OSV-Präsident Ludger Weskamp

„Die Zahlen geben nicht her, was wir erwarten“

Das Geschäft der Sparkassen im Gebiet des Ostdeutschen Sparkassenverbandes (OSV) ist im ersten Halbjahr gut angelaufen. OSV-Präsident Ludger Weskamp warnt vor den besonderen Gefahren der Energiekrise für die industrielle Basis im Osten.

„Die Zahlen geben nicht her, was wir erwarten“

Von Stefan Paravicini, Berlin

Der Präsident des Ostdeutschen Sparkassenverbandes (OSV) hat in seinem Büro am Hauptsitz des Verbandes in der Leipziger Straße eine der wohl besten Aussichten auf Berlin-Mitte. Ludger Weskamp, der zum Jahresbeginn den langjährigen OSV-Präsidenten Michael Ermrich abgelöst hat, blickt aus dem 18. Stock auf das Stadtpanorama mit dem Fernsehturm wie eingerahmt in der Bildmitte. Doch die guten Sichtverhältnisse in der Verbandszentrale täuschen. „Die aktuellen Zahlen geben nicht her, was wir erwarten“, sagt Weskamp zur schwelenden Energiekrise und den immer akuteren Rezessionsgefahren. „Es ist ein Fahren auf Sicht“, sagt der OSV-Präsident mit Blick auf die konjunkturelle Lage.

Sparkassen-Geschäft läuft

Den ostdeutschen Sparkassen ist das Navigieren in unsicherem Gelände im ersten Halbjahr gut gelungen und auch für die zweite Jahreshälfte zeigt sich Weskamp optimistisch. Der OSV geht davon aus, dass Zins- und Provisionsüberschüsse der 43 Mitgliedssparkassen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt trotz schwieriger Rahmenbedingungen zulegen werden.

Die Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) zieht zwar auch bei den Ost-Sparkassen Wertberichtigungen in beträchtlicher Höhe unter anderem auf festverzinsliche Anlagen im Depot A nach sich. „Die Institute sind aber gut aufgestellt und den Schmerzen, die jetzt da sind, stehen verbesserte Geschäftsperspektiven durch steigende Zinsen gegenüber“, stellt Weskamp klar.

Nach vier Jahren mit sinkenden Betriebsergebnissen vor Bewertung in Folge rechnet der OSV-Chef deshalb schon bald mit der Trendwende. Im laufenden Turnus erwarten die Ostsparkassen mit Das Geschäft der Sparkassen im Gebiet des Ostdeutschen Sparkassenverbandes (OSV) ist im ersten Halbjahr gut angelaufen. OSV-Präsident Ludger Weskamp zeigt sich auch für das zweite Halbjahr optimistisch. Die Energiepreise bergen zugleich besondere Risiken für die industrielle Basis im Osten, warnt er.zwar ein stagnierendes Ergebnis, auch weil Kostensteigerungen infolge der Inflation rund 90% der Ertragszuwächse aufzehren dürften. Ob bereits im nächsten Jahr oder für den Fall einer Rezession mit steigenden Kreditausfällen erst 2024 oder 2025 die Trendumkehr gelingt, gleiche derzeit dem Blick in die Glaskugel, sagt Weskamp.

Die Sparkassen im Verbandsgebiet des OSV hätten die vergangenen Jahre genutzt, um ihre Hausaufgaben zu erledigen. „Trotz schwieriger Randbedingungen haben die Institute eine Menge in Konsolidierung und Digitalisierung investiert, da müssen wir uns in vielen Bereichen nicht mehr verstecken“, sagt der OSV-Präsident. Jetzt sei die Zeit gekommen, die Früchte dieser Anstrengungen einzufahren. „Was im Kreditbereich auf uns zukommt, weiß allerdings noch keiner“, räumt Weskamp ein.

Auf Sicht müssen derzeit nicht nur die Sparkassen, sondern auch die Bundesregierung fahren. „Es ist nicht zielgenau“, sagt Weskamp über die jüngsten Pläne der Ampel-Koalition für ein weiteres Entlastungspaket. „Es ist aber auch deshalb nicht zielgenau, weil derzeit keiner wirklich sagen kann, was zielgenau wäre“, betont der frühere Landrat des Landkreises Oberhavel, der der SPD nahesteht. „Alle sagen, ‚macht das nicht mit der Gießkanne‘, aber alle wollen mit dabei sein“, ordnet Weskamp die Kritik an den Maßnahmen ein.

