Nachhaltigkeit

Endspurt für die ESG-Anlageberatung

Von August an sind Anlageberater verpflichtet, die Kunden nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen zu befragen und ihnen entsprechende Produkte anzubieten. Das birgt für Fondsanbieter und Vertriebe große Herausforderungen.

Endspurt für die ESG-Anlageberatung

Von Christiane Lang, Frankfurt

„Künftig wird vom Regulator genau vorgegeben, nach welchen Ausprägungen der Nachhaltigkeitspräferenzen die Kunden befragt werden sollen“, sagt Magdalena Kuper, Leiterin Nachhaltigkeit beim deutschen Fondsverband BVI, im Fidelity-Web-Seminar „ESG-Regulierung im Vertrieb – wie geht es weiter?“. Die bisherige Einteilung der Fonds nach Artikel 8 oder Artikel 9 der Offenlegungsverordnung sei ab August für die Anlageberatung nicht mehr ausschlaggebend.

Denn von da an gelten neue Produktmerkmale, die in der delegierten Verordnung, die die EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II ergänzt, festgelegt wurden. Dabei handelt es sich um drei Merkmale, nämlich einen Mindestanteil taxonomiekonformer Investitionen in Fonds, einen Mindestanteil nachhaltiger Investitionen im Sinne der Offenlegungsverordnung und die Berücksichtigung der wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeit, der sogenannten Principal Adverse Impact Indicators (PAIs), mit denen nachteilige Effekte unter anderem für Umwelt, Arbeitnehmerrechte oder Menschenrechte reduziert werden sollen.

Neues Verbändekonzept

Details und Standards zu diesen Produktmerkmalen aber fehlen noch. Deshalb geht das gemeinsame Konzept der Verbände der Deutschen Kreditwirtschaft, des deutschen Fondsverbands BVI und des Deutschen Derivate Verbands DDV zur Bestimmung eines Zielmarktes für nachhaltige Produkte über diese EU-Bestimmungen hinaus.

Das Konzept sieht zusätzliche Mindeststandards bzw. Konkretisierungen vor: So wurden im Falle der PAIs für die Investition in Aktien und Anleihen Mindestausschlüsse für bestimmte Branchen wie Rüstung oder Tabak integriert. Zudem dürfen für nachhaltige und taxonomiekonforme Anlagen keine Investitionen in Unternehmen getätigt werden, die schwere Verstöße gegen die UN Global Compact begehen, oder in Staaten, die gegen Demokratie und Menschenrechte verstoßen. Für alle nachhaltigen Produkte legen die Verbände darüber hinaus fest, dass die Produkthersteller einen anerkannten Branchenstandard wie die UN PRI berücksichtigen.

„Mit diesen zusätzlichen Anforderungen will das Verbändekonzept für Deutschland einen Mindeststandard schaffen, auf den sich die Vertriebsstellen verlassen können“, erläutert Gerhard Faust, Leiter Kapitalmarktprodukte bei der Deutschen Bank. Nicht jeder Marktteilnehmer sei in der Lage, die gleichen Ressourcen für die Produkt-Governance vorzuhalten. Deshalb sei ein verlässliches Rahmenwerk wichtig.

Fonds weiterentwickeln

Die große Herausforderung für die Investmentfondsbranche liegt nun darin, Produkte zu kreieren, die diesen Nachhaltigkeitskriterien entsprechen. Denn Artikel-8-Fonds nach der Offenlegungsverordnung, die zwar ESG-Strategien verfolgen, aber keine qualitativen Anforderungen erfüllen müssen, bedienen diese geforderten Merkmale – anders als Artikel-9-Fonds – bisher nicht und müssen sich Kuper zufolge weiterentwickeln.

Sie müssen also Mindestanteile nachhaltiger oder taxonomiekonformer Investments festlegen oder PAIs verbindlich in ihre ESG-Strategie mit einbeziehen. „Artikel-8-Produkte, die keine dieser Merkmale aufweisen, werden sich von August an für Kunden mit Nachhaltigkeitspräferenzen nicht mehr eignen“, betont Kuper.

Eine besondere Herausforderung für die Vertriebe wird darin liegen, die Kundenwünsche mit dem vorhandenen Produktangebot zusammenzuführen. Gerade hier dürfte für die Anleger Enttäuschungspotenzial und für die Berater viel Aufklärungsarbeit liegen.

Hohe Erwartungen

Faust geht davon aus, dass sich uninformierte Kunden, die die Konzepte der Taxonomiekonformität oder der nachhaltigen Investitionen noch nicht komplett verstanden haben, unter nachhaltigen Anlagen in der Regel Produkte mit sehr hohen Taxonomie-Quoten oder sehr hohen Quoten nachhaltiger Investitionen vorstellen. „Wenn der Kunde in der Beratung festlegen muss, wie hoch der Anteil nachhaltiger oder taxonomiekonformer Investments in einem Fonds sein soll, wird er wohl intuitiv erst einmal 100% sagen“, meint er.

