„Konsolidierung geht beschleunigt weiter“
Annette Becker.
Frau Professor Buchholz, das Wort Zeitenwende gilt nicht nur für die geopolitische Lage, sondern auch für die Geldpolitik. Atmen die Sparkassen, die zu den lautesten Kritikern der Negativzinsen gehörten, jetzt auf?
Absolut. Das Ende der Negativzinsen bedeutet, dass wir große Einlagenbestände nicht mehr subventionieren müssen. Die Negativzinsen wurden ja nicht eins zu eins an die Kunden weitergegeben. Im Jahr 2021 hat das unsere Sparkassen in Westfalen-Lippe über 300 Mill. Euro gekostet. 2022 ist der Zinsüberschuss gravierend angestiegen. Dabei spielte auch eine Rolle, dass das Kreditgeschäft im vergangenen Jahr gut gelaufen ist, wenngleich nicht ganz auf dem hohen Niveau der Vorjahre.
Der jüngste Bank Lending Survey weist allerdings in eine andere Richtung. Demnach ist die Kreditnachfrage der Firmenkunden bundesweit spürbar zurückgegangen. Ist das bei Ihren Verbandssparkassen noch nicht sichtbar?
Noch nicht so stark. Früher hatten wir Wachstumsraten im Kreditneugeschäft zwischen 2 und 3 %, im vergangenen Jahr waren es bei Unternehmenskrediten etwas unter 2 %.
Wie sieht es aus, wenn man den Blick auf das zweite Halbjahr einengt?
Die Nachfrage der Firmenkunden ist leicht zurückgegangen, aber nicht in einem Umfang, dass ich Alarm schlagen müsste. Anders sieht es im Privatkundengeschäft aus. In der Wohnimmobilienfinanzierung ist das Geschäft im Dezember um gut 20 %, bei Neubaufinanzierung sogar um 50 % zurückgegangen.
Was erwarten Sie in diesem Jahr?
Wir überarbeiten gerade unsere Prognose. Die Rezession ist abgesagt, wir rechnen mit einem Hauch von Wachstum für dieses Jahr. Da das Kreditgeschäft eng mit dem Wirtschaftswachstum korreliert ist, sollte auch das Kreditgeschäft leicht wachsen. Das Immobiliengeschäft wird dagegen nicht gut laufen. Der Markt muss sich erstmal zurechtruckeln. Bei den Immobilienpreisen rechne ich mit einem Rückgang um 10 %.
Müssen die Sparkassen in Ihrer Region die Risikovorsorge hochschrauben?
Das habe ich meine Sparkassen auch gefragt, zumal die Risikovorsorge im Kreditgeschäft im vergangenen Jahr nur um 35 Mill. Euro gestiegen ist bei einem Kreditvolumen von 100 Mrd. Euro. Das ist praktisch nichts. Die Kollegen sind jedoch vorsichtig optimistisch und glauben, dass es nicht so schlimm kommt, wie sie ursprünglich befürchtet hatten.
Woran liegt das?
Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Eine Erklärung wäre, dass sich die Unternehmen in den vergangenen Jahren unglaublich stark mit Eigenkapital vollgesogen haben. Die durchschnittliche Eigenkapitalquote unserer Unternehmen liegt bei über 40 %. Der zweite Grund ist, dass nach wie vor Coronahilfen ausgezahlt werden.
Wie sieht es bei den privaten Baufinanzierungen aus?
Auch da können die Kollegen bislang noch nichts erkennen. Untermauert wird die Sicht von der Einlagenentwicklung im November und Dezember. Hatten wir in den Coronajahren 2020 und 2021 schon einen unheimlichen Auftrieb bei den Einlagen, sind 2022 in den beiden Monaten noch einmal 110 und 130 Milll. Euro mehr als im Jahr davor gespart worden.
Die Sparkassen haben allerdings ein Bewertungsproblem bei ihren Eigenanlagen. Sie hatten den Abschreibungsbedarf auf eine Größenordnung von 700 Mill. Euro taxiert. Jetzt sagen Sie, bei jeder zweiten Sparkasse aus Ihrem Verbandsgebiet steht die Risikoampel auf Gelb oder Rot. Was hat das für Folgen?
Bei solchen Bewertungsergebnissen springt die Risikoampel automatisch auf Gelb oder Rot, das ist Fakt. Das betrifft alle Regionen. Zu fragen ist, ob es sich um einen dauerhaften Verlust oder um eine vorübergehende Wertminderung handelt. In 99,9% aller Fälle ist von einer vorübergehenden Wertminderung auszugehen, die im Zeitverlauf wieder aufgeholt wird.
Die Abschreibungen haben aber auch Auswirkungen auf die aufsichtsrechtlichen Kennziffern. Da reicht es doch nicht, wenn Sie sagen, in vier Jahren sieht es wieder besser aus.
