„Der Standort ist besser angesehen, als wir glauben“
„Der Standort ist besser angesehen, als wir glauben“
Nach Angaben der Deutschlandchefin von Barclays planen viele US-Unternehmen Investitionen in Deutschland
In wirtschaftlich und (geo)politisch turbulenten Zeiten wie diesen hält es Ingrid Hengster mit dem Philosophen Karl Popper, getreu dem Motto: Optimismus ist Pflicht. „Wenn man nicht an die Zukunft glaubt, kann man sie auch nicht gestalten. Mir ist der allgemeine Pessimismus in Europa und in Deutschland zu ausgeprägt“, sagt die Barclays-Deutschlandchefin im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Den weltweit wachsenden Protektionismus müsse man dennoch mit Sorge sehen, so die Managerin. „Andererseits ist das vielleicht genau der Stein des Anstoßes, den Europa braucht, um enger zusammenzuwachsen.“
Stabiler Rechtsrahmen als Vorteil
Die gebürtige Österreicherin, die Anfang 2022 von der Förderbank KfW zu Barclays wechselte und damit wieder ein Stück weit zu ihren Wurzeln als Investmentbankerin zurückkehrte, warnt davor, die Standortvorteile in Europa und insbesondere in Deutschland aus den Augen zu verlieren. „Es herrscht hier ein stabiler Rechtsrahmen und im Vergleich zu vielen anderen Regionen soziale Ausgewogenheit“, unterstreicht Hengster. Ferner weist sie auf das „hervorragende, breite Bildungssystem“ hin, für das uns die Welt noch immer beneide. Diese Chance gelte es noch besser zu nutzen. „Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, wenn die Hochschulen in Deutschland ihr englischsprachiges Angebot noch ausbauen würden“, so die 63-Jährige. Zugleich solle sichergestellt werden, dass die Absolventen, die nach Deutschland kommen, während ihres Studiums Deutsch lernen, damit eine Integration in den hiesigen Arbeitsmarkt gelingen kann.
Vollendung der Kapitalmarktunion lässt auf sich warten
Neben dem Protektionismus hat sich in den vergangenen Jahren auch der globale Wettbewerb stetig intensiviert. Als Antwort darauf fordert die Branche seit Jahren eine stärkere Integration der europäischen Finanzmärkte. Doch die Vollendung der Kapitalmarktunion komme nicht so schnell voran wie erhofft, konstatiert Hengster: „Die aktuelle Debatte um die Konsolidierung der europäischen Bankenlandschaft zeigt, dass die nationalen Interessen innerhalb Europas nach wie vor stark sind.“
Dabei sei schon lange bekannt, dass Europa größere Banken brauche. „Institute unterhalb einer kritischen Größe kommen zum Beispiel bei großen Kapitalmarkttransaktionen gar nicht zum Zuge“, sagt Hengster. Ihr Haus werde sich jedoch voraussichtlich selbst nicht aktiv an der erforderlichen Konsolidierung beteiligen, da dies nicht in die Strategie der britischen Großbank passe.
Ausdrücklich nicht äußern will sich Hengster zu einer möglichen Übernahme der Commerzbank. Denn Barclays gehört zu den von Unicredit mandatierten Banken. Die italienische Großbank hat ihr Engagement bei den Gelben zum Teil durch Derivate aufgebaut; Medienberichten zufolge hatten die Bank of America und Barclays diese arrangiert.
Spürbare Belebung bei Eigenkapitalmarkt-Transaktionen
Mit Blick auf das eigene Geschäft in Deutschland hat Hengster einiges vor. Da wäre zum einen das Investment Banking, bei dem Barclays sich zum Ziel gesetzt hat, in die Top 5 der hiesigen League Tables aufzusteigen. „Im Investment Banking legen wir zunehmend einen Fokus auf Kunden, mit denen wir vielfältige Beziehungen unterhalten. Mittelfristig ist das im beiderseitigen Interesse, denn auch die Kunden haben ein Interesse daran, die Zusammenarbeit mit ihren Kernbanken zu intensivieren“, sagt Hengster. Für Eigenkapitalmarkt-Transaktionen habe Barclays zuletzt wichtige Mandate in der Schlüsselrolle „Global Coordinator“ gewonnen. In diesem Marktsegment zeige sich allgemein eine spürbare Belebung, beobachtet die Deutschlandchefin. Auch wenn der Geschäftsbereich Equity Capital Markets (ECM) von der Mehrzahl der führenden Banken in Kontinentaleuropa aus London heraus gesteuert wird, legen deutsche Kunden Hengster zufolge Wert auf regionale Nähe zu ihren Emissionsbanken. Barclays habe deshalb ein komplett deutschsprachiges Team aufgebaut. „Das ist hilfreich, um Börsengänge und andere Equity-Transaktionen begleiten zu können. Denn für die Unternehmen ist lokales Verständnis in dieser spannenden Phase besonders wichtig“, sagt Hengster, die ihre Karriere 1984 bei der Oesterreichischen Kontrollbank begann und zwei Jahre später zur Commerzbank wechselte.
Mehr Carve-outs erwartet
Im Firmenkundengeschäft strebe Barclays wie die meisten Wettbewerber eine enge Zusammenarbeit mit dem Investment Banking an. Hier gelinge die Erweiterung der Aktivitäten von Depositenerträgen hin zu Finanzierungs- und Absicherungsprodukten „besonders gut“, unterstreicht Hengster.
Nach einem eher mäßigen M&A-Jahr 2024 planten deutsche Firmen im nächsten Jahr aufgrund der industriellen Veränderungen im Heimatmarkt unter anderem mehr Carve-outs. An diesen bestehe international großes Interesse. „Der Standort ist besser angesehen, als wir glauben“, sagt die Bankerin. Insbesondere in den USA wollten viele Unternehmen gerne hier investieren. Aber auch in die andere Richtung werde das Geschäft 2025 voraussichtlich anziehen.
Im Gespräch: Ingrid Hengster
Das Gespräch führten Carolin Kassella und Anna Sleegers.
Ingrid Hengster ist seit Anfang 2022 für die britische Barclays Bank tätig. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung beklagt sie den übertriebenen Pessimismus in Deutschland und Europa. Zudem appelliert sie an deutsche Hochschulen, sich noch stärker auf ausländische Studenten einzustellen.