„Wir sollten den Wert der Pflanze zu schätzen lernen“
Stefan Paravicini.
Herr Hänsel, Glückwunsch zur Wahl zum Gründer des Jahres 2021. Ist diese Auszeichnung des Bundesverbands Deutsche Startups e.V. auch ein Ritterschlag für die Cannabis-Branche in Deutschland?
Danke, das ist natürlich eine super Auszeichnung. Die Tatsache, dass die Jury sich entschieden hat, den Preis an mich zu verleihen, zeigt, dass Cannabis kein Nischenthema mehr ist, sondern langsam wieder in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Das macht den Preis besonders schön. Das wäre vor fünf Jahren glaube ich noch nicht möglich gewesen.
Sanity Group, der von Ihnen gegründete Anbieter von Cannabidiol (CBD)-Produkten und Medizinalcannabis, hat bereits viel Anerkennung von Investoren erhalten, wobei Sie unter anderem auch Fußballer, Models und Musiker gewinnen konnten. Sind Investoren für Sie auch Markenbotschafter?
Grundsätzlich haben wir immer gesagt, dass wir Prominente nicht nur aus PR-Gründen als Investoren haben wollen, sondern konkrete Dinge mit ihnen umsetzen. Wenn Persönlichkeiten wie Mario Götze oder „William“ von den Black Eyed Peas in Cannabis investieren, dann ist das aber ein weiterer Schritt auf dem Weg zu unserem Ziel, Cannabis wieder zu normalisieren. Wir planen dazu auch sehr konkrete Initiativen mit unseren Celebrity-Investoren.
Zum Beispiel?
Ich kann noch nicht über alles sprechen, aber William nutzt zum Beispiel seit Jahren selbst CBD-Produkte zur Beruhigung und träumt davon, irgendwann einen eigenen CBD-Drink zu machen. Das ist in Deutschland schwierig, weil das in die Rubrik Novel Food fällt, aber in Großbritannien kein Problem. Deswegen werden wir wahrscheinlich mit William einen cogebrandeten CBD-Drink auf den Markt bringen und in einem zweiten Schritt vielleicht auch in den USA. Ähnliche Initiativen planen wir mit allen unseren prominenten Investoren.
Warum sollte Cannabis eigentlich normalisiert werden und wieder in der Mitte der Gesellschaft ankommen?
Vor 3000 Jahren haben die Leute in China begonnen, die Rinde der Silberweide im Tee aufzukochen, weil irgendjemand behauptet hat, dass man damit das Fieber senken kann. 1890 hat man wissenschaftlich nachgewiesen, dass das tatsächlich so ist. Heute nutzen wir den konzentrierten Wirkstoff als Aspirin. Cannabis ist genau so eine Geschichte. Es gibt hunderte Beispiele, auch von unserer berühmten Kräuternonne Hildegard von Bingen, die Cannabis im Klostergarten angebaut hat, um die Heilungswirkung der Pflanze gegen Entzündungen und Schmerzen zu nutzen. Es gab im frühen 19. Jahrhundert Cannabis-Extrakte in Apotheken überall auf der Welt zu kaufen. Es war ein ganz normales Hausmittel, bis irgendwann eine Art Prohibition einsetzte und Cannabis einen schlechten Ruf verpasst hat.
Und Sie wollen den guten Ruf mit Sanity Group wiederherstellen?
Seit Ende der 90er holt die Wissenschaft wieder auf. Ich will nicht sagen, dass auf der Grundlage von Cannabis die nächsten 20 Aspirin hervorgebracht werden. Aber wir sollten den Wert der Pflanze wieder zu schätzen lernen. Meines Erachtens ist die Pflanze höchst wertvoll und wird zu Unrecht als Droge diffamiert, auch wenn man die Gefahren natürlich adressieren muss. Die Pflanze sollte als Chance gesehen werden, Patienten mit ihren täglichen Problemen zu helfen.
Der Europäische Gerichtshof hat im Dezember ein Urteil in diesem Sinne gesprochen. Ist die Legalisierung von CBD-Produkten aller Art nur noch eine Frage der Zeit?
Es bleibt ein langwieriger Kampf. Das Urteil des EuGH wird zwar zähneknirschend von vielen Behörden zur Kenntnis genommen, es gibt aber weiterhin viele Vorbehalte gegenüber dieser Pflanze. Es ist super, dass wir jetzt wahrscheinlich jeden Gerichtsprozess gewinnen würden, wenn es darauf ankommt. Davor stehen aber immer zwanzig andere Schritte in der Auseinandersetzung mit Behörden, die man ungern geht. Das Urteil war wegweisend und bahnbrechend, auf dem Weg zur Rechtssicherheit muss aber noch einiges passieren.