Je höher aber der vom Kunden gewünschte Anteil an taxonomiekonformen oder nachhaltigen Investments sein soll, desto geringer ist das verfügbare Produktangebot, betont Torsten Barnitzke, Head of Key Accounts & ESG Distribution Deutschland bei Fidelity.

Lege man das Universum des MSCI All Country World Investable Market Index mit fast 9.000 Unternehmen und den weit gefassten MSCI ESG-Ansatz zugrunde, würden nur 40% der Titel unter dem neuen Zielmarktkonzept als nachhaltig gelten und nur 5% als taxonomiekonform.

Produkt-Universum zu klein

Legt der Kunde nun seine Präferenzen mit sehr hohen Taxonomie-Quoten fest, ist es laut Faust möglich, dass kein passendes Produkt zur Verfügung stehen wird. „Es kann Konstellationen geben, in denen nicht mehr jedes einzelne Haus in der Lage ist, entsprechende Empfehlungen abzugeben, weil das Produkt-Universum zumindest Stand heute noch nicht ausreichend breit diversifiziert ist“, so der Deutsche-Bank-Manager.

Tatsächlich sehe der Regulator vor, dass der Kunde losgelöst vom tatsächlichen Produktangebot und der aktuellen Marktsituation nach seinen Nachhaltigkeitspräferenzen befragt werde, erläutert Kuper. Gerade in der Einführungszeit, in der die Produkte umgestellt, die Strategien angepasst werden und die Taxonomie noch in den Anfängen stecke, werde das Produktangebot nicht ausreichen, um vor allem ambitionierte Nachhaltigkeitswünsche der Kunden zu bedienen.

Haftungsrisiken

Die Herausforderungen bestehen aber nicht nur in der Umsetzung der neuen nachhaltigen Produktanforderungen und in der Aufklärung der Kunden, darüber hinaus kann der Zeitplan der EU-Regulierung zu haftungsrechtlichen Risiken führen.

Denn die neuen nachhaltigen Produktmerkmale, die laut Mifid II von August an in den Produkten umgesetzt sein müssen, werden sich bis Jahresende 2022 in der Regel noch nicht vertraglich in den Verkaufsprospekten niederschlagen.

Denn Level 2 der Offenlegungsverordnung, der die detaillierten Umsetzungsvorgaben, also die technischen Regulierungsstandards umfasst, tritt erst Anfang 2023 in Kraft. Erst von diesem Zeitpunkt an ist es im Verkaufsprospekt verpflichtend, die Informationen zu den nachhaltigen Portfolioanteilen offenzulegen.

Diese zeitliche Lücke erfordert Kuper zufolge viel Fingerspitzengefühl. „Die Fondsanbieter müssen sich im Klaren sein, dass ihre Angaben als verbindliche Zusagen behandelt werden“, betont die Nachhaltigkeitsexpertin. Die später im Verkaufsprospekt festgehaltenen Nachhaltigkeitsaspekte wie die Mindestanteile nachhaltiger Investitionen dürften also von den zuvor gemachten Angaben nicht abweichen, vor allem nicht nach unten.

„In dieser Übergangszeit bis Ende 2022 müssen Vertriebsstellen die Kunden darauf hinweisen, dass das Produkt zwar in seiner Strategie bereits entsprechende Produktmerkmale umsetzt, dass diese zunächst aber noch keine vertraglich zugesagten Produktmerkmale sind und die vertragliche Zusage erst später gemacht wird“, erläutert Kuper.

Mit dieser Aufklärung ließen sich die Haftungsrisiken in Grenzen halten. „Alles entscheidend ist die klare Kommunikation von den Produktanbietern an die Vertriebsstellen und von den Vertriebsstellen an die Kunden“, betont die BVI-Expertin.

Detailliertes Datenblatt

Die Übermittlung der relevanten Informationen zu den nachhaltigen Produktmerkmalen von den Fondshäusern an die Vertriebe erfolgt über das European ESG Template (EET), einen EU-weit einheitlichen Standard für die Datenübermittlung. Dieses Datenblatt soll Kuper zufolge künftig für jeden Fonds zur Verfügung stehen. Sie erwartet aber, dass es das EET in der ersten Phase nur für Artikel-8- und Artikel-9-Produkte geben wird.

„Das EET ist sehr detailliert und umfasst über 600 Datenfelder“, erläutert Barnitzke. Davon handele es sich allein bei knapp 100 Datenfeldern um Pflichtangaben. Diese Pflichtangaben sollen bereits bis zum 1. Juni befüllt werden.

Die Vertriebsstellen können die EET entweder direkt von den Fondsanbietern beziehen oder auf Datenanbieter zurückgreifen. So stellt der WM Datenservice die relevanten Daten zentral bereit, damit sie für die Beratung an verschiedenen Schnittstellen bei Fondsanbietern und Plattformen zugänglich sind.

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