Miye Kohlhase (BdB)

„Bedeutender Integrations­sprung“ bei der Kapitalmarkt­union nötig

Der Bankenverband BdB drängt die Politik in Brüssel zu raschen Fortschritten bei der Kapitalmarktunion. Ein liquider EU-Kapitalmarkt sei insbesondere in den aktuellen Krisen wichtig, sagt die zuständige BdB-Geschäftsbereichsleiterin Miye Kohlhase im Gespräch.

„Bedeutender Integrations­sprung“ bei der Kapitalmarkt­union nötig

Von Andreas Heitker, Brüssel

Vor dem Hintergrund der derzeitigen Energie- und Wirtschaftskrise und der weiteren Transformation der Wirtschaft starten die deutschen Privatbanken erneut eine Initiative, um die europäische Kapitalmarktunion weiter voranzubringen. In einem neuen Positionspapier, das in den kommenden Tagen veröffentlicht werden soll, verweist der Bundesverband deutscher Banken (BdB) auf die „Dringlichkeit“, die Kapitalmarktunion in den nächsten Monaten „mit höchster Priorität“ weiterzuverfolgen. Für den Verband haben dabei vor allem fünf Punkte eine hohe Bedeutung: die Modernisierung des Verbriefungsrahmens, eine gezielte Teilharmonisierung der Insolvenzregeln, eine Mifir- und CSDR-Überarbeitung, der Green-Bond-Standard sowie der Clearingmarkt.

„Diese Krise hat uns drastisch vor Augen geführt, wie verletzlich unsere global vernetzte Wirtschaft ist“, erläuterte die BdB-Geschäftsbereichsleiterin Kunden und Märkte, Miye Kohlhase, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Die Widerstandskraft der Wirtschaft müsse daher gestärkt, bisherige Abhängigkeiten müssten beseitigt und die Energiewende noch mehr vorangetrieben werden als bisher. Das erfordere massive Investitionen und viel, vor allem privates Kapital – das auch vorhanden sei. Man brauche aber „einen starken und liquiden EU-Kapitalmarkt“, um die Potenziale besser nutzen zu können, betonte Kohlhase. „Um die europäische Kapitalmarktunion zu verwirklichen, ist jetzt ein bedeutender Inte­grationssprung nötig.“

Viele Vorgaben der EU, die den Kapitalmarkt eigentlich fördern sollen, sind nach Einschätzung von Kohlhase heute „widersprüchlich, umständlich oder auch zu engmaschig“. Sie erreichten das Ziel eines effizienten Marktes nicht, kritisierte sie in dem Gespräch. „Wir brauchen eine zielgerichtete, aufeinander abgestimmte Regulierung, damit wir endlich vorankommen.“

Als Beispiel für überflüssige Komplexität und Bürokratie in der heutigen Kapitalmarktregulierung nennt Kohlhase die Regeln in der Wertpapierrichtlinie Mifid II in der Frage, wer als „systematischer Internalisierer“ gilt. Banken müssten demnach regelmäßig berechnen, ob sie bestimmte Schwellenwerte im bilateralen Handel überschreiten. Die Wertpapieraufsicht ESMA müsse dazu Daten erheben und ebenfalls Berechnungen anstellen. „Dieser quantitative Ansatz bindet viele Ressourcen bei Kreditinstituten wie Aufsicht, ohne dass es den europäischen Kapitalmarkt wirklich weiterbringt“, meint Kohlhase. Der qualitative An­satz der Vorgängerrichtlinie Mifid I sei da viel zielführender gewesen.

Widersprüchlich, umständlich

Zu den zentralen Vorhaben, die die Politik mit Blick auf die Kapitalmarktunion jetzt schnell voranbringen sollte, gehört nach Einschätzung des Bankenverbands die Modernisierung der Verbriefungsregeln. Als Brücke zwischen der in Europa bankgetriebenen Kreditfinanzierung der Wirtschaft und dem Kapitalmarkt komme diesen Regeln eine wichtige Funktion zu, ist sich auch Kohlhase sicher. Dabei geht es ihr nicht nur um eine Entschlackung der Berichtspflichten, sondern vor allem um eine Rekalibrierung zu konservativer Risikogewichte und Floors, insbesondere für risikoarme Seniortranchen. Hinzu kommen Verbesserungen im Prozess der Anerkennung von signifikanten Risikotransfers.

