„Da entsteht eine neue Finanzklasse im grünen Bereich“
Von Stefan Paravicini, Berlin
Das Interesse von Risikokapitalgebern an grünen Fintech-Unternehmen, die sich mit den Herausforderungen der Klimakrise beschäftigen, hat rasant zugenommen. Nach Einschätzung des Risikokapitalgebers Commerz Ventures lagen die Investitionen von Venture Capital in Climate Fintechs im vergangenen Jahr weltweit bei 1,2 Mrd. Dollar und damit rund dreimal so hoch wie die gesamten bisherigen Risikokapital-Investitionen in dem noch jungen Sektor. Auf Europa entfiel 2021 mit 624 Mill. Dollar mehr als die Hälfte dieser Investitionen. Mehr als zwei Drittel der Investments gingen demnach in den Phasen Pre-Seed- und Seed über die Bühne.
In diesen frühen Phasen bewegt sich auch der Berliner Risikokapitalgeber Revent, der im vergangenen Jahr als einer der ersten Venture-Capital-Fonds in Deutschland mit einem Impact-Investment-Ansatz an den Start gegangen ist und einen seiner Schwerpunkte auf Klimatechnologien legt. Mit Sylvera aus London, die Satellitenbilder für das Monitoring von Wiederaufforstungsprojekten zum Ausgleich von CO-Emissionen analysiert, hat der Fonds als eines seiner ersten Investments im vergangenen Jahr in eine Firma investiert, deren Technologie rund um das Thema Carbon Accounting eine Rolle spielt. Nach der 6 Mill. Dollar schweren Seed-Runde im Mai 2021 hat das Start-up zum Jahresbeginn noch einmal 32 Mill. Dollar in einer Series A eingesammelt.
„Was im Bereich Green Fintechs derzeit am interessantesten ist, sind Carbon Offsets als neue Assetklasse“, erklärt Otto Birnbaum, General Partner von Revent. Es gebe das Versprechen der Unternehmen, die Nettoemissionen bis 2050 auf null zu senken. „Das wird große Aktivitäten in den Bilanzen auslösen.“ In den nächsten Jahren würden zehnstellige Positionen in den Unternehmensbilanzen aufgebaut, um den eigenen CO2-Fußabdruck neutralisieren zu können, ist Birnbaum überzeugt. Die grünen Fintechs, die die Risiken dieser neuen Assets bewerten, überwachen und handeln, würden jetzt gegründet. „Da entsteht eine neue Finanzklasse im grünen Bereich“, sagt Birnbaum. Die These hinter dem Investment bei Sylvera lautet, dass mit belastbaren Daten Vertrauen für diese neue Assetklasse geschaffen werden muss.
„Eine der übergeordneten Thesen unseres Fonds ist, dass Externalitäten wie CO2-Emissionen belastbar gemessen und berichtet werden müssen“, erklärt Lauren Lentz, General Partner von Revent. Diese neuen Metriken würden künftig nicht nur für den Chief Sustainability Officer, sondern auch für den Chief Financial Officer zu den zentralen Kennzahlen für die Steuerung von Unternehmen zählen, ist Lentz überzeugt. „Da entsteht eine neue Infrastruktur von Daten und Berichtswerkzeugen, und wir werden weiter in diesen Sektor investieren“, sagt Lentz.
Die Einschätzungen der Revent-Gründer zum Climate-Fintech-Sektor spiegeln sich auch in der von Commerzventures beobachteten Aktivität von Risikokapitalgebern wider. Innerhalb des Sektors waren Unternehmen aus dem Bereich Carbon Accounting mit Investitionen in Höhe von 410 Mill. Dollar bei Venture-Capital bisher am erfolgreichsten. Dahinter liegen mit Climate Risk Management, Carbon Credits Trading, ESG Reporting und Carbon Offsetting ebenfalls Themen, die zur neuen Infrastruktur für Daten und das Berichtswesen über Carbon Assets gezählt werden können (siehe Grafik).
60 Mill. Euro schwerer Fonds
Die Transparenz von Nachhaltigkeitsdaten interessiert Revent auch über den Fintechsektor hinaus. „Das ist ein Thema, das wir immer wieder haben: Entscheidern die Daten an die Hand zu geben, um bessere Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit treffen zu können“, sagt Birnbaum mit Blick auf das Portfolio.
