„Wir müssen uns erst einmal um uns selbst kümmern“
Im Gespräch: Christian Gervais
„Wir müssen uns erst einmal um uns selbst kümmern“
Sonderbeauftragter bei der VR-Bank Bad Salzungen Schmalkalden treibt Sanierung des angeschlagenen Instituts voran – Bilanzdefizit von 280 Mill. Euro
fir Frankfurt
Von Tobias Fischer, Frankfurt
Die skandalumwitterte VR-Bank Bad Salzungen Schmalkalden soll existenzfähig bleiben. Das ist das Ziel des mit der Sanierung des angeschlagenen Instituts befassten Sonderbeauftragten mit Geschäftsleitungsfunktion. Dank hoher Garantien des genossenschaftlichen Verbunds müsse derzeit über eine Fusion oder Abwicklung nicht nachgedacht werden, sagt Christian Gervais im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
Manche Dinge brauchen Zeit
„Wir müssen intern noch einiges umstellen, unsere Risikokultur ändern, unsere Unternehmenskultur neu ausrichten – das sind Dinge, die dauern", erklärt Gervais, der im Dezember von der Finanzaufsicht BaFin eingesetzt wurde. „Natürlich kann irgendwann einmal auch eine Fusion stehen, aber wir führen im Moment keine Fusionsgespräche. Wir müssen uns erst einmal um uns selbst kümmern.“
Wir müssen intern noch einiges umstellen, unsere Risikokultur ändern, unsere Unternehmenskultur neu ausrichten – das sind Dinge, die dauern.
Führung ausgetauscht
Er kommt von der Volksbank KölnBonn, für die er 20 Jahre tätig war, zuletzt als Marktvorstand Marktfolge. Weitere 16 Jahre seiner Karriere verbrachte Gervais bei der Deutschen Bank. Von der ursprünglichen Führungsmannschaft um Vorstandschef Stefan Siebert, der die VR-Bank Bad Salzungen Schmalkalden fast 20 Jahre geleitet hatte und sie mit aufsehenerregenden, teils aber auch anrüchigen Geschäften berühmt-berüchtigt gemacht hat, ist niemand mehr im Dienst.
Gervais führt die Bank nun zusammen mit Stefanie Hermann und Harald Kothe, die erst vor kurzem als Vorstände benannt wurden. Nur wenige Tage nach Gervais’ Amtsantritt bestellte die BaFin Dirk Auerbach, Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Schalast Auerbach, als Sonderbeauftragten in der Rolle des Aufsichtsrats der Bank. Zuvor war der gesamte Aufsichtsrat zurückgetreten.
Zulassung der Aufsichtsräte
Seit der Wahl eines neuen Kontrollgremiums in der außerordentlichen Generalversammlung Ende März läuft die Zulassung der Aufsichtsräte. Danach konstituiert sich der neue Aufsichtsrat, und Auerbachs Mandat endet. „Wir binden den gewählten Aufsichtsrat aber schon jetzt so ein, als wäre er im Amt“, sagt Gervais.
BVR schirmt Risiken ab
Die VR-Bank Bad Salzungen Schmalkalden hat ihm zufolge mit der Sicherungseinrichtung des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) im März einen Sanierungsvertrag abgeschlossen. Dieser schirmt das Bilanzdefizit der Bank mittels Garantien des BVR ab. Das durch Abschreibungen und Wertberichtigungen auf Immobilien, Beteiligungen und Kreditausfälle verursachte Defizit beläuft sich nach jetzigem Stand auf rund 280 Mill. Euro.
Defizit könnte noch steigen
Nicht auszuschließen sei, dass noch etwas draufgeschlagen wird, weil sich das eine oder andere weitere Risiko auftun könnte. In jedem Fall seien die Einlagen sicher, denn noch nie in den 90 Jahren des Bestehens des Institutsschutzes der BVR-Sicherungseinrichtung sei eine Genossenschaftsbank pleitegegangen oder habe ein Mitglied oder Kunde Geld verloren.
