Vorstandsvergütung und ESG: Noch Luft nach oben
Sag, wie hältst du’s mit der Nachhaltigkeit? Für Unternehmen wird diese neue Art der Gretchen-Frage mehr und mehr zu einem bestimmenden Faktor, auch in der Kommunikation mit dem Kapitalmarkt. Dazu passt, dass das Kürzel „ESG“ für die Dimensionen Umwelt (Environment), Soziales und gute Unternehmensführung (Governance) jetzt auch bei der Vorstandsvergütung eine zentrale Rolle spielt. Nahezu alle Unternehmen aus Deutschlands erster Börsen-Liga haben entsprechende Ziele in ihrem Vorstandsvergütungssystem verankert. Und die befragten Verantwortlichen für Investor Relations derselben Gruppe nennen ESG als das wichtigste Thema im Dialog mit Stimmrechtsverwaltern und Investoren zum Vergütungssystem. Das geht aus einer aktuellen Erhebung von Gauly Advisors hervor. Einbezogen wurden darin alle Unternehmen, die aktuell die besten Chancen auf eine Dax-40-Mitgliedschaft haben, wenn der Index im September ausgeweitet wird.
Dass das System zur Vorstandsvergütung im Jahr 2021 bei mehr als der Hälfte dieser Dax-40-Werte auf der Tagesordnung der Hauptversammlung steht, dafür sorgt das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II). Die Bestimmung, nach der Unternehmen ihr System zur Vergütung der Vorstandsmitglieder mindestens alle vier Jahre zur Abstimmung vorlegen müssen, gilt 2021 erstmals verbindlich.
Beratende Wirkung
Viele haben deshalb ihr jeweiliges System neu gestaltet – selbst wenn der Say-on-Pay-Beschluss der Hauptversammlung nur eine beratende Wirkung hat. Neben den seit langem diskutierten Regelungen zur Maximalvergütung, Performance-Benchmarks, Clawback-Klauseln und diskretionären Gestaltungsmöglichkeiten stand die Berücksichtigung von ESG bei der Neufassung im Mittelpunkt des Interesses.
Die untersuchten Unternehmen berücksichtigen, bis auf eines, ESG-Aspekte entweder bei den kurz- oder den langfristigen variablen Vergütungsfaktoren, mitunter auch in beiden Komponenten. Im Schnitt hängen rund 25% der kurz- beziehungsweise langfristigen variablen Vergütung der Vorstandsmitglieder von Nachhaltigkeitszielen ab. Die Zielerreichung in Sachen ESG dürfte damit spürbar auf die Gesamtvergütung durchschlagen.
Geht es allerdings darum, woran die Höhe der ESG-abhängigen Vergütung genau festgemacht wird, bleiben die Regelungen in den Vergütungssystemen oft vage. Nur die Hälfte gibt bei ESG-Kriterien überprüfbare Zielsetzungen an. Bei der anderen Hälfte legt der Aufsichtsrat erst im Nachhinein fest, welche Kriterien konkret ausschlaggebend für die Erreichung sind. Bei jedem fünften Unternehmen werden ESG-Ziele lediglich als nicht näher bezifferter Bestandteil eines Korrekturfaktors berücksichtigt, der die individuelle Zielerreichung generell widerspiegelt. Hinzu kommt, dass die umweltbezogenen Ziele, also das E von ESG, klar dominieren. An Zielen zu Soziales und Governance müssen sich nur wenige Vorstände messen lassen. Diese Verengung auf Umweltziele überrascht ebenso, wie die vergleichsweise geringe Nachvollziehbarkeit – jedenfalls zu einer Zeit, in der ESG-Kriterien nach und nach den Härtegrad finanzieller Kennzahlen annehmen.
Nur wenn das vorgelegte System keine Mehrheit durch die Hauptversammlung erhält, ist es zu überprüfen, gegebenenfalls zu verändern und im Jahr darauf erneut zur Abstimmung vorzulegen. Bei den 16 Hauptversammlungen des Jahres 2021 aus dem Dax-40-Kreis, die zum Zeitpunkt der Erhebung bereits stattgefunden hatten, stimmten im Schnitt 89,1% der Aktionäre dem System zu; kein einziges System fiel komplett durch.
Reputationsrisiken
Allerdings dürfte wohl auch eine nur knappe Mehrheit die meisten Unternehmen veranlassen, das eigene System zu prüfen und zu ändern – allein, um Reputationsschäden zu vermeiden. Von den befragten IR-Vertretern hält jeder Zweite dies erst bei weniger als 70% Zustimmung für angezeigt. Das kontrastiert mit der bekannten Vorgehensweise von Stimmrechtsberatern, schon ab Zustimmungsraten von weniger als 80% auf Anpassungen zu drängen.
Nach Einschätzung der von Gauly befragten IR-Verantwortlichen bleibt das Vergütungssystem auch künftig ein relevantes Thema. Allein deshalb tun Unternehmen gut daran ihre Vergütungssysteme, gemessen an den in ARUG II gestellten Anforderungen von Klarheit und Verständlichkeit, nochmals auf den Prüfstand zu stellen. Denn in vielen Fällen ließe sich diese komplexe Materie noch anschaulicher darstellen – auch was den Vergleich von Alt und Neu angeht. Und die Dimension der ESG-Ziele sollte sich noch stärker an extern nachprüfbaren Kriterien festmachen.
Chance im Kapitalmarkt
Die Unternehmen sollten zudem Möglichkeiten ausloten, eine stärker an ESG-Kriterien festgemachte Vergütungssystematik aktiv in ihre Strategie- und Nachhaltigkeitskommunikation einzubetten. Sofern nachprüfbare und im Benchmark-Vergleich anspruchsvolle Ziele aufgestellt werden, die im Einklang mit der ESG-Strategie stehen, liegt darin die Chance, eine überzeugende Antwort auf die eingangs erwähnte Gretchen-Frage zu geben. Und so die Reputation am Kapitalmarkt und darüber hinaus aktiv zu stützen.