„Autoversicherung wird ein Skalenspiel“
Herr Heitmann, verliert die HUK-Coburg ihren Nimbus als Klassenbester in der Autoversicherung?
Die Antwort ist ein klares Nein. Wir sind weiterhin mit deutlichem Abstand Marktführer. Dies gilt auch zum Ende des vergangenen Jahres. Die Zahl der versicherten Autos ist um 100.000 auf fast 14 Millionen Stück gestiegen. Jeder vierte Haushalt ist bei uns versichert. Im Auto-Neugeschäft haben wir gemeinsam mit Neo Digital Autoversicherung einen Rekordwert von über 1,6 Millionen Fahrzeugen erreicht.
Sie waren früher auch in der Disziplin Schaden- und Kostenquote besser als der Schnitt der Wettbewerber.
Im Jahr 2023 hatten wir in dieser Combined Ratio mit 113% tatsächlich schlechter als der Markt abgeschnitten. Der Grund: Wir sind mit einer nur moderaten Beitragsanpassung in das Jahr gestartet. Außerdem haben wir letztlich unsere Reserven deutlich aufgestockt, nach unseren Analysen auch marktüberdurchschnittlich. Im letzten Jahr haben wir dann die Combined Ratio signifikant verbessert.
Was heißt dies konkret?
Wir sind nun wieder mit dem üblichen Abstand vor dem Markt. Die Combined Ratio ist für 2024 um mindestens 10 Prozentpunkte besser ausgefallen als im Vorjahr, weitere Sonderdotierungen der Schadenrückstellung waren nicht nötig. Der Branchenverband GDV schätzt die Combined Ratio in der deutschen Kfz-Versicherung aktuell auf 106% im Jahr 2024, vielleicht auch etwas besser.
Könnte die HUK-Coburg sogar die Schallmauer von 100% nach unten durchbrechen?
Wir kommen spürbar in die Nähe von 100%, genauer möchte ich mich noch nicht festlegen. Eine Kasko-Drohverlustrückstellung, die wir im Jahr 2023 vorsorglich gebildet hatten, wurde im vergangenen Jahr aufgelöst. Dies bringt einen zusätzlichen Ergebnisbeitrag.
Welche Treiber gibt es für diesen Sprung in die Nähe von 100%?
Zuallererst wirkt die relativ kräftige Beitragsanpassung, die wir in den Beständen vornehmen mussten. Diese Anhebung um rund 13% war leider notwendig. Der zweite Treiber ist die Schadenhäufigkeit. Sie befindet sich nach einem spürbaren Anstieg 2023 nun eher in einer Seitwärtsbewegung.
Wie entwickelt sich die Inflation für Reparaturen?
Sie ist unverändert auf hohem Niveau und liegt um das Drei- bis Vierfache über der allgemeinen Inflationsrate. Aber: Die Wachstumsrate der Preise ist zumindest stabil, vielleicht sogar leicht rückläufig.
Sie haben die Combined Ratio viel stärker verbessert als der Markt im Durchschnitt. Was unterscheidet die HUK-Coburg von der Konkurrenz?
Wir haben die Preise stärker angepasst als der Markt, und zwar um notwendige 3 bis 3,5 Prozentpunkte. Außerdem arbeiten wir mit einem neuen Tarifsystem. Unsere Leute haben da etwas echt Neues gebaut, das wir in den nächsten Jahren verfeinern werden.
Was leistet dieses System?
Es ist viel komplexer als alle bisherigen Ansätze der HUK-Coburg. Sehen Sie: Ganz zu Beginn der differenzierten Tarifierung ging es beispielsweise nur um Regionalklasse und Schadenfreiheit, später kamen etwa Geschlecht und Fahrleistung hinzu. Das neue System entdeckt statistische Verbindungen zwischen Merkmalen, die uns bisher nicht bewusst waren. Letztlich haben wir in diesem Tarifierungssystem weit mehr unterschiedliche Preise, als wir Einwohner auf dieser Erde haben.
Hört sich etwas verrückt an.
Natürlich sind dies theoretische Festlegungen, wir nutzen nur einen Bruchteil der Preise. Aber letztlich macht dieses System die Preise auch für Kunden risikogerechter. Der Einfluss auf die Combined Ratio dürfte noch überschaubar gewesen sein, weil wir erst im vergangenen Frühjahr gestartet sind.
Die Allianz schätzt, dass ihre Combined Ratio 2024 mindestens sieben Prozentpunkte besser als der Markt abgeschnitten hat. Auch die HUK-Coburg ist deutlich besser als die Konkurrenz im Schnitt. Wie kann es sein, dass der Branchenprimus und der Zweitplatzierte so weit über dem Durchschnitt liegen?
In diesen Zeiten ist es wirklich anspruchsvoll, Autoversicherung anzubieten. Das Tarifierungssystem zum Beispiel hat uns viel Geld und Aufwand gekostet. Ein derart ernsthaftes Investment kann ein Versicherer sich nur leisten, wenn man die notwendige Größe hat. Autoversicherung wird sehr viel stärker als früher ein Skalenspiel. Die kleineren Anbieter spüren dies auch in ihrer Combined Ratio.