Das ist richtig. Aber unsere Sparkassen sind enorm kapitalstark. Sie haben eine Kapitalquote von 16,9 %, das liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Insofern halten wir das aus. 2021 haben wir 400 Mill. Euro Vorsorgereserven gebildet und auch 2022 werden wir erneut 220 Mill. Euro Reserve bilden. Ich will das Thema nicht verniedlichen, aber die Abschreibungen werden zum Großteil vom Zins- und Provisionsüberschuss kompensiert. Nur einzelne Häuser müssen Vorsorgereserven auflösen. Die restlichen Häuser verrechnen es mit ihrem Ergebnis.
Können Sie „einzelne Häuser“ quantifizieren? Sprechen wir von einer Handvoll oder von mehr?
Da muss ich passen, wir sind noch mitten in den Abschlussarbeiten.
Als Sie Ihren Dienst in Münster im April 2017 antraten, zählte der Verband 65 Sparkassen, heute sind es nur noch 50. Ist das ein weiterer Treiber für die Konsolidierung?
Die Konsolidierung wird beschleunigt weitergehen. Es gibt dafür mehrere Treiber. Zum einen die Regulatorik und zum anderen die Standardisierungsnotwendigkeiten, die bringen kleine Institute – und davon haben wir in Westfalen-Lippe eine ganze Menge – an ihre Grenzen. Da können wir als Verband auch keine Unterstützung mehr geben.
Ich hätte gedacht, dass Standardisierung kleine Institute eher entlastet.
Das haben wir zunächst auch gedacht. Aber die Standards wurden von großen Häusern gesetzt, weil diese die Fähigkeiten zur Projektarbeit besitzen. Die Standards, die herauskommen, können von kleinen Häusern kaum noch erfüllt werden. Das ist ein Thema, das wir vernachlässigt haben. Wir müssen uns jetzt Gedanken machen, wie wir die kleinen Häuser ein Stück weit unterstützen. Das Thema ist ja nicht, dass die kleinen Häuser ertragsschwach sind.
Aber die Ertragskraft reicht nicht, um die steigenden Belastungen aufzufangen.
Genau. Fusionen sind ein hilfreiches Mittel, um diesem Trend entgegenzuwirken. Aber wir müssen auch darauf achten, dass die Wirtschaftsräume Beachtung finden. Die regionalen Bindungen dürfen nicht durchbrochen werden. Dafür gibt es in Westfalen-Lippe noch keine Anzeichen, in anderen Verbandsgebieten lässt sich das aber beobachten. Ich finde es mutig, wenn Sprungfusionen über 160 Kilometer gemacht werden. Da mische ich mich aber nicht ein.
Sehen Sie hinsichtlich der Konsolidierung einen natürlichen Boden?
Das kann ich nicht sagen. Ich glaube aber, dass wir in Westfalen-Lippe noch für sehr lange Zeit von Institutsgrößen entfernt sind, die eine EZB-Aufsicht nach sich ziehen würden. Die Ruhrgebietsstädte in Westfalen-Lippe, wie zum Beispiel Dortmund oder Bochum, sind für sich genommen groß genug, als dass dort eine Fusion notwendig würde.
Sie machen sich dafür stark, dass die Sparkassen die Transformation mitfinanzieren. In diesem Zusammenhang fordern Sie ein Entgegenkommen der Aufsicht. Was schwebt Ihnen konkret vor?
Wenn ich sehe, was an Transformationsfinanzierung auf Deutschland und auf jede einzelne Region zukommt, dann schaffen wir das nur mit Kapitalerleichterungen. Konkret wollen wir eine geringere Kapitalunterlegung für Transformationskredite.
Haben die Aufsichtsbehörden dafür ein offenes Ohr?
Wir sind dabei, Gespräche zu führen. Allein durch die Einführung des antizyklischen Kapitalpuffers und die Änderungen bei der Eigenmittelzielkennziffer haben wir in Westfalen-Lippe im Jahr 2023 über 1 Mrd. Euro höhere Kapitalanforderungen. Der nächste Schub kommt aus Brüssel. Das wird für die deutschen Sparkassen zu zusätzlichen Kapitalanforderungen von über 10 Mrd. Euro führen. Perspektivisch werden unsere Wachstumsmöglichkeiten im Kreditgeschäft damit eingeschränkt. Zugleich ist beispielsweise im Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen angelegt, dass Transformationsfinanzierung Teil des öffentlichen Auftrags ist. Wenn man das aber will, muss man uns auch dazu befähigen. Die Banken-Taskforce NRW hat ermitteln lassen, dass die Transformation jährlich 10 % des BIP kostet. Wenn diese Zahl nur annähernd stimmt, dann müssen wir im Kreditgeschäft Wachstumszahlen hinlegen, die wir nicht kapitalisiert bekommen. Denn Transformationsfinanzierung muss auch für den Kreditnehmer bezahlbar sein. Entsprechend kann damit keine Margenausweitung verbunden sein. Langfristig wird es eine Eigenkapitallücke geben.
