„Wir machen keinen Trophy-Börsengang“
Stefan Paravicini.
Herr Böhringer, vorneweg eine Frage in eigener Sache: Sind E-Mails aus der Chefredaktion an die gesamte Belegschaft und ein schwarzes Brett irgendwo im Intranet nach Ihrer Einschätzung zeitgemäße Instrumente für die interne Kommunikation?
Ich würde sagen, dass Sie damit im Durchschnitt der Unternehmen liegen, was den Reifegrad der internen Kommunikation betrifft. Es gibt ja immerhin eine Form von interner Kommunikation. Die Realität bei vielen Unternehmen ist ja, dass entweder gar keine Kommunikation stattfindet oder große Teile der Belegschaft davon ausgeschlossen bleiben. Die nächste Frage ist dann halt, wie gut die interne Kommunikation ist.
Wie gut ist die interne Kommunikation dort, wo sie stattfindet?
Das ist von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich und auch abhängig von den Unternehmenszielen. Die klassischen Staffbase-Kunden sind Unternehmen, für die interne Kommunikation strategisch wichtig ist. Das sind Organisationen im Wandel. Wobei, welches Unternehmen ist heute nicht im Wandel? Ob das jetzt der digitale Wandel ist, ein Generationenwechsel, der Wandel getrieben durch die Pandemie oder eine Zeitenwende wie in der Automobilindustrie, die vom Verbrenner zum Elektromotor umschwenkt. Es gibt in den meisten Unternehmen heute nicht nur eine große Transformation, sondern gleich mehrere. Das ist eine unheimlich große Herausforderung für die Kommunikation nach innen. Denn ich kann mit meinen Managementberatern ganz tolle Konzepte machen und mir überlegen, wo das Unternehmen in fünf Jahren stehen soll. Aber den Kurs festlegen bringt nichts, wenn ich den Kurs dann nicht navigieren kann.
Navigation geht nicht ohne interne Kommunikation?
Die CEOs, mit denen wir arbeiten, haben verstanden, dass Wandel nicht über die Hierarchie funktioniert, sondern nur wenn das gesamte Unternehmen in eine Richtung zieht – und zwar ab sofort. „Know, feel, do“, heißt es in der internen Kommunikation: Die Mitarbeiter müssen nicht nur die Informationen haben, sondern auch so weit verinnerlichen, dass sie entsprechend handeln können. Die meisten Firmen scheitern heute schon an der ersten Aufgabe. Die Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten, verstehen interne Kommunikation dagegen strategisch und planen sie entsprechend. Kunden kaufen Staffbase, weil sie sagen, ich muss das Unternehmen in eine bestimmte Richtung bringen und meine Kommunikation um diese strategischen Weichenstellungen herum strukturieren.
Hilft Staffbase den Unternehmenskunden allein mit Software, oder sind Sie auch so etwas wie ein Kommunikationsberater?
Aus unserer Sicht ist die interne Kommunikation die am meisten unterschätzte Abteilung, die man heute in Unternehmen finden kann. Sie ist strukturell unterfinanziert, wenn man sich ihren Beitrag zum Erfolg von Unternehmen anschaut und ihre Bedeutung für die Risikovermeidung berücksichtigt. Wir sehen uns als Enabler von interner Kommunikation im Unternehmen, die aus diesem Schattendasein rauskommt und ihren Wertbeitrag sichtbar macht. Dazu muss sich auch die interne Kommunikation wandeln von der bloßen Ad-hoc-Kommunikation zu einem strategischen Instrument für den Wandel. Dieser Prozess ist unsere Mission. Unsere Software hilft dabei, aber sie hilft dabei nicht allein. Wir sind zwar kein Beratungsunternehmen, wir arbeiten aber mit Partnern in der Beratung zusammen. Und wir haben eine klare Vorstellung davon, wie interne Kommunikation aussehen muss. Wir haben heute rund 1000 Kunden auf der ganzen Welt und sehen, was funktioniert. Wir haben den Anspruch, unseren Kunden nicht nur Software zur Verfügung zu stellen, sondern wollen sie auch dabei unterstützen, sie erfolgreich einzusetzen.