Als Klassenerster hat sich die HUK-Coburg auch immer im Service definiert. Da gab es Schwierigkeiten. Wie sieht das jetzt aus?
Es ist besser, aber wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen. Die große Herausforderung lautet, wie mein Vorstandskollege Jörg Rheinländer immer sagt: Wir müssen uns als Autoversicherer wetterfest machen. Wir haben uns auf den Klimawandel auch in unserer organisatorischen Aufstellung vorzubereiten. Wir müssen also Lösungen für die Fälle finden, wenn auf einen Schlag an einem Tag das Fünffache der üblichen Zahl von Schadensmeldungen hereinkommt.
Wie können Sie sich vorbereiten?
Die HUK-Coburg erhöht ihre Flexibilität. Wir haben der Arbeitnehmervertretung konkrete Veränderungspakete vorgeschlagen. Wir hoffen, dass wir dort bald Ergebnisse präsentieren. Außerdem arbeiten wir mit dem externen Dienstleister ETB zusammen, der rund 20 Beschäftigte bereithält und die Zahl im Bedarfsfall deutlich hochskalieren kann.
Warum hat die HUK-Coburg bei Pitstop jetzt die Mehrheit übernommen?
Wir glauben nach wie vor sehr stark daran, dass sich die Art, wie Mobilität konsumiert wird, stark ändern wird. Dies wird wahrscheinlich nicht in den nächsten fünf Jahren passieren. Daher bereiten wir uns sehr langfristig auf eine dann vermutlich zurückgehende Bedeutung der Autoversicherung vor.
Sehr langfristig… Noch vor der Corona-Pandemie klang die Branche mit Blick auf die Veränderungsgeschwindigkeit viel alarmistischer.
Die HUK-Coburg hatte nie disruptive Entwicklungen innerhalb von zwei Jahren vor Augen. Aber ehrlicherweise haben wir auf die Einschätzung der Experten aus der Automobilindustrie gehört, die immer gesagt haben, Anfang 2020 sehen wir massenhaft autonom fahrende Autos. Das ist so nicht eingetreten. Meine Conclusio daraus ist: Wir haben einfach ein Stück weit Zeit gewonnen.
Es wird auch weniger über die Konkurrenz durch Google&Co geredet.
Die neue Schadenrealität mit der hohen Inflation hat natürlich bei allen Versicherern den Fokus enorm auf das Kerngeschäft zurückgeholt. Die Versicherer leiden zudem unter der Kombination aus hoher Arbeitslast und engem Arbeitsmarkt. Daher kümmern sich die Unternehmen marktweit sehr viel stärker wieder um das Kerngeschäft – was auch gut so ist.
Welche Rolle spielt Pitstop in Ihren Überlegungen?
Wir wollen einfach weitere Argumente für die Kunden liefern, zur HUK-Coburg zu kommen. Außerdem arbeiten wir daran, dass Mobilität für Verbraucher auch leistbar bleibt. Bei Pitstop können wir vorteilhafte Produkte und Dienstleistungen anbieten.
Sie hatten einmal davon gesprochen, Sie wollten dort eine sechsstellige Zahl von Kunden zusätzlich zuführen.
Das stimmt, dabei bleiben wir auch. Das Jahr 2024 war allerdings ein Umbruchsjahr, auch mit Veränderungen auf Geschäftsführerebene. Leider gab es also keine große Weiterentwicklung auf der Zahlenbasis, aber das sollte im angelaufenen Jahr geschehen. Pitstop wird eine viel stärkere Rolle auch in der Steuerung der gesamten Autoservice-Aktivitäten spielen. Das sind Profis, die verstehen ihr Geschäft.
Wie soll sich die HUK Autowelt verändern?
Wir wählen dort sehr viel stärker den Weg von Kooperationen, zum Beispiel beim Abomodell für Autos. Derartige Geschäfte nimmt die HUK-Coburg nicht mehr auf die eigene Bilanz. Wir reden zudem mit den großen Autohandelsgruppen und zum Teil auch direkt mit Herstellern. Außerdem wollen wir digital basierte Angebote auch für Neuwagen entwickeln.
Sie hatten eingangs die Wachstumszahlen 2024 erwähnt. Sind Sie zufrieden?
Das Geschäft zum Jahreswechsel 2023/2024 endete ja mit einem Rückgang des Bestands um 100.000 Verträge. Dies haben wir aufgeholt und sind ohne die Mopeds mit 100.000 Stück im Plus. Auch wenn man den Sondereffekt der Nichtverlängerung eines Vertrags mit einem großen Scooter-Verleihanbieter einrechnet, sind wir gewachsen. Es freut mich, dass wir es geschafft haben, die Delle am Jahresbeginn auszuwetzen. Da haben unsere Leute alle zusammen einen guten Job gemacht.
Bei 1,6 Millionen Neuverträgen ist ein Plus von 100.000 dennoch überschaubar.
