Automobilindustrie

Stellantis stürzt in eine Führungskrise

Die Nummer Vier der Branche leidet unter der Krise der traditionellen Automobilindustrie. Ausgerechnet in dieser entscheidenden Situation steht Stellantis nach dem Rücktritt von Konzernchef Carlos Tavares erstmal ohne klare Führung da.

Stellantis stürzt in eine Führungskrise

Automobilindustrie

Stellantis-Chef geht im Streit

CEO Tavares mit sofortiger Wirkung zurückgetreten – Interim-Vorstand unter Führung von John Elkann soll Konzern leiten

Stellantis leidet unter Problemen mit Überkapazitäten vor allem in den USA. Ausgerechnet in dieser Situation steht die Nummer 4 der Automobilbranche nun erstmal ohne klare Führung da. Zwischen Tavares, der in den USA und in Italien in die Kritik geraten ist, und dem Verwaltungsrat gab es zuletzt Differenzen.

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Von Gesche Wüpper, Paris

Es war nur ein kurzes, nüchternes Kommuniqué. Doch die Mitteilung, dass Stellantis-Chef Carlos Tavares mit sofortiger Wirkung zurücktritt, erschüttert den viertgrößten Automobilkonzern der Welt mit seinen 14 Marken zutiefst, auch an der Börse. Denn die Anfang 2021 aus der Fusion von PSA und Fiat Chrysler entstandene Gruppe ist damit erstmal ohne klare Führung – ausgerechnet jetzt, da sie die Folgen der Krise der traditionellen Automobilindustrie zu spüren bekommt.

Zwar soll zunächst eine Übergangsführung unter Leitung von Verwaltungsratschef John Elkann gebildet werden, bis im Laufe des ersten Halbjahres 2025 ein Nachfolger für Tavares ernannt wird. Doch wie dieser Interims-Vorstand konkret aussieht, bleibt unklar.

„Auch wenn es keine Überraschung ist, lässt der frühe und sofortige Abgang von Konzernchef Carlos Tavares die Gruppe in einer Zeit kritischer Entscheidungen ohne Führung“, urteilt der Analyst Philippe Houchois von der Investmentbank Jefferies. Stellantis müsse jetzt über das Markenmanagement entscheiden, um sich dem Verlust von Marktanteilen entgegenzustemmen. Der Konzern müsse auch eine Wahl treffen, wie er mit industriellen Überkapazitäten in Europa und Nordamerika umgeht, meint der Analyst.

Gewinnwarnung nach Problemen in den USA

Die Aktie der Opel-Mutter gab am Montag an der Börse Paris deutlich nach. Sie verbuchte den mit Abstand größten Kursverlust innerhalb des CAC 40. Das Papier hat seit Beginn des Jahres rund 45% an Wert verloren. Diese Entwicklung spiegelt die enttäuschende Entwicklung der Automobilgruppe in den letzten Monaten wider. Vor allem Nordamerika, zuvor der lukrativste Markt von Stellantis, bereitet der Gruppe Probleme. Tavares hatte deshalb Ende September eine Gewinnwarnung abgegeben, nachdem er zuvor angekündigt hatte, Marken und Produktion auf den Prüfstand stellen zu wollen.

Stellantis erwartet mittlerweile nur noch eine bereinigte operative Marge von 5,5% bis 7% in diesem Jahr. Vorher war der Konzern noch davon ausgegangen, dass sie zweistellig ausfällt. Zum Vergleich: 2023 war die bereinigte operative Marge von 13,4% auf 12,8% zurückgegangen, lag damit jedoch noch immer auf einem Niveau, das eher Premiumherstellern entspricht. Die Opel-Mutter hatte Ende September auch gewarnt, dass beim industriellen Free Cashflow 5 bis 10 Mrd. Euro abfließen dürften, nachdem dieser Wert 2023 um 19% auf 12,9 Mrd. Euro zugelegt hatte. Die Automobilgruppe bestätigte diese Prognosen jetzt anlässlich des Rücktritts von Tavares.

Neubesetzung von Schlüsselposten

Kurz nach der Gewinnwarnung hatte Stellantis bekannt gegeben, dass der als Kosten-Killer bekannte Portugiese bereits nach Ende seines Mandats Anfang 2026 in den Ruhestand gehen werde. Gleichzeitig musste die damalige Finanzchefin Nathalie Knight nach nur einem Jahr den Hut nehmen und ihren Platz dem Chief Operating Officer (COO) der China-Sparte Doug Ostermann überlassen. Auch andere Schlüsselposten wurden neu besetzt. Der Abschied des Konzernchefs und des Finanzvorstands in so kurzer Zeit sei ein beispielloses Hemmnis für Anleger, die in den Autobauer investieren wollten, meint Analyst José Asumendi von J.P. Morgan.

In den letzten Monaten war Tavares in die Kritik geraten, weil er nicht schnell genug auf die Probleme von Stellantis in den USA reagiert und gegenüber Konkurrenten keine aggressivere Preispolitik eingeschlagen hatte. Er hatte mit Produktionskürzungen auf die übervollen Lagerbestände dort reagiert und auf der Automobilmesse in Paris im Oktober versprochen, die Probleme auf dem amerikanischen Markt bis Weihnachten beheben zu wollen. Im dritten Quartal war der Umsatz in Nordamerika um 42% auf 12,4 Mrd. Euro eingebrochen.

Meinungsverschiedenheiten mit Verwaltungsrat

Für Tavares, der früher erst PSA, dann Opel aus der Verlustzone zurück auf die Gewinnspur gefahren hat, hagelte es zuletzt Kritik. Händler in den USA warfen ihm vor, mit seinem Kurs Marken wie Jeep, Dodge, Ram und Chrysler zu schaden. Gewerkschaften in den USA und Italien bemängelten, er habe Versprechen nicht gehalten. Die rechtsextreme italienische Regierung von Giorgia Meloni behauptete immer wieder, Stellantis vernachlässige unter seiner Führung Italien zugunsten Frankreichs. Verwaltungsratschef Elkann soll Meloni denn auch laut Medienberichten persönlich über den Rücktritt von Tavares informiert haben, bevor dieser offiziell bekannt gegeben wurde. Seine Familie hält 14,2% des Stellantis-Kapitals, die Familie Peugeot 7,2%, die staatliche französische Investitionsbank BPI France 6,1% und Blackrock 3,5%.

In den letzten Wochen seien Meinungsverschiedenheiten aufgetaucht, die zu dem Rücktritt geführt hätten, erklärte der frühere Axa-Chef Henri de Castries, der unabhängiges Mitglied des Verwaltungsrates ist. Tavares habe einen Sprint hinlegen wollen, um die Kosten zu senken, berichten französische Medien. Dagegen betonte Elkann nun in dem Kommuniqué, mit dem Interims-Vorstand den langfristigen Interessen des Konzerns und der Beteiligten dienen zu wollen.

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