„Das Risiko ist, dass die Inflation anzieht“
Im Interview: George Gatch
„Das Risiko ist, dass die Inflation anzieht“
Der CEO von J.P. Morgan Asset Management über Bonds, ESG und die Herausforderungen des Jahres 2024
George Gatch, der CEO von J.P. Morgan Asset Management, erklärt das zuletzt schwächere Interesse an ESG damit, dass sich einige ESG-Faktoren zuletzt schlechter entwickelten als der Gesamtmarkt. Die Anleger folgten den Renditen. ESG sei aber ein lang anhaltender Trend. Sein Haus fühle sich dem Thema verpflichtet.
Herr Gatch, J P. Morgan Asset Management hat im vergangenen Jahr die Rückkehr des Bondmarkts angekündigt. Kommt die noch?
Anfang 2023 herrschte Konsens, dass sich die US-Wirtschaft abschwächt, die Fed die Zinsen senkt und es große Chancen bei Bonds gibt. Das zeigt einfach, wie wichtig es ist, zu diversifizieren. Denn es ist sehr schwierig vorherzusagen, was an den Märkten auf kurze Sicht passieren wird.
Wie sieht es jetzt aus?
Heute denke ich, dass es großartige Chancen für Anleger gibt, von den hohen Zinsen zu profitieren und sich diese für längere Zeit zu sichern. Sicher, sie könnten noch weiter steigen, das ist immer möglich. Die Wahrscheinlichkeit ist aber größer, dass sie langsam zurückgehen werden, wenn die Fed im weiteren Jahresverlauf den Leitzins senken wird. Aber man muss sich auch weiterhin über die bestehenden Risiken im Klaren sein und seine Investments über Assetklassen wie Aktien, andere Fixed-Income-Segmente und Alternative Assets hinweg diversifizieren.
Und die Anleihen halten wir einfach?
Ja, aber dabei tarieren wir die Portfolios immer wieder neu aus. Wenn die Zinsen steigen, erhöhen wir den Fixed-Income-Anteil. Da bekommt man Renditen von 6% bis 8%. Das schützt einen zu einem gewissen Grad vor Zinserhöhungen, wenn es dazu kommen sollte. Es ist eine gute Gelegenheit, über die Vorteile von aktivem Management bei Fixed Income nachzudenken.
George Gatch, CEO J.P. Morgan Asset ManagementAktive Manager schneiden (...) gerade im Anleihensegment in der Regel besser ab als der Index. Wenn man also passiv in aggregierte Bondindizes investiert, entgeht einem bis zu einem Drittel der möglichen Performance.
Warum?
Wenn man sich den Gesamtmarkt von Fonds und ETFs ansieht, werden von den weltweit 6,1 Bill. US-Dollar in Fixed Income rund 40% passiv verwaltet. Von den 1,5 Bill. US-Dollar in Fixed-Income-ETFs folgen 75% einem Index. Aktive Manager schneiden aber gerade im Anleihensegment in der Regel besser ab als der Index. Wenn man also passiv in aggregierte Bondindizes investiert, entgeht einem bis zu einem Drittel der möglichen Performance.
Mein Eindruck ist, dass die Kundennachfrage nach ESG nachgelassen hat. Wie sehen Sie das?
ESG ist ein wesentlicher und lang anhaltender Trend in der Assetmanagement-Branche. Nachhaltiges Investieren wird es weiterhin geben, insbesondere in Europa. Das hat auch etwas mit den aufsichtsrechtlichen Regimes und natürlich den Vorlieben der Anleger zu tun. Die Folgen des Klimawandels sind aber vor allem ein sehr wichtiger Faktor bei Anlageentscheidungen. Unsere Analysten arbeiten daran, die Risiken und Chancen zu erfassen, die sich daraus für Unternehmen ergeben. Und nicht zuletzt haben die Renditen großen Einfluss auf die Anlegernachfrage.
In welcher Form?
Einige dieser ESG-Faktoren haben sich zuletzt schlechter entwickelt als der Gesamtmarkt. Und die Renditen der jüngsten Vergangenheit wirken sich auf die derzeitigen Mittelzuflüsse aus. Man sieht das oft. Wenn Wachstumswerte besser laufen als Value, sieht man Mittelflüsse Richtung Growth. Anleger folgen den Renditen. Ich denke, das sehen wir gerade beim Thema nachhaltige Investments.
Und das Klima?
Selbst in den Vereinigten Staaten gibt es, trotz des ganzen Lärms, eine starke Nachfrage nach Strategien für die Klimawende, insbesondere an den privaten Märkten.
Gibt es in den USA ein Problem beim Stewardship? Blackrock hatte rechtliche Probleme beim Versuch, Einfluss auf Unternehmen auszuüben.
Die USA haben ihre eigenen Anforderungen, wenn es um die gesetzlich festgeschriebene Treuhänderpflicht geht. Ich denke so darüber: Wir investieren auf Weisung unserer Kunden. Das ist unser Job. Grundlage sind ihre Anlagerichtlinien und Parameter. Viele Kunden weltweit wollen, dass wir allein auf Grundlage der Gewinnmaximierung investieren.
George Gatch, CEO J.P. Morgan Asset ManagementWir handeln als Treuhänder für unsere Kunden. Es ist nicht unser Geld, es sind nicht unsere Werte, sondern die unserer Kunden, und wir führen deren Richtlinien aus.
Wie sieht das aus?