Mittelstand in Gefahr

Der OSV-Präsident sieht vor allem die Pläne kritisch, in die Preisbildung auf den Energiemärkten einzugreifen. „Dafür bin ich trotz meiner politischen Verortung zu sehr Marktwirtschaftler und Ökonom, als dass ich das für sachgerecht halte.“ Mit Blick auf den Mittelstand sieht Weskamp hier dennoch die Politik in der Pflicht. „Ich bin überzeugt, dass das Handwerk und andere kleine Betriebe, die das Rückgrat unserer Wirtschaft bilden, besonderer Unterstützung bedürfen. Sie betreffen die hohen Energiepreise unmittelbar, beispielsweise Bäcker. Hier besteht Handlungsbedarf.“ Erst am Dienstag hatte der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) die Bundesregierung aufgefordert, die Energiepreise nach oben zu begrenzen, damit der Mittelstand als Basis für den Wirtschaftsstandort nicht in seiner Substanz gefährdet werde.

Für die Politik hält Weskamp noch eine andere Warnung bereit: „Die Zeiten, in denen man sagen konnte, ‚das Geld ist sicher‘ oder ‚whatever it takes‘, sind vorbei. Das reicht heute nicht mehr. Die Botschaft ‚you never walk alone‘ allein funktioniert nicht“, sagt der OSV-Präsident zur jüngsten Durchhalteparole von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die an erfolgreichere Parolen des ehemaligen Zentralbankchefs Mario Draghi und von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnert. Die Verunsicherung in der Wirtschaft und in der Bevölkerung sei groß und die bisherigen Entlastungspakete hätten nur wenig dazu beigetragen, sie zu mildern, sagt Weskamp.

Dass die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung und gerade mit Blick auf die Sanktionen gegen Russland in Ostdeutschland größer als in den alten Bundesländern ist, will Weskamp nicht auf eine besondere Nähe der neuen Bundesländer zu Russland zurückführen. „Es gibt vielmehr die Befürchtung, etwas zu verlieren, was man erfolgreich aufgebaut hat“, sagt der OSV-Präsident mit Blick auf die positive wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre. „Schade, dass die Menschen in unserem Geschäftsgebiet nicht größeren Stolz auf ihre Leistung haben“, bedauert Weskamp. Stattdessen steckten die Erfahrung eines langsam in der Agonie versinkenden Staates aus den Achtzigern und die Erinnerung an die anschließende Deindustrialisierung in den Neunzigerjahren vielen Menschen in Ostdeutschland immer noch in den Knochen – darunter auch viele, die beides nicht miterlebt hätten. „Lebenserfahrungen werden vererbt, das tragen auch folgende Generationen mit“, sagt Weskamp.

In Ostdeutschland habe sich in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich viel Industrie aus energieintensiven Branchen angesiedelt, die besonders hart von explodierenden Energiepreisen als Folge des russischen Wirtschaftskriegs gegen Westeuropa betroffen seien. Den Erfolgsmeldungen über eingesparte Gasmengen in der Industrie begegne er daher ambivalent, weil damit häufig auch Produktionsverlagerungen verbunden seien. „Da die industrielle Basis in Ostdeutschland schmaler ist, wird das hier natürlich viel mehr weh tun“, sagt Weskamp. Besonders akzentuiert sei in Ostdeutschland wegen des „demografischen Echos“ der Neunzigerjahre, als viele junge Menschen abwanderten, auch der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel, sagt Weskamp zu den besonderen Herausforderungen für die Region. „Das ist das zweite ganz große Risiko neben dem Energiepreis- und Inflationsschock.“

„Die EZB hat es verschlafen“

Die Verantwortung für den Inflationsschock verortet Weskamp in Frankfurt am Main. „Die EZB hat es einfach verschlafen“, sagt der OSV-Chef zur Zinswende der Europäischen Zentralbank. Das primäre Ziel der Geldwertstabilität habe bei der EZB in den vergangenen Jahren eine zu geringe Rolle gespielt, kritisiert der Verbandschef. „Ich glaube nicht, dass die EZB die Inflationsrisiken nicht gesehen hat. Man hat sie aus vielerlei Gründen einfach kleiner gemacht, als sie tatsächlich waren.“ Der Fehler sei gemacht und könne jetzt auch nicht dadurch korrigiert werden, dass man die Zinsen zu schnell hochziehe. „Die EZB ist aufgerufen, einen klaren Pfad zu benennen und nicht jedes Mal eine neue Diskussion zu führen, ob man einen Schritt um 50 oder 75 oder 25 Basispunkte macht“, fordert Weskamp.

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