Sie meinen die Aufnahme von CBD-Produkten als neuartige Lebensmittel im Novel Food Katalog der EU-Kommission?
Wir selber machen sowohl Arzneimittel als auch Wellness-Produkte. Im Well-Being-Segment haben wir Novel-Food-Anträge in Großbritannien und in der EU gestellt. Ich nehme an, dass es noch ein gutes Jahr dauern wird, bis die ersten Anträge freigegeben werden und wir Rechtssicherheit erlangen. Bis dahin werden wir uns auf Kosmetik konzentrieren und auf Nahrungsergänzungsmittel, die kein CBD enthalten.
Wie wichtig ist der Novel-Food-Katalog für die Wachstumschancen der Sanity Group?
Eine Novel-Food-Erlaubnis für CBD-Produkte in der EU ist kein Must, wir machen auch außerhalb von CBD-Nahrungsergänzungsmitteln ein sehr gutes Geschäft, aber das würde ein riesiges Tor öffnen. In unserem aktuellen Business-Plan sind keine Novel-Food-Produkte für die EU enthalten. Es wäre ein großer Gewinn für uns, wenn es plötzlich hieße, im nächsten Jahr dürfen wir auch Nahrungsergänzungsmittel, Getränke oder funktionale Shakes mit CBD auf den Markt bringen. Derzeit ist das aber genauso wenig vorgesehen wie eine Vereinfachung der medizinischen Richtlinien für CBD-Arzneimittel, für die sich nach der Bundestagswahl im Herbst die Voraussetzungen ebenfalls verbessern könnten.
In welchen Märkten ist die Sanity Group heute aktiv?
Im Segment Arzneimittel liegt der Fokus auf Deutschland, wobei wir eine zeitnahe Expansion nach Osteuropa planen. Vor allem Tschechien und Polen sind sehr interessant. Bei Well-Being-Produkten direkt mit unseren eigenen Märkten vertreten sind wir in Deutschland, Österreich und Großbritannien, indirekt über große Händler auch in der Schweiz, Portugal, Spanien, Italien und Irland.
Wie läuft der Vertrieb?
Arzneimittel werden über Pharmareferenten, Ärzte und Apotheken vertrieben, das macht heute rund 40% des Geschäfts aus. Der Rest sind Well-Being-Produkte die zu 80% über unsere Website verkauft werden. Die restlichen 20% werden in Apotheken, Drogeriemärkten von Müller und Filialen von Douglas vertrieben. In Österreich stehen wir in der Drogeriekette Bipa im Regal und auch in der Schweiz arbeiten wir daran, den ersten großen Retail-Partner zu gewinnen. Darüber hinaus sind wir bei großen Online-Händlern wie Amazon, Flaconi oder Zalando präsent und bauen unsere Retailposition weiter aus.
Was haben Sie sich für das neue Jahr vorgenommen?
Wir wollen in diesem Jahr mehr als 20 Mill. Euro Umsatz machen. Im vergangenen Jahr waren es rund 3 Mill. Euro, wir haben allerdings auch erst im Frühjahr gelauncht. Wenn wir den Umsatz des laufenden Monats auf das Jahr hochrechnen, haben wir schon die Hälfte von dem erreicht, was wir uns vorgenommen haben. Und wir wachsen jeden Monat.
Steht zur Finanzierung dieses Wachstums bald eine neue Finanzierungsrunde in Ihrem Unternehmen an?
Darüber sprechen wir öffentlich natürlich nicht. Sie können aber davon ausgehen, dass wir sicherlich noch eine private Finanzierungsrunde machen und uns danach die Karten legen, ob es weitere Runden geben wird oder der öffentliche Markt der richtige Kanal ist.
Sie denken bereits an einen Börsengang?
Viele Cannabis-Unternehmen streben an die Börse, weil sehr viele Anleger Interesse an dem Segment haben. Auf der anderen Seite gibt es im privaten Segment viele Investoren, die noch Limitierungen haben, weil sie nicht in Cannabis investieren dürfen. Wir haben bisher keine Probleme gehabt, aber ein Börsengang hat aus vielen Gründen Charme, auch weil wir an Arzneimitteln forschen, die durch aufwendige klinische Studien gehen müssen. Wir sind prinzipiell ausreichend finanziert, um in absehbarer Zeit profitabel zu werden. Aber da wollen wir natürlich nicht aufhören und die Nummer 1 in Europa werden. Wir werden also weiter investieren und auch Investoren ansprechen. Ob privat oder über die Börse, damit werden wir uns wahrscheinlich in den nächsten Monaten beschäftigen.
Das Interview führte