Wir ziehen bei unseren Erwägungen alle Faktoren in Betracht, die wesentliche finanzielle Auswirkungen haben könnten – dazu gehören seit einigen Jahren bei allen Investmentstrategien auch ESG-Faktoren. Das ist dann die Basis unserer Kauf- oder Verkaufsentscheidungen. Es gibt andere Anleger, vor allem hier in Europa, die noch stärker einschränken wollen, welche Unternehmen sie im Portfolio halten. Wir integrieren auch das in unsere Strategien. Derzeit gibt es bei J.P. Morgan Asset Management weltweit um die 30 Strategien für nachhaltiges Investieren. Sie sind mit gewissen Einschränkungen versehen. Im vergangenen Jahr waren wir bei den Flows in aktive Nachhaltigkeitsstrategien die Nummer 1. Unsere oberste Maxime ist dabei: Wir handeln als Treuhänder für unsere Kunden. Es ist nicht unser Geld, es sind nicht unsere Werte, sondern die unserer Kunden, und wir führen deren Richtlinien aus.
ESG ist okay, wenn man es obendrauf bekommt, aber Abstriche bei der Rendite würde man dafür nicht machen?
Das hängt davon ab. Europa ist im Moment in dieser Hinsicht etwas anders als Amerika oder Asien. Die Treuhänderpflicht in den USA schränkt uns ein. Aber wir fühlen uns der Nachhaltigkeit und der Stewardship in hohem Maße verpflichtet. Wir haben ein großes Stewardship-Team, das sich um diese Fragen kümmert.
Was sind die Herausforderungen im laufenden Jahr?
Die große Ungewissheit. Der Makroausblick ist ungewiss. Wie hartnäckig ist die Inflation? Im Vergleich zum Jahresanfang denken wir nun, dass sich die Fed etwas mehr Zeit lassen wird. Das Risiko ist, dass die Inflation anzieht, was die Fed zu Zinserhöhungen bewegen könnte. Das hätte wesentliche Auswirkungen für Risiko-Assets. Dann sind da noch die geopolitischen Probleme, der Krieg in der Ukraine, der Nahe Osten und Asien. Der große Fokus für unsere Portfolios ist das Risiko von Ölpreisschocks, weil das echte Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben würde. Eine weitere Eskalation im Nahen Osten, die sich auf die Ölversorgung auswirken könnte, wäre so etwas. Bislang halten sich die Auswirkungen auf die Schifffahrt und die Beschaffungsketten in Grenzen. Die meisten Frachter wurden umgeleitet.
George Gatch, CEO J.P. Morgan Asset ManagementViele haben eine stärkere Aufwärtsentwicklung der chinesischen Wirtschaft erwartet. Das hat nicht stattgefunden.
Wie sehen Sie die Lage in China? Es ist nicht zur erhofften Erholung gekommen, oder?
Viele haben eine stärkere Aufwärtsentwicklung der chinesischen Wirtschaft erwartet. Das hat nicht stattgefunden. Es gibt weiterhin Hoffnung auf mehr staatliche Stimuli. Die Bewertungen sehen ziemlich attraktiv aus. Der Markt hat sich in diesem Jahr ein wenig erholt, aber es gibt Segmente wie Immobilien, die unter großen Druck stehen. Aber es gibt weiterhin großartige Unternehmen in China, und in die investieren wir.
Wo stehen Sie, wenn es um Tokenisierung und Blockchain geht?
Die Möglichkeit zur digitalen Wertübertragung hat das Potenzial, die Struktur unseres Geschäfts grundlegend zu verändern. Wir sehen uns Wertpapiertransaktionen an. In den USA sind bereits Repogeschäfte mithilfe von Tokenisierung und Blockchain gemacht worden. Wir sehen uns auch Themen wie Rechnungslegung und Verwahrung genau an. Wenn man über Liquidität bei privaten Assets nachdenkt: Stellen Sie sich die Möglichkeiten vor, die ein digitaler Transfer von privaten Assets bietet. Es gibt eine Reihe von Anwendungen und Prototypen, die wir uns dazu ansehen. Mich interessiert das sehr.
Man kann auch Assets wie Immobilien auf diese Weise in immer kleinere Einheiten teilen.
Ja. Und es bietet auch Möglichkeiten, Fondsanteile und ETFs in Bruchteilen zu handeln. Wir haben in den Vereinigten Staaten ein Geschäft namens 55ip, das maßgeschneiderte, individuell gemanagte Portfolios mit sehr niedrigen Mindestanlageschwellen – 50.000 oder sogar ab 10.000 Dollar – anbietet. Dafür bekommt man volle Personalisierung, etwa unter Steuergesichtspunkten oder nach Präferenzen wie Nachhaltigkeit. Private Assets lassen sich in diese Portfolios integrieren. Wenn man sich das in zehn oder zwanzig Jahren rückblickend ansieht, könnten die Auswirkungen der technologischen Veränderungen auf die Branche grundlegend gewesen sein. Deshalb investieren wir in diese Themen.
Investieren Sie persönlich in Produkte von J.P. Morgan AM?
Mein gesamtes Vermögen steckt in Fonds, ETFs und Portfolios von J.P. Morgan Asset Management. Unsere Portfoliomanager erhalten einen Großteil ihrer Boni in Anteilen ihrer Strategien, die sie für unsere Kunden managen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass ihre Interessen mit denen der Kunden übereinstimmen.
Das Interview führte Andreas Hippin.
Zur Person
George Gatch ist seit 38 Jahren bei J.P. Morgan. Seit fünf Jahren steht der Branchenveteran an der Spitze von J.P. Morgan Asset Management. Das verwaltete Vermögen der Sparte belief sich ihm zufolge zuletzt auf 3,1 Bill. Dollar. Wenn Gatch spricht, hat man nicht das Gefühl, dass er einem etwas verkaufen will, sondern dass er einem etwas erklärt. Der Absolvent der Washington University hat fünf Kinder und lebt mit seiner Familie in New York City. Er reist und kocht gerne mit der Familie. Seine Hobbys finden draußen statt: Skilanglauf etwa oder Bergwandern.