Dass die Datenkomponente ein verbindendes Merkmal der Geschäftsmodelle der mittlerweile gut ein Dutzend Firmen ist, in die Revent mit ihrem 60 Mill. Euro schweren Fonds bisher investiert hat, soll sowohl auf die finanzielle Rendite als auch auf den Impact der Beteiligungen einzahlen. „Diese Unternehmen skalieren leichter und können die Transformation der Wirtschaft schneller ankurbeln“, sagt Lentz. Das gilt etwa für Granular aus Paris, die Transparenz über den Energiebezug auf stündlicher Basis schafft. Es gilt für Electricity Map aus Kopenhagen, die ihren Kunden Daten zur Berechnung ihres CO-Abdrucks auf Grundlage ihres Stromverbrauchs liefert. Es gilt aber auch für Noscendo aus Duisburg, die Pathogene in Flüssigkeiten scannt und einen Nobelpreisträger für Medizin mit an Bord hat. Das Geschäftsmodell von Avelios aus München ist ebenso datengetrieben und spart Ärzten Zeit bei der Dokumentation, die sie besser für die Patienten einsetzen. Bei einem der jüngsten Investments von Revent, das noch nicht öffentlich ist, geht es um die datengestützte Verbesserung der Transparenz im Management von Abfällen.
„Diese Unternehmen werden zusätzlichen Rückenwind spüren aufgrund der Veränderungen im regulatorischen Umfeld“, sagt Lentz zu den Aussichten der Portfoliounternehmen im deutlich eingetrübten makroökonomischen Umfeld. Vor allem Firmen im Klimatech-Sektor würden von Investoren trotz großer Unsicherheiten in den Märkten weiterhin gesucht. „Das wird eines der resilientesten Themen für Investoren bleiben, weil das Problem nicht verschwinden wird und die politischen Anforderungen festgelegt sind“, sagt Lentz.
Investitionen in Klimatech
„Wir sind natürlich Teil des gesamten Ökosystems und sind insofern natürlich mit betroffen“, sagt Birnbaum zur Korrektur der Bewertungen auch von privaten Unternehmen. Doch gerade mit Blick auf Klimatechnologien würden weiterhin neue Fonds für den Early-Stage-Bereich geschlossen. „Die müssen noch beweisen, dass ihre Investment-These funktioniert, und deshalb weiterhin investieren“, sagt Birnbaum. Er gehe davon aus, dass auch im Seed-Bereich künftig niedrigere Bewertungen aufgerufen werden, die Korrektur im Sektor Klimatech aber am geringsten ausfallen wird.
Revent, die im Durchschnitt etwa zwei Investments pro Quartal mit durchschnittlichen Ticketgrößen von 1 Mill. Euro stemmt und mit ihrem ersten Fonds insgesamt in bis zu 30 Firmen investieren will, hat trotz der eingetrübten Stimmung im Marktumfeld nicht vor, auf die Bremse zu treten. „Das Tempo, mit dem neue Firmen gegründet werden, hat sich auch nicht verändert“, betont Lentz. Man achte bei der Investitionsentscheidung aber noch etwas stärker darauf, wie weit der Weg zur Kommerzialisierung des Geschäftsmodells ist und wie groß der dafür erforderliche Finanzierungsbedarf, sagt Birnbaum. Gründer, denen man bisher von einer Ausweitung von Finanzierungsrunden und der damit verbundenen Verwässerung abgeraten habe, ermuntere man jetzt eher dazu, die Runway zu verlängern. „Es geht jetzt vor allem darum zu zeigen, dass das Geschäftsmodell funktioniert, und nicht darum, Dilution zu optimieren“, sagt Birnbaum.
Mit Blick auf die Finanzierungsphasen will Revent das Gewicht noch ein bisschen stärker Richtung Pre-Seed verschieben. Die Bewertungsaufschläge zwischen Pre-Seed- und Seed-Phase seien häufig größer als die Fortschritte in der Produktentwicklung und beim Umsatz, sagt Lentz. „Es macht außerdem mehr Spaß, die Reise der Gründer von Anfang an zu begleiten.“
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