaufwendungen infolge des Schuldenbergs, was sich im Finanzergebnis widerspiegelt, wird die Baywa voraussichtlich ebenfalls von Juli bis September einen Fehlbetrag verzeichnet haben. Die Baywa legt diesen Freitag ihren Halbjahresbericht vor.

Im ersten Dreimonatsabschnitt 2024 betrug das Defizit 108 Mill. Euro. 2023 waren es insgesamt 93 Mill. Euro. Aufgrund eines mit den Finanzgläubigern vereinbarten Stillhalteabkommens dürften von Mitte August an bis auf Weiteres keine großen Zinskosten mehr anfallen. Die Kreditstundung entlastet zwar vorläufig das Finanzergebnis der Baywa, verschiebt das Problem aber nur in die Zukunft. Denn es ist kaum vorstellbar, dass die Gläubigerbanken auf Teile der Darlehenstilgungen ganz verzichten werden.

Dem krisengeschüttelten Agrarhandelskonzern Baywa verschafft das Sanierungsgutachten mit einer positiven Fortführungsprognose zwar etwas Luft, doch auf das hoch verschuldete und defizitäre Münchner Unternehmen kommen weitere Probleme zu, die für abermalige Mehrkosten sorgen dürften.