Sara Hennicken, Fresenius

„Wir wollen schnell handeln, aber nicht überstürzt“

Der Gesundheitskonzern Fresenius ist dabei, sein Portfolio grundlegend strategisch zu überprüfen. Finanzchefin Sara Hennicken erläutert im Interview, wie das Finanzressort den Check-up unterstützt.

„Wir wollen schnell handeln, aber nicht überstürzt“

Sabine Wadewitz

Frau Hennicken, Sie haben in bewegten Zeiten das Finanzressort übernommen. Wie haben Sie die ersten Monate erlebt, wo sind die größten Baustellen?

Ich bin seit 2019 bei Fresenius, viele Themen waren mir also bekannt. Über die Jahre habe ich einen tiefen und wertvollen Einblick in das Unternehmen bekommen. Das war eine gute Vorbereitung auf die neue Rolle, man bekam ein gutes Gespür dafür, wo der Konzern steht. Es sind bewegte Zeiten, das gilt für viele Unternehmen. Bei uns ist es vielleicht gerade etwas bewegter.

Sie wussten vermutlich gar nicht, wo Sie anfangen sollen?

Es war der richtige Schritt, Ende letzten Jahres, auf „Reset“ zu drücken. Wir haben uns als Management-Team verpflichtet, das Portfolio einem sehr gründlichen Review zu unterziehen. Fresenius hat ein sehr gutes Fundament, braucht aber tiefgreifende Veränderungen. Entsprechend tief sind wir in die strategische Analyse eingestiegen. Wir schauen uns alle relevanten Märkte an, sprechen mit Kunden, Lieferanten und anderen Stakeholdern und natürlich mit unseren Mitarbeitern, um unsere Schlüsse zu ziehen. Mit diesen Erkenntnissen werden wir Fresenius bestmöglich auf die Zukunft vorbereiten.

Gibt es spezielle Themen, wo Sie im Finanzressort neue Akzente setzen wollen?

Die Prioritäten im Finanzressort laufen Hand in Hand mit unserem Strategieprozess. Wir stehen vor der Herausforderung, dass die Verschuldung derzeit oberhalb unseres Zielkorridors liegt. Insofern ist der finanzielle Spielraum nicht so groß, wie wir ihn uns für volle strategische Flexibilität wünschen würden. Die Kapitalallokation hat deshalb eine große Bedeutung. Wir müssen entscheiden, wo wir unser Kapital einsetzen, um profitable strategische Wachstumsfelder zu stärken und zu erschließen. Den Return-Fokus gilt es auf der Finanzseite zu unterstützen.

Was werden dabei die Schwerpunkte sein?

Finanzseitig legen wir einen starken Fokus auf Profitabilität, Cash und Entschuldung. Entscheidend für die strategische Bestandsaufnahme sind zudem Transparenz und der Zugriff auf eine breite und fundierte Datenbasis. Unsere Unternehmensbereiche haben eine gewisse Eigenständigkeit im Konzern, in der Finanzabteilung werden die Daten zusammengeführt. Damit können wir feststellen, wo wir stehen und wo Chancen und Risiken liegen. Auf diesem Weg vereinheitlichen wir Prozesse und harmonisieren Abläufe, um ein engeres Steuern des Konzerns zu ermöglichen und die bestmöglichen Schlüsse aus den Daten zu ziehen.

Seit dem Einstieg von Elliott bekommt der Konzern mehr oder weniger konstruktive Vorschläge auch von außen. Können Sie das Argument nachvollziehen, dass die Trennung von der Dialyseeinheit FMC oder deren Entkonsolidierung aus finanzieller Sicht ein Befreiungsschlag wäre?

Unsere Analysen sind noch nicht abgeschlossen, ich will hier nicht über das Ergebnis spekulieren. Wie gesagt: Wir hören zu. Aber das Management hat sich dazu verpflichtet, den strategischen Prozess zu durchlaufen, und wird nicht vorzeitig Schlussfolgerungen ziehen. Wir wollen schnell handeln, aber nicht überstürzt.

Inwieweit gibt es in der Finanzierung von Fresenius und der Tochter FMC Synergien?

Beide Unternehmen finanzieren sich separat und haben jeweils einen eigenen Zugang zum Kapitalmarkt – auch auf der Fremdkapitalseite. Es gibt keine wechselseitigen Garantien und keine gemeinsame Verschuldung. Synergien gibt es durch einen gemeinsamen Bereich für Corporate Finance und Corporate Treasury beider Konzerne.

Die im November 2022 von Fresenius begebene Anleihe ist mit 4,25 bis 5 % verzinst, deutlich höher als der Durchschnitt der vergangenen Jahre. Wird es in den Finanzierungen 2023 und 2024 noch teurer?