Die Kündigungsraten sind wegen der großen Beitragsanpassung schon spürbar in die Höhe gegangen. Das Beitragsvolumen in der Kfz-Versicherung ist um knapp 14% auf annähernd 5,2 Mrd. Euro gestiegen.
Wie lief das Geschäft zur Wechselrunde 2024/2025?
Wir mussten die Preise in der Autoversicherung in der Größenordnung zwischen 13 und 15% erhöhen. Daher hatten wir gedacht, dass wir noch einmal kräftig Verträge verlieren. Jetzt lief es völlig anders, wir werden sogar mit einem positiven Saldo rausgehen. Das ist wirklich ganz schön.
Wie kam es dazu?
Meine These ist, dass andere Unternehmen noch deutlich mehr Nachholbedarf bei der Beitragshöhe hatten und sich deswegen unglaublich viele Kunden im Markt nach Alternativen umgesehen haben. Mancher ist trotz Kündigung aber auch wieder zur HUK zurückgekommen.
Da könnten Sie ja euphorisch sein.
Puh, eher nicht. Es ist wirklich ein anstrengendes Jahr gewesen. Die hohen Verluste waren für alle Autoversicherer und ihre Verantwortlichen hart. Wenn man aber wie die HUK-Coburg über die Hälfte seines Geschäfts in der Autosparte hat, dann ist das schon eine besondere Nummer.
Wie läuft es für die HUK-Coburg in anderen Sparten?
Im übrigen Sachversicherungsgeschäft können wir ebenfalls einen Neugeschäftsrekord melden, auch in der Rechtsschutzversicherung unserer Hauptgesellschaft. In der Lebensversicherung beträgt das Neugeschäftswachstum etwa 20%. Es geht in sehr vielen Bereichen wieder in eine richtig gute Richtung.
Wie sieht es auf der Ertragsseite aus?
Wenn die Ergebnissituation so ist wie im Jahr 2023, dann müssen wir als Management daran arbeiten, Dinge zu ändern. Wenn es uns dann gelingt, die Ergebnissituation deutlich zu verbessern und zugleich die Strahlkraft der Marke zu erhalten und zu verstärken, dann sage ich ganz offen: Damit bin ich schon ziemlich zufrieden.
Wie hoch ist das Ergebnis?
Wir erreichen einen Wert in der Größenordnung des Vorjahres, also im Bereich von 400 bis 500 Mill. Euro vor Steuern. Wir mussten anders als gedacht in der Kompositversicherung kein Geld aus der Schwankungsrückstellung entnehmen, sondern führen sogar wieder zu.
2024 stufen Sie als viel besser als 2023 ein, trotzdem liegt der Vorsteuergewinn auf Vorjahreshöhe. Wie passt dies zusammen?
Die Größenordnung ist ähnlich, die Qualität aber viel besser. Das Ergebnis 2023 enthielt wie erwähnt relevante Entnahmen aus der Schwankungsrückstellung, außerdem haben wir aufgrund der hohen Elementarschäden deutliche Summen von den Rückversicherern bekommen. Zudem war es ein ziemlich gutes Kapitalanlagejahr.
Welche Entwicklung erwarten Sie in der Autoversicherung 2025?
Die Autoindustrie geht davon aus, dass wir nicht zu den hohen Zahlen bei den Neuzulassungen und bei den Besitzumschreibungen zurückkehren. Vermutlich bleiben wir auf dem im Verhältnis zu den früheren Jahren reduzierten Niveau zwischen 9 und 10 Millionen Transaktionen pro anno.
Wie entwickelt sich die Profitabilität?
Die Combined Ratio des Gesamtmarktes wird sich im angelaufenen Jahr wahrscheinlich noch mal stärker verbessern als 2024, sofern wir keine Überraschungen auf der Schadenseite erleben. Denn die Beiträge sind zu diesem Jahreswechsel marktweit kräftig angepasst worden. Der Markt könnte sogar leicht positiv werden. Die HUK-Coburg wird auf jeden Fall einen Gewinn erzielen.
Woran muss die HUK weiterarbeiten?
Unser Kernvorteil, dass die Kunden direkt zu uns kommen, muss erhalten bleiben. So ersparen wir uns die teuren Intermediäre. Das bringt uns den Unterschied bei den Vertriebskosten. Wir werden einfach daran arbeiten, dass die Wahrnehmung so bleibt: Zur HUK-Coburg musst Du hin als Kunde.
Im Interview: Klaus-Jürgen Heitmann
„Autoversicherung wird ein Skalenspiel“
Der Vorstandssprecher der HUK-Coburg über die wachsende Rolle der Unternehmensgröße, die Profitabilität 2024 und den Vertriebserfolg zum Jahreswechsel
Die Autoversicherer erfahren so viel Aufmerksamkeit wie lange nicht mehr. Es häufen sich Verluste in Milliardenhöhe an, Kunden ärgern sich über steigende Preise, und die Aufsicht hat ein besonderes Auge auf die Unternehmen. HUK-Coburg-Chef Klaus-Jürgen Heitmann analysiert den Wandel in der Branche.
Das Interview führte Michael Flämig.