Welche Kosten schließlich unterm Strich auf die genossenschaftliche Finanzgruppe zukommen, muss sich weisen, so Gervais. „280 Mill. Euro zurückzuzahlen, würde für eine Bank dieser Größenordnung sicherlich Jahrzehnte dauern“, sagt er. „Ob es am Ende auf ein Agreement mit dem BVR hinauslaufen wird oder kann, kann ich aus heutiger Sicht nicht einschätzen.“
Bank neu ausrichten
Teil des Sanierungsvertrags sind dem Sonderbeauftragten zufolge auch Pflichten wie ein strengeres Reporting gegenüber dem BVR und Anpassungen des Geschäftsmodells. „Wir werden konsolidieren. Wir werden Risiken abbauen müssen und uns im Rahmen eines Sanierungskonzeptes, was wir gerade erstellen, überlegen, wie wir die Bank künftig ausrichten, um im Markt bestehen können.“
Dabei sei es weder das Ansinnen des BVR noch der BaFin, die Bank abzuwickeln, beteuert Gervais. Im Gegenteil. Die Bank solle durch diese schwierige Phase getragen werden, „damit sie danach – sicherlich erst einmal auf geschwächten Beinen – alleine stehen kann, um sich mittelfristig zu erholen“.
Generalversammlung tagt
Der lange ausstehende Jahresabschluss 2022 ist mittlerweile unter Dach und Fach. Am Dienstagabend (11. Juni) befindet eine ordentliche Generalversammlung in Bad Salzungen darüber. Auf der Tagesordnung stehen Gervais zufolge auch Satzungsänderungen, die technischer Natur seien und keine gravierenden Belange wie zu einer Neuausrichtung der Bank umfassten. So soll unter anderem die Möglichkeit eingeführt werden, virtuelle Generalversammlungen abzuhalten.
Es ist unser Bestreben, den Jahresabschluss 2023 in diesem Jahr vorzulegen, damit wir dann wieder in den normalen Turnus kommen.
Derweil werde längst am Abschluss für das Geschäftsjahr 2023 gearbeitet, der ja unter normalen Umständen schon in diesem Mai hätte fertig sein müssen. „Es ist unser Bestreben, den Jahresabschluss 2023 in diesem Jahr vorzulegen, damit wir dann wieder in den normalen Turnus kommen", sagt Gervais. „Normal wäre es, im Herbst mit der Vorbereitung auf die 24er-Prüfung zu beginnen.“
Nicht vorhandene Erträge
In der Vergangenheit sei von der VR-Bank Bad Salzungen Schmalkalden das Bild gezeichnet worden, eine der erfolgreichsten Genossenschaftsbanken der Bundesrepublik zu sein. „Wir haben aber gesehen, dass auch Erträge gezeigt wurden, die es gar nicht gab, oder Geschäfte nicht hätten gemacht werden dürfen“, sagt Gervais. "Vielen fällt es schwer anzuerkennen, dass die Bank gar nicht so erfolgreich war.“
Vielen fällt es schwer anzuerkennen, dass die Bank gar nicht so erfolgreich war.
Entsprechend stehen der Sonderbeauftragte und die BaFin, aber auch der BVR in der Kritik mancher Genossenschaftsmitglieder. So übt sich die „Schmalkalder Initiative der Genossenschafter“ zwar lautstark in Gegenwehr gegen die Institutssanierung und zweifelt den hohen Abschreibungsbedarf an, doch bei der außerordentlichen Generalversammlung folgte die Mehrheit der Linie des Sonderbeauftragten. „Nicht jeder muss meiner Meinung sein“, sagt Gervais. „Aber manchmal würde ich mir wünschen, dass der ein oder andere sich auch mal Argumenten öffnet. Ich stelle mich jedenfalls der Diskussion.“
Ausgeprägte Risikofreude
„Natürlich kann man sich bei dem einen oder anderen Geschäft fragen, ob die Bank es hätte tun sollen“, so Gervais. „Es ist gar nicht das Problem, viel Geschäft zu machen. Die Frage ist nur, ob das Risiko tragbar ist, ob die Organisation die Geschäfte abarbeiten und ob sie damit fachlich umgehen kann.“ Unter anderem die Tragfähigkeit des Geschäftsmodells und die Risikofreude des früheren Vorstands unter der Ägide Sieberts hatte die BaFin bemängelt. Stein des Anstoßes war wohl weniger die Fußballfinanzierung, für welche die Bank 2018 den früheren Fußball-Nationalspieler Stefan Effenberg als Mitarbeiter verpflichtet hatte und dadurch Bekanntheit als „Effenberg-Bank“ erlangte. Der ehemalige Fußballprofi arbeitet mittlerweile nicht mehr für die VR-Bank.