Gestartet ist Staffbase vor sechs Jahren mit einer Mitarbeiter-App, gerade haben Sie mit der kanadischen Bananatag einen Spezialisten für E-Mail-Newsletter übernommen. Waren die Berichte über das Ableben der E-Mail in den vergangenen Jahren übertrieben?
Wir haben mit einem sehr spitzen Anwendungsfall begonnen, um die Kommunikationslücke im Umgang mit gewerblichen Mitarbeitern – also Mitarbeitern ohne festen Schreibtisch am Arbeitsplatz, die Busfahrerin genauso wie der Erzieher, Produktionsmitarbeiter, Krankenschwester und Arbeitsplätze in der Logistik – zu schließen. Das sind in der westlichen Hemisphäre zwei Drittel aller Mitarbeiter und global gesehen sogar noch mehr. Dabei haben wir mit unseren Kunden gelernt, wie wir interne Kommunikation insgesamt auf ein neues Niveau heben können mit zielgenauer Kommunikation in der richtigen Sprache für jeden Mitarbeiter. Staffbase hat sich von einer Speziallösung für Mitarbeiter-Apps hin zu einer Kommunikationsplattform entwickelt. Dabei ist es für uns wichtig, die komplette Klaviatur von Kommunikationskanälen zu bespielen, und dazu gehören auch vorhandene Kommunikationskanäle, also etwa Microsoft-Anwendungen wie Yammer, Teams und Sharepoint oder eben die E-Mail.
Die E-Mail ist doch noch nicht tot?
Als ich vor zehn Jahren im Bereich Enterprise Social Networks promoviert habe, waren fast alle der Meinung, dass die E-Mail tot ist. Was wir sehen, ist aber genau das Gegenteil, auch in der privaten Welt. Das soziale Netzwerk Twitter hat vor kurzen ebenfalls einen E-Mail-Newsletter akquiriert. Der Hintergrund ist, dass in dem Moment, in dem das E-Mail-Postfach entlastet wird von operativem Spam, der jetzt zum Beispiel in Microsoft Teams landet, die Inbox wieder an Wertigkeit gewinnt. Man kann sich das ein bisschen vorstellen wie mit dem eigenen Briefkasten. Wenn ich da drin heute einen handgeschriebenen Brief finde, ist das eine tolle Sache. Den mache ich auf. Das E-Mail-Postfach entwickelt sich zum wertigen digitalen Briefkasten. Ein kuratierter Mitarbeiternewsletter ist deshalb weiterhin ein Teil eines starken Kommunikationsmix.
Und dabei hilft Bananatag?
Bananatag ist hier ein weltweit führendes Tool. Das hat uns überzeugt, das passt richtig gut zu Staffbase. Deswegen ist es uns auch wichtig, das als Merger zu sehen und nicht als Akquisition. Es sind zwei Unternehmen mit unterschiedlichen Stärken, die sich sehr gut ergänzen und gemeinsam einen One Stop Shop für interne Kommunikation anbieten.
Hat die Pandemie den Blick der Unternehmen auf die interne Kommunikation verändert?
Wo die Unternehmen stehen, ist sehr unterschiedlich. Man ist manchmal völlig baff, wenn man große Konzerne mit Zehntausenden von Mitarbeitern sieht, die über keine professionelle Abteilung für interne Kommunikation verfügen. Entscheidend ist der Blick der Unternehmensleitung. Gibt es dort die Erkenntnis, dass das wichtig ist, oder nicht? Man sieht da ganz unterschiedliche Konfigurationen. Aber spätestens in der Pandemie hat eigentlich jeder begriffen, dass das Thema sehr wichtig ist und es existenzgefährdend sein kann, wenn man keine interne Kommunikationskompetenz aufgebaut hat. Das Feld ist gerade sehr spannend, ich würde sagen, wir spüren eine Aufbruchsstimmung. Wir sehen viele Unternehmen, die überlegen, wie sie ihre interne Kommunikation neu aufstellen oder verbessern können. Und da kommen wir ins Spiel.