Das derzeit laufende EU-Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung von Basel III und die damit verbundene Einführung des sogenannten Output Floor könnte nach Einschätzung des BdB die Rahmenbedingungen für Verbriefungen noch weiter verschlechtern. „Das Verbriefungsrahmenwerk müsste in diesem Fall so angepasst werden, dass der Kapitalanstieg für Verbriefungen zumindest abgemildert wird“, forderte Kohlhase. „Das würde den Verbriefungsmarkt zwar nicht voranbringen, aber immerhin auch nicht durch Zusatzbelastungen zurückwerfen.“

Die Schlussfolgerungen, die die EU-Kommission erst vor wenigen Tagen in einem Bericht zum Verbriefungsmarkt gezogen hat, kann der BdB nicht teilen. „Es reicht nicht, zunächst einfach abzuwarten, dass sich die Lage auf dem Verbriefungsmarkt von allein verbessert, und allenfalls kleine Veränderungen an technischen Standards vorzunehmen“, moniert Kohlhase. „Hier muss mehr getan werden.“ Insbesondere müsse die Kapitaladäquanzverordnung (CRR) überarbeitet werden. Verglichen mit anderen Produkten mit ähnlichen Risikoprofilen benachteilige die sehr konservative Ausgestaltung des aktuellen Rahmenwerkes derzeit vor allem risikoarme Verbriefungen.

Beim Thema Insolvenzrecht, über das in der EU seit vielen Jahren diskutiert wird, wäre es für den Bankenverband bereits ein wichtiger Erfolg und Fortschritt, wenn eine zielgerichtete Teilharmonisierung gelänge. Konkret wirbt der Verband für eine Überarbeitung der Finalitäts- sowie der Finanzsicherheitenrichtlinie. Viel wichtiger als eine europaweite Harmonisierung sei für den Anleger, ob die Insolvenz eines anderen Marktteilnehmers – also seines Vertragspartners – Auswirkungen auf das eigene Wertpapiergeschäft habe, erläuterte Kohlhase. In der EU solle daher überall einheitlich gelten, dass ein Anleger, der das Geld für einen Wertpapierkauf schon bezahlt habe, diese Papiere auch erhalte, auch wenn der Verkäufer nach dem Kauf insolvent werde.

Bei der derzeit laufenden Mifir-Überarbeitung muss dem neuen Positionspapier des BdB zufolge mit Blick auf die Vorschriften zur Nachhandelstransparenz im bilateralen Anleihehandel dafür Sorge getragen werden, dass die Liquidität im Sekundärmarkt erhalten bleibt – und nicht durch die jetzt angestrebte drastische Kürzung der Verzögerungsmöglichkeiten Schaden nimmt.

Grundsätzlich könne in diesem Zusammenhang die Schaffung eines konsolidierten Marktdatenstroms, des „Consolidated Tape“ ein wichtiger Beitrag zur Kapitalmarktunion sein, ist Kohlhase überzeugt. Allerdings müssten die Weichen richtig gestellt werden. „Ein Aktientape muss Vorrang haben, denn Aktien stellen mit Abstand die liquideste Assetklasse dar – liefern also die meisten Daten“, sagt sie. Für den Markt seien Daten aus dem börslichen Orderbuch (pre-trade) und zu abgeschlossenen Geschäften (post-trade) wichtig. Ein Anleihetape werde sich aus den Nachhandelstransparenzdaten speisen.

Wichtig für Clearingmarkt

Im Zusammenhang mit der Kapitalmarktunion verweist der Bankenverband auf die Regulierung des EU-Clearingmarktes. Man unterstütze zwar das Ziel Brüssels, die Abhängigkeit der EU von britischen Central Counterparties (CCPs) zu reduzieren. Entscheidend sei aber, dass dies nicht durch eine zwangsweise Verlagerung von CCPs zurück in die EU geschehe, etwa durch erhöhte Kapitalanforderungen oder Quotenvorgaben, hieß es im neuen BdB-Positionspapier. Solche Maßnahmen schadeten lediglich den Instituten aus der EU und schnitten deren Zugang zu internationalen Märkten ab.

„Marktteilnehmer aus Drittstaaten, die für die Sicherung der Liquidität wichtig sind, werden ihr Geschäft nicht in die EU verlagern, wenn die Marktbedingungen in der EU gegenüber dem internationalen Markt unattraktiv sind – die EU kann diese ja nicht zwingen“, sagt auch Kohlhase. Folge wäre ein international abgekoppelter EU-Markt mit finanziell schlechteren Konditionen. Daher seien wesentliche Fortschritte bei der Kapitalmarktunion unverzichtbar, um international wettbewerbsfähig zu sein.

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