Geschäfte in der autonomen Mönchsrepublik Athos
Vielmehr waren es Immobiliengeschäfte und internationale Engagements, welche die Aufseher auf den Plan riefen. So suchte die Führung etwa ein großes Rad mit Investitionen in die Wasserförderung in der autonomen Mönchsrepublik Athos in Griechenland zu drehen. Zwischengeschaltet war eine zypriotische Firma. Ein Unterfangen, bei dem laut Medienberichten 19 Mill. Euro versickert sein sollen.
Bordell-Immobilien in Oberhausen
Aufsehen erregten aber auch Immobiliengeschäfte der VR-Bank in Oberhausen. Als Ende Februar publik wurde, dass zum Eigentum des Instituts in der dortigen Flaßhofstraße auch Bordelle gehören, reagierte die VR-Bank mit einer Stellungnahme und dem Bekenntnis, dort schnellstmöglich auszusteigen. „Ich bin entsetzt, dass so etwas in einer Genossenschaftsbank geschehen kann“, ließ sich Gervais in der Mitteilung zitieren. Gekauft wurden die Immobilien vor seiner Einsetzung als Sonderbeauftragter, zwischen Dezember 2021 und August 2023.
Hoher Immobilien-Eigenbestand
Gervais zufolge war das Immobiliengeschäft vom früheren Vorstand in den vergangenen zwei Jahren massiv vorangetrieben worden. Dabei handelte es sich um Eigengeschäfte. „Bei einer Bilanzsumme von 1,7 Mrd. Euro umfassen die Immobilien in unserem Besitz ungefähr eine halbe Milliarde Euro“, weiß er. "Bei Wertkorrekturen von 10 bis 20% kommen größere Beträge zusammen.“ Als nur ein Beispiel für Neubewertungen nennt er vier Immobilien, die zwar mit rund 13 Mill. Euro in der Bilanz stehen. „Zwei voneinander unabhängige Wertgutachter bewerten sie aber nur mit 3 Mill. Euro, das heißt, die verbleibenden 10 Mill. Euro müssen abgeschrieben werden.“
Bei einer Bilanzsumme von 1,7 Mrd. Euro umfassen die Immobilien in unserem Besitz ungefähr eine halbe Milliarde Euro.
Mitglieder verloren
Eine zusätzliche Herausforderung stellt der Verlust von Mitgliedern und Kunden dar. Auf der Homepage weist die Bank knapp 51.000 Kunden und 18.600 Mitglieder aus, doch dürften die nicht öffentlichen aktuellen Zahlen darunter liegen. Als einen Grund für Mitgliederschwund nennt Gervais die einstige Vorgehensweise, das Kapital der Genossenschaft, das Geschäftsguthaben, als Kapitalanlage zu verkaufen.
„Teils wurden von einzelnen Mitgliedern siebenstellige Euro-Beträge eingeworben“, sagt der Sonderbeauftragte. „Wenn die Bank keine Dividende zahlt, dann kommt es zu Kündigungen. In der schwierigen Lage, in der sich die Bank befindet, ist das natürlich problematisch.“ Eine Genossenschaftsmitgliedschaft sei eben keine Kapitalanlage, hält Gervais fest. „Deswegen sind der Mitgliederschwund und auch Kapitalabfluss Folgen einer in der Vergangenheit falschen Geschäftspolitik.“
Ich würde den Job jederzeit wieder machen – auch in der Kenntnis der heutigen Situation.
Allen Unbill und Herausforderungen zum Trotz mache ihm die Arbeit Spaß, versichert Gervais. „Ich würde den Job jederzeit wieder machen – auch in der Kenntnis der heutigen Situation.“
Risikoreiche Immobilien- und Finanzierungsgeschäfte haben ein Loch von 280 Mill. Euro in die Bilanz der VR-Bank Bad Salzungen Schmalkalden gerissen. Unter einem genossenschaftlichen Garantieschirm treibt der BaFin-Sonderbeauftragte Christian Gervais die Sanierung des auch als „Effenberg-Bank“ bekannten Instituts voran.