Ist das Thema mittlerweile Chefsache, oder läuft interne Kommunikation irgendwo zwischen Personalabteilung und IT mit?
Bei unseren Kunden war das Thema schon vor der Pandemie Chefsache. Während der Pandemie ist es aber auch bei vielen anderen Unternehmen in der Hierarchie nach oben gerückt. Im vergangenen Jahr ging es wegen der hohen operativen Last auf die Organisationen allerdings meistens darum, die nächsten fünf Tage zu überstehen, statt die interne Kommunikation für die Unternehmensentwicklung der nächsten fünf Jahre aufzustellen. Gerade in der deutschsprachigen Region haben wir unsere Ziele im vergangenen Jahr trotzdem klar übertroffen. Auch in den USA geht es jetzt wieder los mit Investitionen in strategische Projekte. Meistens haben die Kommunikatoren die Projekte in der Schublade und konnten sie bislang nicht positionieren. Das ändert sich auf breiter Front. In den meisten Fällen gehen die Projekte auf eine Vorstandsinitiative zurück oder werden zumindest vom Vorstand unterstützt.
Wie sieht das Geschäftsmodell von Staffbase aus? Kaufen die Kunden Softwarelizenzen, oder schließen sie ein Abo ab?
Das ist ein klassisches Abomodell mit Software as a Service auf unserer Cloudplattform. Wir sprechen auch von App as a Service, wobei unsere Apps von unseren Kunden im Unternehmensdesign gebrandet werden. Wir bieten aber nicht nur die Software, sondern auch viel Unterstützung dabei, die Instrumente erfolgreich zu machen.
Die jüngsten Geschäftszahlen stammen aus dem Jahr 2019, in dem rund 10 Mill. Euro Umsatz und knapp 10 Mill. Euro Verlust angefallen sind. Wie lauten die Mittelfristziele? Wann soll Staffbase profitabel sein?
Das Bestandskundengeschäft ist schon jetzt hochprofitabel, aber die Opportunität im Markt ist riesig. Wir sind in einer Pionierphase. Interne Kommunikation hat bisher immer nur Software von anderen mitgenutzt. Nach dem Motto: „Die IT hat da dieses Intranet, und die Leute nutzen E-Mail, also nutze ich das auch. Aber ich habe keine Möglichkeit, den Erfolg zu messen und meine eigene Arbeit zu optimieren.“ Es gab bislang keine Software für interne Kommunikation. Jetzt gibt es dieses neue Feld, und auch die Budgets werden größer. Deswegen halten wir es für sehr sinnvoll, auch weiterhin schnell zu wachsen und mit möglichst vielen Kommunikationsteams zusammenzuarbeiten. Dieses Wachstum kostet natürlich Geld, weshalb das Unternehmen noch nicht Break-even ist. Wir sind aber sehr kapitaleffizient, auch weil unsere Churn Rate sehr gering ist. Da sind wir top, wenn man sich die Benchmark anschaut. Man kann also sehr gut ausrechnen, dass sich das Geschäftsmodell lohnt.
Gibt es ein konkretes Umsatzziel?
Umsatz ist für uns eine Proxy für die Zahl der Unternehmen, denen wir heute schon helfen, ihre interne Kommunikation auf ein neues Level zu heben. In den Regionen, in denen wir besonders aktiv sind – in Nordamerika und in Europa –, gibt es eine hohe fünfstellige Zahl großer Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten wollen. Wir haben aktuell 1000 Kunden, da ist also noch Luft nach oben. Der nächste Meilenstein ist da, weiter zu wachsen.
Wie viele Nutzer gibt es heute auf der Staffbase-Plattform?