Wir rechnen mit einer deutlich steigenden Zinsbelastung im laufenden Geschäftsjahr. Es war selbst für mich überraschend zu sehen, wie volatil die Finanzmärkte in den vergangenen Monaten waren. Im März 2021 haben wir 7,5 Jahre für 0,5% finanziert, ein Jahr später acht Jahre für fast 3% und im November noch mal sieben Jahre für 5%. Es ging also im Kupon in eineinhalb Jahren von 0,5% auf 5%. Das zeigt, mit welcher Kraft sich die Zinssteigerungen auswirken.

Im laufenden Jahr stehen Refinanzierungen von 650 Mill. Euro für FMC ins Haus, im kommenden Jahr dann rund 3 Mrd. Euro für beide Konzerne zusammen. Laufen die Vorbereitungen schon?

Einen Großteil der 2023 anstehenden Fälligkeiten haben wir frühzeitig refinanziert. In den vergangenen Jahren hatten wir die angenehme Situation, dass wir jederzeit zu günstigen Konditionen Geld bekommen konnten. Das haben wir intensiv genutzt durch frühzeitige Refinanzierung und Liability Management. Im laufenden Jahr werden wir uns attraktive Marktfenster suchen und frühzeitig die Fälligkeiten für 2024 angehen.

Wie teuer könnte es werden?

Wir rechnen mit einer zusätzlichen Zinsbelastung in Höhe eines niedrigen dreistelligen Millionenbetrags. Ein hoher Anteil unserer Verschuldung ist festverzinslich, etwa 20% sind variabel, wo wir Zinssteigerungen unmittelbar zu spüren bekommen. Die für Fresenius und Fresenius Medical Care anstehenden Refinanzierungen über etwa 3 Mrd. Euro bringen dann einen größeren Sprung im Zinsaufwand mit sich.

Wollen Sie am Finanzierungsmix künftig etwas verändern?

Seit meinem Wechsel zu Fresenius habe ich die Diversifikation der Finanzierungsinstrumente immer als große Stärke des Unternehmens wahrgenommen. Obwohl der Konzern sehr groß ist und sich im Wesentlichen über Anleihen finanzieren könnte, sind wir zum Beispiel auch an den Schuldscheinmarkt gegangen. Wir benchmarken immer verschiedene Finanzierungsoptionen, bevor wir in den Markt gehen, und wählen das Instrument, was in der aktuellen Situation am besten für uns funktioniert.

Und der Schuldscheinmarkt könnte wieder funktionieren?

Mit dem gestiegenen Zinsniveau dürften neben der Anleihe andere Finanzierungsinstrumente wieder an Attraktivität gewinnen. Damit bietet sich eine Diversifizierung an. Ich halte es für einen Vorteil, den Finanzierungsmix breit zu streuen. Fresenius hat einen hervorragenden Zugang zum Kapitalmarkt und eine hervorragende Investorenbasis. Die Investoren sind aber nicht alle auf die gleichen Instrumente fokussiert. Dieses Spektrum in der Breite zu bedienen, ist sicher für beide Seiten vorteilhaft.

Was könnte fern von Bond und Schuldschein dabei sein?

Anfang 2022 hat Fresenius zum Beispiel ein Darlehen bei der Europäischen Investitionsbank aufgenommen. Dies war mit Blick auf Forschung und Entwicklung zu attraktiven Konditionen gewährt worden. Das sind schöne Gelegenheiten, die wir uns natürlich anschauen.

Welchen Zielkorridor für den Verschuldungsgrad bezogen auf das Ebitda streben Sie an?

Seit langem setzen wir einen Zielkorridor von 3 bis 3,5 an, und daran halten wir fest. Das passt zu unserem Geschäftsmodell und zur Stärke des Cashflows. Das Geschäft ist diversifiziert, wir agieren in stabilen Märkten und haben eine gute Cash-Conversion. Derzeit liegt die Verschuldung über dem Korridor, so dass wir einen besonderen Fokus auf Cash, Entschuldung und restriktive Kapitalallokation legen mit klarem Blick auf Return.

Im Rating ist Fresenius je nach Agentur auf der letzten oder zweitletzten Stufe im Investment Grade angesiedelt. Ist das die Zielgröße, oder soll es höher gehen?

Die drei wichtigsten Ratingagenturen bewerten Fresenius mit „Investment Grade“, zwei davon mit stabilem Ausblick. Fitch hat Ende 2022 den Outlook von stabil auf negativ gesenkt mit der Perspektive, dass die Profitabilität von Fresenius in den nächsten 18 bis 24 Monaten wieder zunimmt. Das genau ist unser Ziel, daran arbeiten wir.

Im aktuellen Verschuldungsszenario gibt es somit keinen Spielraum für größeres externes Wachstum?