Im Konsortialkreditgeschäft beobachten Sie schon heute, dass sich Landesbanken mit Verweis auf Nachhaltigkeitsaspekte aus mancher Finanzierung zurückziehen. Doch auch die Sparkassen müssen ihre Kreditbücher über kurz oder lang „grün“ machen. Wie soll das gehen?
In der politischen Diskussion wird aus meiner Sicht gänzlich außer Acht gelassen, wie der Übergangsprozess ausgestaltet werden soll. Wir können den Schalter nicht von heute auf morgen von braun auf grün umstellen. Die Landesbanken haben ihre Schilder schon vor die Tür gestellt. Wer Gabelstapler produziert, die an einen Atomkraftwerksbetreiber geliefert werden, kommt nicht mehr rein. Für uns Sparkassen handelt es sich um einen Mittelständler, der in der Region Arbeitsplätze unterhält. Wenn wir die Nachhaltigkeitskriterien zu früh scharf stellen, laufen wir in Finanzierungsrestriktionen hinein, die kontraproduktiv sind. Das ist meine Sorge.
Ist das Thema bei Ihren Firmenkunden schon angekommen?
Die Treppe wird von oben gekehrt. Bei den größeren Firmenkunden ist das Thema Nachhaltigkeit schon längst angekommen. Aber unsere Kundschaft ist breiter aufgestellt. Ein kleinerer Handwerksbetrieb ist mit dieser Fragestellung oft völlig überfordert. Da fehlt es an einfachen Handhabungen. Auch wir müssen an dieser Stelle noch viele Hausaufgaben erledigen. Wir haben noch keine ausreichend detaillierten Methoden, die uns bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit von Unternehmen wirklich weiterhelfen.
Wer ist an dieser Stelle in der Pflicht?
Wir brauchen das Zusammenspiel aller. Zunächst brauchen wir eine Ratingeinstufung, in der die Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt sind. Daran wird gearbeitet. Dann müssen Kriterien festgelegt werden. Dazu gibt es aus Brüssel aber noch keine Vorgaben. Wir warten an dieser Stelle auf den Gesetzgeber.
Aber die Landesbanken agieren doch auch nicht ins Blaue hinein, oder?
Zwischen der Guidance einer Landesbank und dem Tun einer Sparkasse gibt es einen gewaltigen Unterschied. Die Landesbank hat eine Liste aufgestellt, in der steht, was nicht mehr finanziert wird. Wir dagegen gehen nicht über die Frage, wen wir ab sofort nicht mehr finanzieren. Das würde die regionale Wirtschaft überlasten. Für uns steht die Frage im Mittelpunkt, wie wir die Transformation begleiten können. Wir haben den Prozess vor Augen und drehen nicht einfach den Geldhahn zu.
Die Regionalinstitute haben es an dieser Stelle schwerer, weil sie näher am Kunden sind und auch der kommunale Eigentümer die Arbeitsplätze stärker in den Blick nimmt.
Das ist so. Zugleich ist es aber auch der politische Wille, Transformation zu betreiben. Das macht auch vor den Kommunen nicht Halt. Diese Diskussionen werden heute schon im Verwaltungsrat geführt. Aber wir dürfen auch nicht vergessen: Manche Unternehmen bekommen keinen Kredit, weil es bereits jetzt Prüfungsmechanismen gibt, die eine Finanzierung verhindern. Wir sind keineswegs zu einer Finanzierung verpflichtet – trotz öffentlichen Auftrags. Aber wir haben noch nicht so scharfe Nachhaltigkeitskriterien, wie sie große Finanzierer anwenden.
Ganz anderes Thema: Welche Erwartungshaltung haben Sie an Ulrich Reuter, den designierten DSGV-Präsidenten?
Sie hatten in der Börsen-Zeitung einen guten Überblick gegeben, was vom neuen DSGV-Präsidenten erwartet wird. Ich habe dazu keine Ergänzungen.
Wenn man sich die Organisationsstruktur anschaut, was brennt da auf den Nägeln? Wird es Herr Reuter schaffen, die Landesbankenkonsolidierung loszutreten?
Ich würde Herrn Reuter zunächst einmal die Chance geben, sein eigenes Profil zu entwickeln. Ich weiß nicht, welche Punkte er hat, um die Zukunftsfähigkeit der Gruppe zu sichern. Das sollten wir erst einmal abwarten.
Das Interview führte