VW baut 35.000 Arbeitsplätze in Deutschland bis 2030 ab
VW baut 35.000 Arbeitsplätze in Deutschland bis 2030 ab
ste Hamburg
Bei Europas größtem Fahrzeugbauer Volkswagen haben sich Vorstand und Arbeitnehmervertreter am Freitag nach wochenlangem Ringen in der fünften Runde der diesjährigen Haustarifgespräche auf ein milliardenschweres Sparpaket verständigt. Durch den Abschluss würden mittelfristig „nachhaltige Kosteneffekte“ von mehr als 15 Mrd. Euro pro Jahr bei der Volkswagen AG mit den Marken Volkswagen Pkw, Volkswagen Nutzfahrzeuge und Konzern Komponente erreicht, so der Autobauer. Das Renditeziel der Marke Volkswagen sei mittelfristig erreichbar. Die Gewerkschaft IG Metall und der VW-Betriebsrat hoben hervor, betriebsbedingte Kündigungen, erstmalige Werksschließungen in Deutschland sowie Einschnitte in das laufende Monatseinkommen seien abgewendet.
Laut VW soll mit der Vereinbarung „Zukunft Volkswagen" die Belegschaft an den deutschen VW-Standorten bis 2030 um mehr als 35.000 Beschäftigte sozialverträglich schrumpfen. Damit einher geht eine neue Jobgarantie, nachdem der Vorstand die seit 1994 fortgeschriebene und zuletzt bis 2029 geltende Beschäftigungssicherung im September gekündigt hatte. Betriebsbedingte Kündigungen sollen nun bis Ende 2030 ausgeschlossen sein. Ohne Anschlussregelung nach Auslauf müsse das Unternehmen 1 Mrd. Euro an die Beschäftigten ausschütten, so die IG Metall.
Entlastung bei Arbeitskosten
Der Fahrzeugbauer betonte, die Produktionskapazitäten an den deutschen VW-Standorten würden neu ausgerichtet. Auf tariflicher Ebene würden bis 2030 die Voraussetzungen für eine finanzielle Arbeitskostenentlastung von 1,5 Mrd. Euro pro Jahr geschaffen. Die kurzfristige Entlastung bei den Arbeitskosten sowie vereinbarte strukturelle Maßnahmen durch die Kapazitätsreduzierung und Einsparung bei Entwicklungskosten führten mittelfristig zu Kosteneffekten von über 4 Mrd. Euro pro Jahr.
Geplant ist den Angaben zufolge eine technische Kapazitätsreduzierung von 734.000 Einheiten in den deutschen VW-Werken. Finanzvorstand Arno Antlitz hatte erklärt, verglichen mit den Zahlen vor Beginn der Corona-Pandemie fehlten VW als größtem Hersteller in Europa mit rund einem Viertel Marktanteil inzwischen die Verkäufe von 500.000 Autos oder rund zwei Werken. Mit der nun getroffenen Vereinbarung schaffe man die Grundlage für wichtige Investitionen in Zukunftsprodukte bis 2030, so VW.
Renditeziel mittelfristig erreichbar
Wann das angepeilte Renditeziel für die Marke Volkswagen erreicht werden soll, wurde nicht erwähnt. Das Unternehmen bekräftigte das bislang angestrebte Jahr 2026 für die Vorgabe von 6,5% in der Mitteilung am Freitag nicht. Eine vollständige und abschließende Bewertung der Auswirkung der Kosteneffekte auf das operative Konzernergebnis 2025 und der Folgejahre werde in den kommenden Woche erfolgen. Mit signifikanten Auswirkungen auf die Prognose für das Geschäftsjahr 2024 rechnet VW gegenwärtig nicht.
An der Börse kam die Aussicht auf den Kompromiss, der sich am Freitag im Tagesverlauf abgezeichnet hatte, positiv an. Nachdem sich am frühen Nachmittag Spekulationen über eine Lösung des Tarifkonflikts verdichtet hatten, legten VW-Vorzüge zu und gingen vor Verkündung der Verhandlungsresultate am Abend bei 88,80 Euro mit einem Plus von 1,7% aus dem Handel. Seit dem Jahrestief von 78,86 Euro, das Ende November kurz vor dem ersten flächendeckenden Warnstreik an den deutschen VW-Standorten erreicht worden war, kletterte der Kurs um knapp 13%.
Entscheidende Weichen gestellt
„Nach den langen und intensiven Verhandlungen ist die Einigung ein wichtiges Signal für die Zukunftsfähigkeit der Marke Volkswagen, von Volkswagen Nutzfahrzeuge und der Komponentenstandorte", erklärte VW-Konzernchef Oliver Blume. Mit dem erreichten Maßnahmenpaket habe das Unternehmen entscheidende Weichen für seine Zukunft gestellt, was Kosten, Kapazitäten und Strukturen angeht. Vorstand und Management beteiligten sich überproportional.