Größere Akquisitionen würden uns in der gegenwärtigen Situation nicht zu Gesicht stehen. Der Verschuldungsgrad limitiert uns. Aber auch abgesehen davon stehen Übernahmen derzeit nicht an erster Stelle der Prioritätenliste. Im Zuge der strategischen Überprüfung unseres Portfolios haben wir zunächst aus uns selbst heraus Veränderungen angestoßen. Der Schwerpunkt liegt auf Rentabilitätssteigerung.

Wie stark schlägt die Inflation in der Liquiditätssteuerung ins Kontor?

In der Liquiditätssteuerung schlägt die Inflation weniger durch. Das Thema ist aber auf der Kostenseite sehr relevant für uns. Im Gesundheitssektor ist die kurzfristige Weitergabe von Kostensteigerungen insgesamt schwierig. Die hohe Inflation hat 2022 deutlich auf die Marge gedrückt. Das werden wir auch 2023 zu spüren bekommen, allein schon wegen des Annualisierungseffektes. Das erste Halbjahr 2022 war ja noch nicht erheblich von Inflation belastet. Viele Verträge haben zudem eine längere Laufzeit. Unser Geschäft profitiert grundsätzlich von stabilen Rahmenbedingungen, in denen über Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen moderate Kostensteigerungen aufgefangen werden. Bei größeren Kostensteigerungen funktioniert das nicht vollständig.

Wie stark ist Fresenius von den deutlich gestiegenen Energiekosten betroffen?

Das ist besonders als europäisches Thema für uns relevant, aber global betrachtet weniger einschneidend als die Themen Material- und Personalkostenanstieg. In Europa haben wir frühzeitig reagiert, haben langfristige Energielieferverträge. Das gilt zum Beispiel für die Produktion in St. Wendel, dem europäischen Standort mit dem größten Energiebedarf. Irgendwann laufen die Verträge natürlich aus, und dann wird man vermutlich zu höheren Preisen neu verhandeln müssen.

Gibt es Überlegungen, von staatlichen Energiepreishilfen Gebrauch zu machen?

Wir schauen uns genau an, was in Frage kommen könnte und ob wir es nutzen wollen. Hier ist noch vieles im Fluss. Es wird zu differenzieren sein, zwischen dem Krankenhaussektor und Produktionseinheiten. Speziell mögliche Sonderentlastungen für Kliniken könnten in Frage kommen, aber für eine Aussage dazu ist es noch zu früh.

Gibt es Geschäfte, in denen der Konzern Probleme in globalen Lieferketten zu spüren bekommt?

In begrenztem Ausmaß insbesondere im globalen Geschäft von Fresenius Kabi mit Medizinprodukten. Hier gab es 2022 Lieferengpässe, so dass wir mehr Vorräte auf Lager gehalten haben. Die Situation hat sich in den vergangenen Monaten allerdings entspannt. In Summe hat sich die Verfügbarkeit von Materialien deutlich verbessert.

Ist es in einem Marktumfeld mit Inflation, Energiepreisschock, Zinsanstieg und Fachkräftemangel nicht riskant, auf die Reset-Taste zu drücken?

Das Umfeld ist eine Herausforderung für alle Unternehmen. Das Thema Personal und Verfügbarkeit von Fachkräften ist für uns von höchster Relevanz, speziell in den USA. Ich sehe uns aber auf dem richtigen Weg, um das Unternehmen wieder gut aufzustellen. Wir sind in den richtigen Märkten mit den richtigen Produkten und Services. Es geht darum, sich im Sinne von Future Fresenius ganz auf die eigenen Stärken zu besinnen und nach vorne zu schauen. Im Unternehmen ist ein Aufbruch und positiver Veränderungswille zu spüren. Es geht um eine Veränderung, die uns langfristig helfen wird. Das muss unabhängig vom wirtschaftlichen Umfeld gelingen.

Für Fresenius geht es mit Blick auf den Kursverlust der Aktie auch um Vertrauensaufbau am Kapitalmarkt. Haben Sie den Dialog mit Investoren intensiviert?

Wir stehen kontinuierlich in einem guten Dialog mit unseren Investoren. Den Austausch haben wir auch während der Coronazeit virtuell fortgeführt. Nun sind wir dankbar, dass man sich auch wieder persönlich treffen kann. Nach Veröffentlichung der Jahreszahlen werden CEO Michael Sen und ich auf Roadshow gehen, und wir planen 2023 einen Kapitalmarkttag. Für uns ist es wichtig, auf der Reise, die wir angetreten haben, alle Stakeholder mitzunehmen. Wir wollen dauerhaft hohe Transparenz über den Veränderungsprozess schaffen.

Gibt es signifikante regionale Veränderungen im Aktionärskreis?

Die Aktionärsstruktur ist relativ stabil. Der Anteil institutioneller Investoren aus den USA ist etwas höher als in der Vergangenheit. Dafür gibt es etwas weniger deutsche Adressen. Da reden wir aber nicht über signifikante strukturelle Veränderungen.

Das Interview führte

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