Hongkongs Börse ringt um ihre Sonderstellung
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Es hängen einige Fragezeichen über dem Finanzplatz Hongkong und seiner Sonderstellung im asiatischen Raum. Seit der Einführung eines drakonischen Sicherheitsgesetzes für die chinesische Sonderverwaltungszone im vergangenen Jahr ist alles ein bisschen anders geworden. Peking hat die politischen Zügel nun vollends in der Hand und setzt die weltweit gerühmten Hongkonger Freiheits- und Sonderrechte, darunter insbesondere eine unabhängige Justiz, aufs Abstellgleis.
Entsprechend bangt auch die bislang international bunt durchmischte Hongkonger Finanzcommunity, ob es gelingen kann, den Finanzplatz und sein Prunkstück Hongkong Exchanges (HKEX) vom Pekinger Dirigismus fernzuhalten und seine globale Aura zu bewahren. Andernfalls droht eine unheilvolle Verquickung mit der rigiden staatsüberformten Kapitalmarktkultur des Festlandes – diese könnte die internationale Wettbewerbssituation der Hongkonger Börse untergraben.
Anlass für entsprechende Befürchtungen gibt es genügend. Zuletzt sind ernst zu nehmende Gerüchte aufgekommen, laut denen die chinesische Regierung Möglichkeiten sondiert, eine neue Börse aufzuziehen. So könnten sowohl chinesische Unternehmen mit Listings in den USA oder Hongkong als auch ausländische Emittenten für einen Kapitalmarktauftritt auf das chinesische Festland gelockt werden. Peking ist es ein Anliegen, dass chinesische Technologieriesen, die bislang fast ausschließlich nach New York oder aber an die regulatorisch ebenfalls zum Ausland zählende HKEX gehen, eine Kapitalmarktexistenz auf dem chinesischen Festland erhalten.
Seit Ende 2019 haben bereits eine ganze Reihe von Tech-Unternehmen, allen voran Adressen wie Alibaba, JD.com, Netease oder Baidu, im Zuge wachsender Anfeindungen zwischen China und den USA als sogenannte „Heimkehrer“ ihre Wall-Street-Notierung mit einem Zweitlisting in Hongkong flankiert. Dies ist ein maßgeblicher Faktor dafür, dass die Hongkonger Börse im globalen IPO-Ranking weiter ganz vorn mitspielt.
Affront vom Festland
Theoretisch hätte eine neue internationale Börse aus Sicht der chinesischen Regierung den Charme, dass sie Listings ausländischer Firmen ermöglichen würde, die ihrem China-Geschäft einen separaten Börsenauftritt angedeihen lassen wollen. Dies wäre allerdings ein Affront für die Hongkonger Börse, die bislang für solche Unterfangen angesteuert wurde, beispielsweise seitens des weltgrößten Braukonzerns AB Inbev, dessen Asien-Aktivitäten separat in Hongkong notiert sind.
Wird sich Hongkongs Sonderstatus als internationaler Gateway für den chinesischen Festlandmarkt im neuen politischen Umfeld und in einem intensivierten Wettbewerb mit den Börsen in Schanghai und Shenzhen aufrechterhalten lassen? In jedem Fall gilt es die Schlagzahl zu erhöhen und sich noch stärker von den Börsen auf dem Festland abzugrenzen. Dort ist schließlich mit dem relativ neuen Shanghai Star Market eine starke Konkurrenz für Börsenlistings chinesischer Hightech-Start-ups entstanden. Gleichzeitig wurde auch an der Börse Shenzhen das Listingregime für den Wachstumswertemarkt Chinext reformiert.
Die HKEX holt nun zum Gegenschlag aus und versucht mit einer umfassenden Reform der Listingregularien neue Emittentenkreise zu erschließen sowie auf der Zweitlistingwelle mitzuschwimmen. Während man es bislang vor allem auf die überschaubare Zahl großer chinesischer Techfirmen mit US-Börsenpräsenz abgesehen hatte, will man nun das Spektrum erweitern und auch die Masse kleinerer Fische einfangen. Dazu bedarf es allerdings einer von den Hongkonger Marktteilnehmern und der Wertpapieraufsicht Securities and Futures Commission (SFC) zu beratenden Entschlackung von Listingregularien und der Lockerung von strengen Zugangsvoraussetzungen auf Ebene von Mindestmarktkapitalanforderungen, aber auch Governance-Bestimmungen und Stimmrechtsregeln.
Dabei könnte man offene Türen einrennen. Für eine Vielzahl chinesischer Unternehmen an der Wall Street geht es im Zuge der eskalierenden Streitigkeiten zwischen China und den USA auch um eine Art Existenzsicherung der Börsenpräsenz mit Blick auf Delisting-Gefahren, sprich eine kategorische Verbannung von den New Yorker Börsen. Die HKEX trägt dem explizit damit Rechnung, dass die geplanten Regularien nicht nur ein flankierendes Zweitlisting in Hongkong ermöglichen, sondern im Ernstfall dual notierten Gesellschaften auch die Möglichkeit eröffnen, ihr Primärlisting von New York nach Hongkong zu verpflanzen.
Für die HKEX wird die Listingreform damit ein eminent wichtiger Aspekt der Sicherung künftiger Ertragsquellen, zumal es eine fiskalische Keule zu kompensieren gilt: eine von der Hongkonger Regierung aus Budgetnöten heraus beschlossene kräftige Erhöhung der Börsenumsatzsteuer. Diese dürfte die Handelsaktivität dämpfen und damit entsprechende Gebühreneinnahmen für die HKEX belasten, die es mit flotteren Erträgen aus dem Listinggeschäft zu kompensieren gilt.