VW-Markenchef Thomas Schäfer sagte, die Verhandlungen zum Abbau der Überkapazitäten in Deutschland, zur Senkung der Arbeitskosten und zum Erreichen wettbewerbsfähiger Entwicklungskosten hätten zu tragfähigen Ergebnissen geführt. „Mit dem beschlossenen Maßnahmenpaket sind wir in der Lage, die Lücke in unserem Performance Programm weitgehend zu schließen." Vor einem Jahr hatten sich Vorstand und Arbeitnehmervertreter auf Maßnahmen zur Ergebnisverbesserung um 10 Mrd. Euro verständigt, um das Renditeziel 2026 zu erreichen. Das Programm galt schon wenige Monate später als nicht ausreichend. Betriebsratsangaben zufolge zielte der Vorstand zuletzt auf 17 Mrd. Euro.
„Weihnachtswunder“
Die Gewerkschaft IG Metall erklärte nach einem über 70-stündigen Verhandlungsmarathon seit Montag, mit dem „Weihnachtswunder von Hannover“ seien betriebsbedingte Kündigungen, Werksschließungen und Einschnitte in das laufende Monatseinkommen abgewendet. „In einem für Volkswagen beispiellosen Tarifkampf unter historisch widrigen wirtschaftlichen Bedingungen ist es uns gelungen, für die Beschäftigten an den Volkswagen-Standorten eine Lösung zu finden, die Arbeitsplätze sichert, Produkte in den Werken sicherstellt und zugleich wichtige Zukunftsinvestitionen ermöglicht", erklärte IG-Metall-Verhamndlungsführer Thorsten Gröger. VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo hob hervor, es werde kein Standort geschlossen, niemandem werde betriebsbedingt gekündigt und der Haustarif werde langfristig abgesichert. „Mit diesem Dreiklang haben wir unter schwierigsten konjunkturellen Bedingungen eine grundsolide Lösung erkämpft.“
Der zwischen IG Metall, Gesamtbetriebsrat und Volkswagen AG im Zusammenhang mit den Tarifgesprächen vereinbarte Plan für die Belegung der zehn deutschen VW-Werke sieht unter anderem vor, dass die Produktion der Modelle Golf und Golf Variant ab 2027 vom Wolfsburger Stammwerk nach Puebla in Mexiko verlagert und die Produktion von heute vier auf zwei Montagelinien verringert wird. Am Stammsitz sollen künftig auch die Elektromodelle ID.3 und Cupra Born vom Band laufen. Die Zukunft des Standorts werde zum Ende der Dekade zusätzlich durch den elektrischen Golf und einem weiteren Modell auf Basis der künftigen Elektroauto-Plattform SSP gesichert, so VW.
Optionen für Dresden und Osnabrück
Die Fahrzeugproduktion in der sogenannten Gläsernen Maufaktur in Dresden, in der einst das VW-Flaggschiffmodell Phaeton gefertigt wurde und wo zuletzt noch 6.000 ID.3-Fahrzeuge pro Jahr endmontiert wurden, wird den Angaben zufolge Ende 2025 eingestellt. Für die Zeit danach arbeite man an einem Alternativkonzept. Für den ebenfalls kleinen Standort Osnabrück, an dem nun noch bis zum Spätsommer 2027 das VW-Modell T-Roc Cabrio produziert werden soll, würden Optionen für eine andere Verwendung geprüft. Erwogen wird ein Verkauf an Investoren.
Für das mit 20% an VW beteiligte Land Niedersachsen begrüßte Ministerpräsident Stephan Weil in einer Stellungnahme am Freitagabend die Sicherung der Standorte. Aus niedersächsischer Sicht sei die klare Perspektive für das Werk in Emden hervorzuheben, dessen Existenz bedroht war. In Ostfriesland sollen weiterhin die VW-Elektromodelle ID.7 und ID.4 produziert werden. Für Osnabrück stehe VW „in der Verantwortung, eine weitere industrielle Nutzung zu realisieren“. Der SPD-Politiker würdigte ferner den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen.
VW-Finanzvorstand Arno Antlitz betonte auf LinkedIn, die Senkung der Arbeitskosten, die Reduzierung der technischen Produktionskapazität in den deutschen Volkswagen-Werken um rund 730.000 Einheiten und der vereinbarte Personalabbau sorgten für dringend benötigte Kostenentlastungen. Diese Maßnahmen seien für die langfristige Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unerlässlich. „Die in den Tarifverhandlungen erzielte Einigung markiert einen wichtigen Schritt auf dem Weg, die Volkswagen AG in Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen.“