Diese Zahl veröffentlichen wir aktuell nicht, auch weil wir die Nutzerzahlen von Bananatag noch nicht konsolidiert haben. Nutzer einer App und Leser von E-Mail-Newslettern kann man ja nicht einfach zusammenrechnen. Die Zahl liegt bei mehreren Millionen Nutzern.
Spielen für die Wachstumspläne auch weitere Zukäufe eine Rolle?
Bei interner Kommunikation geht es um die Kultur im Unternehmen. Uns ist auch unsere eigene Kultur sehr wichtig. Wir haben deshalb großen Respekt vor M&A. Wir sehen das nicht als finanzielle Transaktion, sondern als große Zäsur für die Unternehmenskultur. Trotzdem haben wir schon zwei Übernahmen gemacht und haben dabei auch die Unternehmenskulturen auf Herz und Nieren geprüft. Was wir nicht machen, ist eine Roll-up-Strategie, die rein von finanziellen Kennzahlen getrieben ist. Wir wollen ein langfristig gesundes Unternehmen aufbauen und sehen sehr großes organisches Wachstumspotenzial. Wir sind der am schnellsten wachsende Anbieter im Markt und haben mit aktuell 150 Leuten in unserer Entwicklungsabteilung auch die Power, Dinge selbst zu bauen. Das ist der Default-Modus, und trotzdem schließen wir überhaupt nichts aus. Denn es gibt natürlich viele Möglichkeiten für spannende Erweiterungen im Markt.
Könnten Sie für Zukäufe auch die 145 Mill. Dollar schwere Finanzierungsrunde aus dem Frühjahr noch einmal erweitern?
Wir sind mit einer so großen Finanzierungsrunde im Tank gut aufgestellt. Das haben wir auch deswegen so gemacht, dass wir jetzt erst mal arbeiten können und nicht gleich wieder in ein Fundraising gehen müssen. Aber wenn wir unsere Wachstumsziele realisieren können, werden wir auf absehbare Zeit auch wieder frisches Kapital aufnehmen.
Könnte die nächste Finanzierung auch in der Gestalt eines Börsengangs über die Bühne gehen?
Für uns ist der Börsengang keine ideologische Frage. Wir sehen das superpragmatisch. Das klingt erst einmal cool, aber wir machen sicher keinen Trophy-Börsengang, um die Ersten in unserem Feld zu sein. Wir verstehen das als sehr attraktives Finanzierungsinstrument, das durchaus schon für die nächste Finanzierungsrunde spannend sein kann, weil es auch Vorteile mit Blick auf die Sichtbarkeit und das Vertrauen bei Kunden mit sich bringt. Es bringt aber auch ein paar Nachteile mit sich. Wir wollen jetzt erst einmal unsere Hausaufgaben machen, weiter wachsen und forward-looking einen Jahresumsatz im dreistelligen Millionenbereich erreichen. Das werden wir mit dem schaffen, was jetzt im Tank ist. Danach ist das IPO eine der Optionen, die wir uns anschauen werden.
Könnte für Staffbase ein strategischer Käufer aus der Softwarebranche attraktiv sein?
Ausschließen würde ich auch an dieser Stelle nichts, das macht ja auch gar keinen Sinn. Ich möchte aber noch einmal unterstreichen, dass wir Pioniere in einem neuen Marktsegment sind. Für die Funktion interne Kommunikation gibt es derzeit keinen großen Softwareanbieter, der den Kommunikationsteams hilft, ihre Arbeit zu machen. Deswegen sehen wir uns da auch als eine Art Speerspitze. Der Default-Modus ist für uns, dass wir global der Partner für interne Kommunikation werden. Das ist ein großer und attraktiver Markt, da kann man auch einen eigenen globalen Champion aufbauen. Das ist das Ziel, auf das wir hinarbeiten. Wenn es da draußen einen Strategen gibt, der sagt, das ist auch mein Ziel, und eins plus eins mehr als zwei ergibt, dann würden wir das nicht ausschließen.
Das Interview führte