Staatsinterventionen treffen Energiekonzerne
cru Frankfurt
Die Europäische Union erwägt, als Teil des Notfallpakets wegen der ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland eine Deckelung der Strompreise von Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien und der Kernenergie auf 180 bis 200 Euro pro Megawattstunde einzuführen. Das wäre etwa die Hälfte des gegenwärtigen Preises auf dem deutschen Großhandelsmarkt, der zuletzt bei etwa 440 Euro pro Megawattstunde lag. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Dienstag, dass Deutschland schnell eine Strompreisobergrenze einführen werde, um Verbrauchern und Unternehmen bei der Bewältigung der steigenden Stromkosten zu helfen.
Die Pläne müssen noch ausgearbeitet und schließlich von den EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet werden. Bei einem Ministertreffen in der vergangenen Woche wurden tiefe Meinungsverschiedenheiten über die Gestaltung des Pakets zur Eindämmung der Energiekrise deutlich, und einige Regierungen dringen wahrscheinlich auf Änderungen.
Der steigende Gaspreis hatte den Strompreis zuvor extrem nach oben getrieben. Die Differenz aus dem Großhandelspreis für Strom am Spotmarkt zur sofortigen Lieferung und der Preisobergrenze soll nun abgeschöpft und zur Finanzierung eines vergünstigten Preises für den von der Bundesregierung nicht näher definierten Basisverbrauch von Privathaushalten verwendet werden.
EnBW lehnte eine Stellungnahme ab. RWE erklärte, für eine Einschätzung des Preisdeckels sei es zu früh. Eon teilte mit, man profitiere als Stromverteilnetzbetreiber nicht von den erhöhten Energiepreisen. Uniper war kurzfristig nicht erreichbar.
RWE-Chef Markus Krebber warnte: „Kurzfristige Markteingriffe der Bundesregierung, wie etwa die Abschöpfung von sogenannten Zufallsgewinnen, müssen so gestaltet werden, dass die Funktionsweise des Marktes und die Investitionsfähigkeit der Unternehmen unter allen Umständen erhalten bleibt.“ Der Börsenwert von RWE kletterte am Dienstag um 2 % und hat sich seit Anfang 2019 verdoppelt auf 28,7 Mrd. Euro.
Die EU-Kommission plant, neben dem Strompreisdeckel auch eine befristete Abgabe auf Unternehmen in der Öl-, Gas-, Kohle- und Raffineriebranche in Höhe von mindestens 33 % ihrer zusätzlichen Gewinne vorzuschlagen. Die Grundlage werden die Vorsteuergewinne des Steuerjahres 2022 sein, die mehr als 20 % über dem Durchschnitt der drei Jahre ab 2019 liegen.
Um die Stromnachfrage zu senken, strebt Brüssel eine Senkung des Gesamtverbrauchs um 10 % und eine obligatorische Senkung der Nachfrage während ausgewählter Spitzenzeiten um 5 % an. Dies muss auch von den nationalen Regierungen genehmigt werden, und einige sind eindeutig gegen verbindliche Maßnahmen zur Nachfragereduzierung. Die Aktienkurse der Versorgungsunternehmen stiegen nach dieser Nachricht, und der Stoxx 600 Utilities Index legte um 0,7 % zu. Total Energies und Repsol gaben nach.
Die Tschechische Republik, die den rotierenden EU-Vorsitz innehat, hat für den 30. September eine zweite Dringlichkeitssitzung zur Energiekrise einberufen. Unterdessen will die Bundesregierung laut Nachrichtenagentur Bloomberg den Corona-Rettungsfonds WSF, der eingerichtet wurde, um Unternehmen bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu helfen, jetzt nutzen, um Kreditbürgschaften für angeschlagene Energieunternehmen bereitzustellen. Die staatliche Förderbank KfW würde den Mechanismus beaufsichtigen, und das Volumen der verfügbaren Kreditbürgschaften würde sich auf etwa 67 Mrd. Euro belaufen, heißt es. Die Kreditermächtigungen sollen Energieunternehmen helfen, die aufgrund russischer Lieferkürzungen höhere Preise zahlen müssen. Der jüngste Plan für Kreditbürgschaften ist unabhängig von einem im April angekündigten Finanzhilfepaket über 100 Mrd. Euro, das unter anderem darauf abzielt, Energieunternehmen zu helfen, die durch Sicherheitenanforderungen („margin calls“) überlastet sind. Das norwegische Unternehmen Equinor hat erklärt, dass der europäische Energiehandel unter der Last von Forderungen in Höhe von mindestens 1,5 Bill. Dollar zusammenzubrechen droht.